«Magnet Basel»: 2729 Kilometer bis Basel

Nr. 37 –

Hundert Jahre nach der Gründung der kantonalen Fremdenpolizei folgt die Ausstellung «Magnet Basel» den Spuren von Flüchtlingen und MigrantInnen aus Vergangenheit und Gegenwart.

«Sie gaben uns ein Formular zum Ausfüllen. Dann haben sie mich reingenommen und alles durchsucht, was ich dabeihatte. Sie nahmen meine Fingerabdrücke. Plötzlich fühlte ich mich wieder wie im Folterzentrum. Ich hatte Panik und fragte mich: ‹Ist das hier ein Gefängnis?›» So schildert Vedat Ates einige erste Eindrücke aus seiner Ankunftszeit in der Schweiz. Das «Gefängnis» ist das Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) in Basel, direkt an der deutschen Grenze und neben dem Ausschaffungsgefängnis Bässlergut gelegen.

Ates war 1997 mit gefälschten Papieren aus der Türkei via Deutschland in die Schweiz gereist. In seiner Heimat unterrichtete er Anfang der neunziger Jahre kurdische Geschichte und verteilte Flyer gegen das Niederbrennen kurdischer Dörfer. Deswegen landete er erst in einem türkischen Folterzentrum und danach für zwei Jahre im Gefängnis. Nach seiner Entlassung tauchte er unter, bis ihm die Flucht gelang.

Durchsuchung mit Hunden

Ates’ Migrationsbiografie liegt als Dossier im Innenhof des Staatsarchivs Basel-Stadt auf, des zentralen Ortes der Ausstellung «Magnet Basel. Migration im Dreiländereck». Der Kurde ist eine der zehn aktuell in Basel lebenden Personen, deren Geschichte die AusstellungsmacherInnen rund um das Team von Christoph Stratenwerth auswählten und in einer einfachen Holzinstallation präsentieren, die mit den alten, monumentalen Gebäuden kontrastiert.

Weitere zehn Dossiers beinhalten eine Rekonstruktion von Lebensläufen früherer Eingewanderter. Die Unterlagen stammen aus dem reichen Aktenbestand der Basler Fremdenpolizei zwischen 1917 und 1970: Über 500 000 Dossiers wurden in diesem Zeitraum angelegt und sind weitgehend erhalten geblieben. Der massive bürokratische Aufwand zeugt vom Kontrollbedürfnis der kantonalen Behörden im Raum Basel, wo sich viele MigrantInnen wegen der Grenznähe und der wirtschaftlichen Prosperität niederliessen.

Während die historischen Dossiers viel amtliches Material beinhalten, verfügen die aktuellen teilweise über kein einziges Dokument. Denn sie betreffen auch Menschen, die keinerlei Ausweispapiere besitzen. Das Deckblatt der Dossiers besteht in ihrem Fall dann nicht aus Name und Aktennummer, sondern aus einer nackten Zahl: 9584 Kilometer für São Paulo, 4405 Kilometer für einen Ort in Gambia, 2729 Kilometer für das kurdische Dorf, in dem Ates’ Mutter ihren Sohn in einem Kuhstall zur Welt brachte.

Die Akte von Ates beinhaltet Fotos, seinen gefälschten Pass, weitere Ausweise und Befragungsprotokolle. In diesen kommt die Ignoranz der Behörden deutlich zum Ausdruck. Etwa wenn Ates’ Zimmer im EVZ in der Nacht durchsucht wird und dabei auch Hunde zum Einsatz kommen: Die Polizei wisse darüber nicht Bescheid, was dies für traumatisierte Menschen bedeute, meint Ates. Seine Geschichte verdeutlicht, wie die Migrationsbehörden die oft schwierigen Erlebnisse von Geflüchteten völlig ausser Acht lassen – und wie tiefgreifend ein Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik sein müsste, wenn tatsächlich die Bedürfnisse dieser Menschen ins Zentrum gestellt würden.

Konsequenzen von Ausweisungen

Der mangelnde Schutz gefährdeter Menschen zieht sich wie ein roter Faden durch die Migrationsgeschichte der Schweiz. Fatale Folgen zeitigte dies vor und während des Zweiten Weltkriegs, wie die Fremdenpolizei-Akte 29 496 über Kurt Preuss zeigt. Darin ist vermerkt: «Jude, wegen Rassenschande mit Gertrud Lüttich aus Deutschland geflüchtet.» Es folgt ein Hin und Her mit den Behörden, am Ende steht die Auslieferung an die deutschen Behörden in der Grenzstadt Lörrach – und der Tod im Konzentrationslager, eine gern verdrängte Seite der Schweizer «Neutralität».

Die Akten des Juden Preuss sind im Historischen Museum Basel untergebracht, einem weiteren Ausstellungsort des insgesamt fünf Standorte umfassenden Projekts. Das Dreiländermuseum in Lörrach konzentriert sich auf deutsche Hausmädchen, die in der Schweiz Arbeit suchten, das Museum BL in Liestal auf italienische Arbeitsmigrantinnen beim Liestaler Textilunternehmen Hanro.

Die Einzelfälle machen deutlich, dass es die sogenannte humanitäre Tradition der Schweiz zu relativieren gilt. Dass diese in den Köpfen noch immer so stark verankert ist, mag auch daran liegen, dass die Migrationsdebatte in der breiteren Öffentlichkeit meist ohne historische Bezüge geführt wird. Das will die Ausstellung «Magnet Basel» ändern. Indem sie historische Dokumente mit aktuellen Lebensgeschichten kombiniert, veranschaulicht sie, dass hier nicht nur Vergangenes verhandelt wird, sondern dass auch Fragen an die Gegenwart aufgeworfen werden. Zum Beispiel die, wie es ein Land mit seiner gerne zitierten humanitären Tradition vereinbaren kann, geflüchtete Menschen an Orten einzuquartieren, die sie an Foltergefängnisse erinnern.

Magnet Basel. Migration im Dreiländereck, noch bis 1. Oktober 2017. www.magnetbasel.ch