Pop von rechts: Die Tragödie der Subversion

Nr. 37 –

Den Dead Kennedys liess man es durchgehen, als sie mit Nazisymbolik Hippies in Machtpositionen attackierten. Doch statt der befürchteten Hippiediktatur kam die neue Rechte, die sich auch dann noch als subversiv darzustellen vermag, wenn sie bereits in allen Ritzen der Gesellschaft steckt.

Es gab eine Zeit, da war es politisch korrekt, politisch inkorrekt zu sein. Mitte der siebziger Jahre war es korrekt, die kulturelle Hegemonie der Hippies, die in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen waren, herauszufordern mit Symbolen, Rhetorik und Praxen, die von diesen reflexhaft als «Nazi» oder «rechts» stigmatisiert und somit abgewehrt wurden. Es war korrekt, eine majoritäre Hippiekultur, die sich künstlerisch erschöpft hatte und politisch im Begriff war, in Gestalt grüner Parteien Teil des Establishments zu werden, zu attackieren: «Kill all Hippies» war die politisch inkorrekte, aber in diesem historischen Moment eben doch korrekte Parole, auch und gerade dann, wenn diejenigen, die sie brüllten, eben noch selbst Hippies waren.

Die KritikerInnen hatten erkannt, dass es an der Zeit war, eine ehedem subversive Bewegung, die zum Stillstand gekommen war, mit neuen, andersartigen subversiven Methoden anzugreifen. So kam es, dass im historischen Augenblick New York 1976 oder London 1977 das politisch inkorrekte Tragen eines Hakenkreuzes oder Nazianspielungen («Blitzkrieg Bop», «Belsen Was a Gas») zu einer überfälligen subversiven Intervention werden konnten.

Benennung zerstört Subversion

Was subversiv ist und was nicht, das ist immer eine Frage des Kontexts und manchmal eine Frage von Minuten, ach was, Sekunden. Was gerade eben noch subversiv war, kann jetzt schon Affirmation bedeuten. Oder, wie der Kulturtheoretiker Christian Höller im kürzlich erschienenen Sammelband «Compared to What? Pop zwischen Normativität und Subversion» schreibt: «Subversion hört genau in dem Moment, in dem sie als solche benannt ist, auf, in wirksamer oder interessanter Weise subversiv zu sein» (vgl. «Es ist kompliziert» im Anschluss an diesen Text).

Die Dialektik von Subversion und Affirmation lässt sich schön mit einer kalifornischen Punkband erzählen, die das (temporär) Subversive schon im Namen trägt: den Dead Kennedys. Die Band veröffentlichte im Juni 1979 ihre erste Single: «California Über Alles», einer von vielen Hippie-Bashing-Songs, die junge Punkbands damals so draufhatten. Mit dem Unterschied allerdings, dass in diesem Song möglicherweise zum ersten Mal «hippies in control» attackiert wurden, also Exhippies, die es zu einer Machtposition gebracht hatten, insbesondere in Kalifornien.

In diesem Fall war Jerry Brown von der Demokratischen Partei gemeint, bekannt als New-Age-Adept und Womanizer (prominenteste Beute: Linda Ronstadt). Brown war von 1975 bis 1983 Gouverneur von Kalifornien und, Ironie der Geschichte, seit 2011 ist er es wieder. Den Dead Kennedys galt Brown 1979 als Repräsentant eines dräuenden «Hippie Fascism»:

I am Governor Jerry Brown
My aura smiles
And never frowns
Soon I will be president
Carter power will soon go away
I will be Führer one day
I will command all of you
Your kids will meditate in school
California Über Alles
Zen fascists will control you
100% natural
You will jog for the master race
And always wear the happy face.

Die Dead Kennedys nahmen die «kalifornische Ideologie» ins Visier, die eine massgebliche Rolle bei der Transformation vom Fordismus zum neuen Geist des digitalen Kapitalismus spielen sollte. Die kalifornische Ideologie sei beseelt gewesen vom Fortschrittsglauben an die «Verschmelzung der kulturellen Bohème aus San Francisco» mit den «Hightechindustrien des Silicon Valley», so Richard Barbrook und Andy Cameron in «The Californian Ideology».

Liberté, Egalité, Beyoncé!

Nach dieser Lesart sind auch Firmenimperien wie Apple, Facebook und Google Produkte der kalifornischen Ideologie. Und auch die im San Fernando Valley beheimatete Pornoindustrie verdankt sich gewissen Errungenschaften der West-Coast-Bohème – wenn sexuelle Libertinage auf New-Frontier-Kapitalismus trifft, schlägt Befreiung schon mal um in repressive Toleranz. Das Gespenst von einem Post-Hippie-Faschismus, in dem Facebook, Google und Porno die Welt regieren und wir alten EuropäerInnen nur noch Marionetten der IT-Diktatur sind, wird bis heute gerne an die Wand gemalt – vor allem von verschwörungstheorieaffinen AntiamerikanerInnen, die es ja leider nicht nur in der neuen Rechten gibt, sondern auch in der alten Linken.

