Wahl in Österreich: In Wien wirds schmutzig

Nr. 41 –

Anpatzen. Wenn es ein Wort gibt, das die finale Phase des Wahlkampfs in Österreich geprägt hat, dann dieses. In dem Land spricht man von «anpatzen», wenn jemand sein Gegenüber verleumdet, im übertragenen Sinne also mit Schmutz bewirft. Genau das zu tun, wirft der Neokonservative Sebastian Kurz (ÖVP) dem Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) vor. Kern wiederum wird von ÖVP-nahen Kreisen angepatzt. Und Heinz-Christian Strache, dessen rechte FPÖ dafür berüchtigt ist, übelste Hetzkampagnen zu entfesseln, beklagt mit besorgter Miene den Verlust der politischen Kultur.

Auslöser der Schlammschlacht ist das Wirken Tal Silbersteins, eines israelischen Spezialisten für «Dirty Campaigning», das Organisieren von Schmutzkampagnen. Silberstein wurde im Frühjahr von Kern auf Anraten des Exkanzlers Alfred Gusenbauer angeheuert – laut Vertrag kassierte er mehr als eine halbe Million Euro für «Datenanalysen und Beratung». Der Mann gilt zwar als skrupellos, hat aber Spitzenpolitiker von Rumänien bis Bolivien erfolgreich gemanagt. Mitte August nahm die israelische Polizei Silberstein wegen Verdacht auf Geldwäsche und Bestechung vorübergehend fest. Kern zog die Notbremse und feuerte den Mann.

Was offenbar selbst in der SPÖ fast niemand wusste: Eine von Silberstein eingerichtete Giftküche kochte weiter. Zwei Wochen vor den Wahlen am kommenden Sonntag enthüllten die Zeitung «Die Presse» und das Magazin «profil», dass ein vom Spindoktor eingesetztes Team zwei gegen Kurz gerichtete Facebook-Seiten angelegt hatte: die eine als Fanseite («Wir für Sebastian Kurz») getarnt, die andere («Die Wahrheit über Christian Kern») mit antisemitischen Inhalten gespickt, die glauben machen sollten, die FPÖ stecke dahinter. Diese Seiten wurden auch nach Silbersteins Abgang weiter betrieben.

Der Israeli nimmt alle Verantwortung auf sich. Tatsächlich spricht einiges dafür, dass ohne Kerns Wissen gearbeitet wurde. Zu Recht meint er, die Kampagne sei nicht nur unmoralisch, sondern auch «blöd» gewesen. So etwas komme immer ans Licht.

Noch nicht aufgeklärt ist indes, wer die Seite «Die Wahrheit über Christian Kern» betreibt. Dort werden auch dessen Sohn und Ehefrau angepatzt. Ein Funktionär des ÖVP-Wirtschaftsbunds hat Eveline Steinberger-Kern wochenlang observieren lassen, um ein angebliches «rotes Fördernetzwerk» aufzudecken, in das die Kanzlergattin verstrickt sein soll. Der Herausgeber einer Gratiszeitung, der Kern ein Interview verweigert hat, beteiligt sich lustvoll an den «Enthüllungen». Die ÖVP will damit nichts zu tun haben.

Ebenso der Aufklärung bedarf die Frage, wie monatelang jedes Strategiepapier, jede Rede und jeder Reiseplan des Kanzlers in die Hände der ÖVP und ausgesuchter Medien gerieten. Ein Silberstein-Mitarbeiter behauptet, dass ihn ein Sprecher von Kurz abwerben wollte, um an Interna aus der Kern-Kampagne zu gelangen. Der Sprecher hat die Sache anders in Erinnerung. Am Wochenende gipfelten die gegenseitigen Anwürfe in wechselseitigen Klagedrohungen. Das bevorstehende Ende der Koalition, die früher mal eine grosse war, wird also ein gerichtliches Nachspiel haben.

Wenn die Affäre eines beweist, so ist es nicht, dass der Gebrauch digitaler Medien die politischen Sitten verroht hat, auch wenn das oft behauptet wird. Vielmehr wird offenkundig, dass sich die beiden Parteien, die die Republik nach dem Zweiten Weltkrieg ganze 44 Jahre gemeinsam regiert haben, nichts mehr zu sagen haben. Von der Schulpolitik über die Erbschaftssteuer und die Ehe für alle bis zur Migrationspolitik ist man in allen entscheidenden Punkten uneins. Die ÖVP hat nicht nur den gegen MigrantInnen gerichteten Kurs der FPÖ übernommen, sondern ist auch sonst meist einer Meinung mit Rechtsaussen.

Der SPÖ wäre eine Koalition mit den Grünen am liebsten. Allerdings liegt diese ausser Reichweite. ÖVP und FPÖ dürften allen Umfragen zufolge zusammen eine bequeme Mehrheit erhalten. Man muss also kein Hellseher sein, um vorherzusagen, wie die künftige Regierung zusammengesetzt sein wird.

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