Literatur: SJW-Hefte und Willisauer Ringli

Nr. 41 –

Dieses Buch wird vermutlich auf zwei ganz unterschiedliche Arten gelesen: nostalgisch angeregt von SchweizerInnen, deren Jahrgang ungefähr jenem von Alain Claude Sulzer (1953) entspricht – oder staunend amüsiert von jungen und von bundesdeutschen LeserInnen. Denn in «Die Jugend ist ein fremdes Land» holt der in Basel, Vieux-Ferrette und Berlin lebende Autor den Alltag der fünfziger und sechziger Jahre ans Licht. Geradezu penibel verweilt er in den Gassen von Riehen bei Basel, wo er einen «schwebenden» Vikar gehen sieht oder freundliche Diakonissinnen; er beisst mit Widerwillen in die harten Willisauer Ringli und blättert in SJW-Heftchen. Mit seinem Bruder untersucht er das Jesuskind aus der Weihnachtskrippe: Es besteht aus Wachs und lässt sich tatsächlich schmelzen.

Es sind oft eher anekdotische Erinnerungen, die Alain Claude Sulzer in seinem neuen Buch präsentiert, wobei er sie historisch überprüft und für deutsche LeserInnen erläutert, etwa was es mit dem Landessender Beromünster auf sich hat. Er lässt auch seine Verwandtschaft Revue passieren und betrachtet quasi kopfschüttelnd den Röstigraben in der eigenen Familie: Seine Mutter war eine Welsche – von den «Romands» sprach man damals noch nicht – und hatte ihr Leben lang nicht richtig Deutsch gelernt. Das brachte Alain Claude und seinen Brüdern den Vorteil der Zweisprachigkeit, lässt ihn aber heute über die Einsamkeit seiner Mutter nachdenken. Nach ihrem Tod erst erfuhr er, dass sie sich von seinem Vater hatte trennen wollen. Dass sie mit dessen Faible für moderne Architektur nicht viel anfangen konnte, bekam er als Kind hautnah mit: Verbissen kämpfte sie gegen den schwarzen Spannteppich und die schwarz-weissen Tapeten im neuen Haus.

Es wird einiges an Spannungen und Konfliktstoff angedeutet in diesen kurzen Kapiteln aus Alain Claude Sulzers Jugend, aber nie ausgeführt oder vertieft. Das wirkt befremdlich, auf gut schweizerische Art verharmlosend. Oder ist es die archäologische Erinnerungsarbeit, die das Fundament für einen Roman über seine Jugend legt?

Alain Claude Sulzer: Die Jugend ist ein fremdes Land. Galiani Verlag. Berlin 2017. 224 Seiten. 29 Franken