LeserInnenbriefe

Nr. 39 –

Ganz schlechter Vergleich

Auf allen Kanälen: «Bezahltes Elend», WOZ Nr. 37/2017

Susan Boos schreibt über Werbung, die als journalistische Beiträge getarnt ist. Sie vergleicht besagte Strategie, welche Verlagshäuser anwenden, um sich zu finanzieren, mit «Prostitution» – und fühlt sich dabei wahrscheinlich innovativ und rebellisch. Wir gehen mit ihr einig, dass es mitunter aus demokratischen Gründen («Vierte Gewalt») gefährlich ist, wenn Werbung nicht klar als solche erkennbar ist. Wir lehnen aber den Vergleich mit Sexarbeit als negativ konnotierte Tätigkeit sowie ihre Wortwahl dahingehend entschieden ab. Der Artikel sagt fast mehr über Susan Boos’ Haltung zur Sexarbeit aus denn über sogenannte Native Ads. Sexarbeit ist nicht einfach «Elend». Wenn es ein Elend ist, dann in der Regel im Bereich des Menschenhandels, den auch wir verurteilen. Aber es gibt durchaus auch Sexarbeiter*innen, welche diese Variante der Erwerbsarbeit bewusst einer anderen Art Erwerbsarbeit vorziehen und sie selbstbestimmt, selbstsicher, emanzipatorisch und feministisch gestalten. «Ein Verbot löst das Problem nicht» – da hat sie allerdings recht. Unser «Problem» liegt aber nicht in der Sexarbeit an und für sich, sondern an deren Stigmatisierung. Mit ihrem Vergleich und dem Ausdruck «Nuttenjournalismus» trägt Boos zu dieser Stigmatisierung bei. Nothing about us without us!

A. und R., per E-Mail (Namen der Redaktion bekannt)

Noch nicht verloren

«Was vom Land noch geblieben ist», WOZ Nr. 36/2017

Seit vielen Jahren zeichnet sich Hanspeter Guggenbühl als fundierter Journalist aus, besonders in Energiefragen. Er hat in der WOZ beleuchtet, welche Landschaften seit 1987 durch Intensivnutzungen verunstaltet wurden. Dafür nimmt er das damalige Buch «Wandert in der Schweiz solang es sie noch gibt» von Jürg Frischknecht als Ausgangsreferenz. Ein spannender Vergleich, fürwahr, mit leider wenig erbauendem Resultat.

In einem Punkt jedoch irrt Hanspeter Guggenbühl – zum Glück. Der von Frischknecht beklagte Ausbau des Skizirkus Samnaun–Ischgl ist auf der Schweizer Seite bis jetzt nicht realisiert. Weder im Zeblaskessel noch im Ravaischer Salaas stehen heute touristische Transportanlagen. Dies ist insbesondere für den Ravaischer Salaas sehr wichtig. Findet sich doch dort ein einzigartiges Gipsdolinenfeld, das durch Lift- und Pistenbau unwiederbringlich zerstört würde. Bereits rücksichtslose Wanderer könnten dieses in Graubünden einmalige Landschaftselement schädigen.

Gesichert ist diese Landschaft aber leider noch immer nicht. Obwohl dieses Gebiet schon seit vielen Jahren im kantonalen Natur- und Landschaftsschutzinventar als schutzwürdige Landschaft eingetragen ist, droht ihm jetzt wieder die Zerstörung durch den überbordenden Tourismus. Aktuell durch entsprechende Eintragungen im Richtplan, der kurz vor der Genehmigung durch die Kantonsregierung steht. Wir können nur hoffen, die Umweltorganisationen werden diese Entwicklung noch stoppen können. Unterstützt sie dabei!

Hans F. Schneider, Says GR

Psychiatrie-Fakes

Medizin und Gesellschaft: «Schizophrenie ist ein magisches Wort mit unheilvoller Wirkung», WOZ Nr. 37/2017

Euer Interview mit Herrn Rufer (74) darf nicht einfach so unwidersprochen in der WOZ stehen! Die von Halb- und Vollfakes strotzenden Ansichten Rufers (zum Beispiel: Alle Psychopharmaka verursachen Hirnschäden und Sucht!) beweisen seine selektive Wahrnehmung, um nicht zu sagen seine Ignoranz. Er möchte das hochkomplexe Thema simplifizierend auf seine zwei Einsichten abmagern: Erstens: Die Psychiatrie hat ihre Krankheiten im Schlepptau der Industrie selber erfunden, um sich einen Daseinsgrund zu geben. Das ist eine der hartnäckigsten Verschwörungstheorien. Zweitens: Einem entgleisten psychisch Kranken muss einfach ohne Angst und einfühlsam begegnet werden, ohne dass der Arzt Medikamente und Zwangseinweisung verordnet. In einer solch a priori besonders schwierigen Situation versuchen wir diensttuenden Ärzte immer zuerst den von Herrn Rufer gezeichneten Zugang. Dazu bilden wir uns fort, machen Fallbesprechungen und suchen das Gespräch, um einen gewaltfreien, verantwortungsvollen, personalisierten und sicheren Umgang mit dem leidenden Patienten und seinem Umfeld zu finden. Wenn immer möglich versuchen wir eine Fürsorgerische Unterbringung (FU) zu umgehen. Nehmen Sie es mir nicht zu übel, Herr Rufer, aber ich finde ihre Haltung an der Grenze zur Bösartigkeit gegenüber ihren KollegInnen und auch selbstgerecht. Sie bringen uns keine neuen, brauchbaren Vorschläge für Verbesserungen in der Psychiatrie. Seitens der InterviewerInnen hätte ich mir nebst eurem Am-richtigen-Ort-Nachfragen (Chapeau!) mehr sachlichen Widerstand bei Rufers Breitschlagen von Unwahrheiten gewünscht.

Markus Baumann (66), Facharzt Allgemeine und Innere Medizin, per E-Mail