Kulturpolitik: Atelierhaus vor dem Aus

Nr. 45 –

Freie Kunst wird zum Standortfaktor umgepolt: In Basel soll die älteste selbstverwaltete Ateliergemeinschaft der Schweiz aufgelöst werden. Doch im Atelierhaus Klingental regt sich Widerstand.

«Hier bleibe ich bis zur Zwangs­räumung»: Regula Hügli ist eine der 35 KünstlerInnen im Kleinbasler Atelierhaus Klingental.

Regula Hügli zögert mit dem Händeschütteln. Sie seien dreckig, denn sie habe gerade gearbeitet. Die Künstlerin arbeitet seit 25 Jahren im Atelierhaus Klingental im Basler Kasernenareal. Mit 81 Jahren gibt sie immer noch Malunterricht und arbeitet mit seltenen Techniken wie Silberstiftzeichnungen auf Eigrundierung: «Ich habe Papier gekauft, als würde ich 150 Jahre alt», sagt sie. Man spürt die angeregte Arbeitsatmosphäre im Atelierhaus Klingental, der ältesten selbstverwalteten Ateliergemeinschaft der Schweiz. Diese steht nun wegen einer Umnutzung der Stadt vor dem Aus.

Mitte der sechziger Jahre war die ehemalige Kirche noch Teil der Militärkaserne und beherbergte Sanitätstruppen. 1964 konnte die Künstlerin Mary Vieira den Oberst Albert Wellauer dafür gewinnen, einen Teil der Kaserne für Ateliers freizugeben. Später entstand daraus die Ateliergenossenschaft Klingental, 1974 kam ein Ausstellungsraum dazu. Vor drei Jahren erhielten die 35 KünstlerInnen die Kündigung auf Januar 2018. Die Stadt als Besitzerin der Liegenschaft will die Selbstverwaltung auflösen, das Haus umfassend sanieren und fast doppelt so teuer an ausgewählte Kunstschaffende vermieten.

Die Argumente der Stadt sind teilweise berechtigt: Jahrzehntelang wurden die Ateliers in undurchsichtigen Verfahren auf Lebenszeit vergeben. Die Folgen: Das Haus war überaltert, Ateliers wurden selten oder gar nicht genutzt. Doch im Atelierhaus hat man darauf reagiert. Das Alter der Kunstschaffenden liegt heute zwischen 28 und 87 Jahren. Bleiben Ateliers ungenutzt, können sie neu vergeben werden; über die Vergabe entscheidet das demokratische Plenum aller MieterInnen. Die Stadt schlägt hingegen ein Vergabeverfahren durch eine Fachjury vor, die nach Kriterien wie künstlerischer Qualität und Resonanz auswählt. Soziale Aspekte im Sinne des Zusammenlebens als Gemeinschaft sollen dabei nicht explizit berücksichtigt werden.

Von der Stadt gedemütigt

Durch die Renovation steigen die Ateliermieten von 50 auf 80 Franken pro Quadratmeter und Jahr. Das ist immer noch deutlich unter dem Marktpreis und bezahlbar für die meisten Kunstschaffenden. Die Laufzeit ist auf sieben Jahre beschränkt, und nach zwei Jahren muss ein Nachweis der Nutzung und der künstlerischen Tätigkeit erbracht werden. Die Stadt strebt auch eine Altersdurchmischung an: Acht Ateliers sollen an KünstlerInnen über sechzig Jahren gehen, mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Kein Interesse zeigt die Stadt hingegen daran, die Selbstverwaltung etwa über eine Leistungsvereinbarung weiterzuführen. Sie pocht auf die «Gleichberechtigung aller Kunstschaffenden», die im neuen Modell im Gegensatz zu vorher gewährleistet sei.

Eine «Gemeinschaft in Freiheit» nennt Regula Hügli die Selbstverwaltung. Für das Desinteresse der Behörden findet sie deutliche Worte: «Ich fühle mich von der Stadt gedemütigt.» Sie spürt keine Würdigung dafür, dass die Gemeinschaft fünfzig Jahre lang den Betrieb des Hauses übernommen hat. Es wurde gemeinsam geputzt, repariert und Sorge getragen. Die Stadt musste keine Kosten für den Betrieb aufwenden. Auf Anfrage heisst es seitens der Stadt, dass der Betrieb künftig durch ein zentrales Management für das gesamte Kasernenareal gewährleistet werden soll. Genaue Angaben für veranschlagte Kosten möchte die Stadt nicht nennen. Zusätzlich zum Betrieb kommen administrative Kosten für die Vergabe und die zweijährliche Qualitätskontrolle und Jury-Honorare hinzu. Man denkt unweigerlich an die Fehlplanung bei der Erweiterung des Basler Kunstmuseums, wo die Betriebskosten auch unterschätzt wurden: Nachdem ein Prestigebau teilweise durch grosszügige Gelder der Roche-Erbin Maja Oeri finanziert wurde, übersteigen nun die Fixkosten die Einnahmen.

Der lange Arm der Art Basel

Josef Felix Müller, Zentralpräsident von Visarte, der Berufsvereinigung der bildenden Künstlerinnen und Künstler der Schweiz, sieht den Fall im Zusammenhang mit der Stadtentwicklung, zumal unweit des Kasernenareals alljährlich die weltweit führende Kunstmesse Art Basel stattfindet. Statt das Atelierhaus als lokale, organisch gewachsene Struktur zu fördern, möchte es die Stadt für das Standortmarketing nutzbar machen – für Müller ein klares Zeichen einer «Kommerzialisierung der Kultur». Er spricht von einem Elitedenken, das bis in die Kulturämter reiche: «Man möchte Massstäbe setzen und entscheiden, was Qualität ist und was nicht.» Der Ateliergemeinschaft schlägt Müller vor, VertreterInnen der Stadt zu ihren Entscheidungsfindungen einzuladen: «Autonomie bedeutet schliesslich auch Auseinandersetzung mit anderen Meinungen.» Ein Vorschlag, den die KünstlerInnen der Stadt bereits gemacht haben – ohne Erfolg.

Gerade für ältere KünstlerInnen kann der Rauswurf ein «Existenzkiller» sein, wie Müller sagt. Ein Atelier unter ähnlich günstigen Konditionen zu finden, ist fast unmöglich. Auch Regula Hügli spürt diese existenzielle Bedrohung: Es ist ein definitiver Schritt in ein «Niemandsland». Sie könne nicht aufhören, Kunst zu machen – das sei, als würde man ihr sagen, sie solle aufhören zu atmen. «Ich war nie ein politischer Mensch», sagt Hügli. «Als die andern nach Kaiseraugst zum Demonstrieren gingen, habe ich Kinder gehütet und gekocht.» Doch trotzig schiebt sie nach: «Hier bleibe ich bis zur Zwangsräumung.»