Roger Baldinger (1967–2017): Herzlich, bitterböse und entwaffnend

Nr. 39 –

Roger Baldinger war der Mann in der Ecke, der wenig sagte, aber alles überblickte. Wer ihn nicht kannte, sah einen brummeligen, grossen Mann, der neben der Produktion, dem Epizentrum der WOZ, hinter einem Computer sass. Er layoutete die Inserate. Das ist ein Job, der keine Fehler erlaubt, sonst werden die InserentInnen sauer, was sich eine Zeitung wie die WOZ nicht leisten kann. Dabei war er unverschämt klug und hätte irgendwo Karriere machen können, wenn er gewollt hätte.

Auch auf der WOZ hätte er viel Einfluss gewinnen können, weil man sofort merkte, dass da ein Schnelldenker am Werk war. Aber – darin war er radikal – es schien ihm zu reichen, was er hatte. Man hätte sich ein bisschen vor ihm fürchten können, wenn man ihn nicht kannte. Doch dann begegnete man sich im Raucherzimmer. Er las Zeitung, die Leute aus der Redaktion debattierten daneben aufgeregt über die Krisen der Welt oder Zoff im eigenen Betrieb oder beides miteinander. Roger sass nur da, man nahm ihn kaum wahr. Und dann, wie aus dem Nichts, konnte er einen einzigen Satz in den Raum setzen, der so sarkastisch wie präzise alles zusammenfasste, was es überhaupt zu sagen gab, dass alle für Sekunden verstummten; er besass einen grandiosen schwarzen Humor. Daneben konnte er eine Herzlichkeit zeigen, die vollkommen entwaffnend war.

Von sich selber gab Roger allerdings nie viel preis. Ich weiss nur, dass er eine kaufmännische Lehre absolviert hatte, dass er ein Musikfreak war, eine Zeit lang hatte er auch im legendären Zürcher Plattenladen Jamarico gearbeitet. Daneben mochte Roger Fussball und vor allem den Eishockeyklub Ambrì-Piotta. Mit FreundInnen reiste er in die Leventina an Matches. Und als das wegen seiner Krankheit nicht mehr ging, hielt er dem ewigen Underdog-Klub aus der Ferne die Treue.

Das Wichtigste war ihm aber seine heute sechzehnjährige Tochter. Er machte nie grosse Worte darum, aber es war unverkennbar, für sie gab er alles, tat er alles, auf sie war er unendlich stolz.

Sein vermaledeiter Diabetes machte ihm seit Jahren böse zu schaffen. Es ging ihm oft miserabel, oft hatte man das Gefühl, dass er nicht mehr kämpfen mochte und sich zu Hause verkroch. Vor einem Jahr stabilisierte sich sein Gesundheitszustand, er ging wieder vermehrt raus und genoss das Leben.

Letzte Woche ist Roger Baldinger unerwartet verstorben. Wir trauern um einen klugen, lieben Freund.