In den USA der frühen achtziger Jahre kam es dann doch anders. Nicht Jerry Brown wurde Präsident, sondern Ronald Reagan, Exhollywoodstar und Exgouverneur von Kalifornien. Jetzt haben wir ein grösseres Problem, wie Jello Biafra erkannte. Für seine Dead Kennedys schrieb er den Song zur Lage. Jetzt wird nicht mehr meditiert, auch droht weder Veggie Day noch Joggen für die Herrenrasse, nein, «We’ve Got a Bigger Problem Now»:

I am Emperor Ronald Reagan
Born again with fascist cravings
Still, you make me president
Human rights will soon go ’way
California Über Alles
Über Alles California
Ku Klux Klan will control you
Still you think it’s natural
Nigger knockin’ for the master race
Still you wear a happy face.

Als die Dead Kennedys diesen Song 1981 veröffentlichten, ahnte kein Mensch, dass 36 Jahre später in einer US-Stadt tatsächlich wieder der Ku-Klux-Klan aufmarschieren und eine Gegendemonstrantin von einem rechten Amokfahrer getötet würde. Und dass sich der Präsident der USA von diesem rassistischen, antisemitischen Exzess allenfalls halbherzig distanzieren würde – und erst auf öffentlichen Druck.

Um die Frage nach der Subversion im Pop zu beantworten, müssen wir uns zwei gegenläufige, aber darin komplementäre Entwicklungen vor Augen führen. Erstens: Donald Trump ist der Nachfolger des ersten afroamerikanischen Präsidenten, der das Weisse Haus im grossen Stil für schwarze (Pop-)KünstlerInnen öffnete, die dort im Namen der Political Correctness auftraten: gegen jede Diskriminierung. So wurde afroamerikanisch dominierter Pop erstmals in seiner Geschichte staatstragend.

Zweitens: Wie seine europäischen Verwandten Le Pen, Orban, Wilders oder Putin verdankt Trump seinen Erfolg einem heterogenen Konvolut konterrevolutionärer Bewegungen, die sich bei allen Differenzen im Zweifelsfall auf einen gemeinsamen Feind einigen können: die Diktatur der Political Correctness. So verkehren sich die Fronten: Pop, einst von Natur aus staatsfern und tendenziell subversiv, mutierte unter den Obamas zu Staatskunst, die Parole der Stunde lautete: Liberté, Egalité, Beyoncé!

Rechte Rebellion

Diese farbenfrohe neue Political-Correctness-Diktatur wird von rechts mit Methoden und einer Rhetorik bekämpft, die traditionell zum Repertoire der antiautoritären, auf Subversion gepolten Linken gehörten. Der deutsche Politologe Claus Leggewie beschreibt diese Umkehrung in «Le Monde diplomatique» wie folgt: «Derzeit erlebt man die neueste Auflage der Konservativen Revolution identitärer Zirkel, die mit subversiven Aktionen die antiautoritäre Spassguerilla der frühen Studentenrevolte kopieren.» Leggewie dürfte an die spektakuläre Besteigung des Brandenburger Tors durch sogenannte Identitäre gedacht haben; oder, schon weniger spassig, an ihr Patrouillenboot auf dem Mittelmeer, mit dem sie Propaganda gegen Flüchtende und NGOs auf Rettungsmission betrieben.

Der Logik der Umwidmung, der Vereinnahmung ehedem linker Motive und Techniken von Widerstand und Subversion folgen auch die wichtigen Protagonisten des neuen rechten Pop. Das heisst, nein, sie verfolgen zwar Popstrategien, sind aber durch und durch und gewissermassen reinrassige R.O.C.K.-Bands. Freiwild und ihre grossen Vorbilder, die Böhsen Onkelz, versuchen einen rebellischen Gestus von Rockmusik wiederzubeleben, der längst mausetot ist, obsolet wie die Strassenkämpfer- und Sexmaschinenposen des Mittsiebzigers Mick Jagger.

Bei Freiwild und den Onkelz funktioniert die Reanimation von Rock dennoch, weil sie ihn rechts aufladen und so ein Vakuum besetzen im Popkoordinatensystem der Gegenwart. «Ich scheisse auf Gutmenschen, Moralapostel», singt Philipp Burger, Sänger, Kopf, Gesicht und Körper von Freiwild. «Die Übermenschen des Jahrtausends, ich hasse sie wie die Pest.» Er spricht damit wohl den angeblichen Political-Correctness-Opfern aus dem Herzen.

Die Südtiroler Deutschrockband propagiert einen konservativ-reaktionären Wertekanon, einen völkisch grundierten, heimatverbundenen Tugendkatalog als gleichsam natürliche, überlieferte Lebensgrundlage, die angeblich von einer abgehobenen, realitätsfremden Gutmenschenideologie in ihrer Existenz bedroht wird. Bei Freiwild gibt man sich patriotisch, naturverbunden, bodenständig, man schätzt Fleiss, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. «Familie ist das wichtigste Gut auf Erden», sagt Burger, bei der Erziehung seiner Kinder lasse er «eine gewisse Strenge» walten.

Ein performativer Spagat

Freiwild sind bekennende Biertrinker, aber von «Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll» hält Philipp Burger nicht viel: «Was bringt dir Sex mit einer 2000 Mal durchgebumsten Nutte?» Entsetzt reagierten Freiwild in einem Interview auf die Frage, ob sie sich eine Musikerin in der Band vorstellen könnten: «Niemals! Da Regelbeschwerden, da eine Schwangerschaft.» Freiwild verkörpern den soldatischen Mann, wie er im Buch steht: treu verbunden mit anderen durch den homosozialen Raum Rockband, bedroht von den roten Fluten des Weibs.

Mehr noch als die nach wie vor extrem populären Böhsen Onkelz gelingt Freiwild ein performativer Spagat: Sie inszenieren sich als vom sogenannten Mainstream verfolgte, unterdrückte Aussenseiter, während sie in ebenjenem Mainstream grosse Erfolge feiern. Mit dieser subversiv-affirmativen Doppelstrategie «Wir sind verfolgt – Wir sind das Volk» repräsentieren Freiwild ziemlich punktgenau eine politische Klientel von wertkonservativ bis rechtsradikal. Wir haben es auf der rechten Seite des politischen Spektrums im Pop also nicht nur mit einer grösseren Mobilisierung zu tun als auf der Linken. Auch die Identifikation der Fans mit einer Band wie Freiwild, die enge Bindung zwischen Fans und Band, sucht auf der Linken ihresgleichen.

Das liegt unter anderem daran, dass moderne linke Politik heutzutage nichtidentitär beziehungsweise antiidentitär sein muss, also antinational, antivölkisch, antisexistisch, antirassistisch, anti-antisemitisch. So viele Antis stehen breiten Bündnissen und heroischen Identifikationen im Weg. So tun sich zumindest im deutschsprachigen Raum zwischen der parlamentarischen Linken, der Bewegungslinken und der Poplinken tiefe Gräben auf. Was auch am Material liegt, strebt doch avancierter Pop nach Differenz, nach dem Nichtidentischen, nach der Subversion, die eben nicht mehr subversiv ist, wenn sie als solche benannt wird. Damit ist kein Staat zu machen.

Für ihre vorletzte Titelgeschichte hat die Zeitschrift «Spex», gewissermassen das Zentralorgan der deutschsprachigen Poplinken, KünstlerInnen aus aller Welt die Frage gestellt: «Ist Wut eine Kraft?» Exemplarisch die Antwort von Andreas Spechtl, Sänger der aus Österreich stammenden und im Berliner Exil lebenden Band Ja, Panik: «Alle sind ja wütend. Alle protestieren. Alle sind im Widerstand. Das ist gar nicht das Problem. Das Problem sind die Gegner, die fehlen. Oder besser: die zu fehlen scheinen.» Gegner wie Trump oder Freiwild sind eben zu gross, um in der Popnische von Ja, Panik Platz zu haben.

Tobias Gerber (Hrsg.) und Katharina Hausladen (Hrsg.): Compared to What? Pop zwischen Normativität und Subversion. Verlag Turia + Kant. Wien/Berlin 2017. 211 Seiten. 34.90 Franken

Es ist kompliziert

Die an der Kritischen Theorie geschulte deutsche Poptheorie denkt historisch. Oder wie es Walter Benjamin einst ausgedrückt hat: Die Dialektik setzt Begriffe wie Segel in den Wind der Geschichte. Es stellt sich bei diesem Buch also die Frage, wie der Wind weht, wenn der Begriff «Subversion» und der Kontext «zeitgenössische Popkultur» heisst. Grundsätzlich sind sich die AutorInnen des Sammelbands einig: Es ist kompliziert geworden. Oder, um im Bild zu bleiben: Wir haben es mit einem unkontrollierbaren Orkan zu tun, der in alle Richtungen bläst.

Das hat einerseits normative Gründe, wie Diedrich Diederichsen feststellt: «Subversion ist nicht notwendig etwas Gutes.» Sofia Bempeza beschreibt darauf die Aneignung subversiver Strategien durch die neue Rechte. Was Diederichsen aber auch feststellt: Nur dass etwas warenförmig ist wie Popmusik oder Drogen, heisst nicht, dass es nicht auch subversiv sein kann.

Da wird das eigentliche Problem sichtbar: Es gibt nicht zu wenig Subversion, sondern zu viel davon. Oder wie Christian Höller schön überspitzt: Durch die «Schaffung eines immensen, unüberschaubaren Raums der Simultanität, worin Wertigkeiten und Hierarchien tatsächlich zu verschwimmen anfangen», ist die kulturelle Realität selber subversiv geworden. Wieso also noch an diesem Begriff festhalten?

Neben mehreren Beiträgen, die sich grundsätzlich um die Feststellung ebenjener Situation drehen, stehen theoretische Erneuerungsversuche: etwa ein «medienwissenschaftliches Analysemodell» von Thomas Ernst. Doch brauchen wir wirklich ein Modell, um Subversion zu erkennen? Die konkreten Untersuchungen jedenfalls, etwa zu chinesischen Onlinevideos oder queerer Literatur, kommen ohne Modelle aus. Wenn Subversion überall ist, muss man halt auch dahin gehen, um sie aufzuspüren.

David Hunziker