Flüchtlingspolitik: Verlogenes Berner Treffen

Nr. 46 –

Das dritte Treffen der «Kontaktgruppe Zentrales Mittelmeer» sei ganz dem «Schutz der Flüchtlinge» gewidmet, hatte Justizministerin Simonetta Sommaruga im Vorfeld verkündet. Doch zunächst musste jemand anderes beschützt werden: Weil Autonome Staatssekretär Mario Gattiker bedroht haben sollen, erschien dieser an einer Amnesty-International-Diskussion am Wochenende in Begleitung von Bodyguards. Das Aufgebot erwies sich als unnötig.

Dass es zuerst um den eigenen Schutz geht, dieser Eindruck bleibt auch nach der Ministerkonferenz in einem Berner Luxushotel. Dort verabschiedete die Gruppe aus dreizehn europäischen und afrikanischen Staaten eine wolkige Erklärung: Von «Umsiedlung» und «Dialog» ist darin die Rede, von «freiwilliger Rückkehr» und «Kooperation». Doch dass diese Beteuerungen nicht einmal zu Symbolpolitik taugen, darüber konnte auch das Blitzlichtgewitter am Medientermin nicht hinwegtäuschen.

Europa sei keine Festung, sondern «ein sicherer Hafen für Schutzsuchende», beteuerte EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos. Doch an der verzweifelten Lage der Flüchtenden wird das Treffen wenig ändern. Das ist umso gravierender, als sich alle einig sind über die dramatische Lage in Libyen: Zehntausende sind dort in Haftzentren eingesperrt, zu denen Hilfswerke praktisch keinen Zugang haben und in denen Folter, Zwangsarbeit und sexualisierte Gewalt Alltag sind. Auch gibt es Berichte von Märkten, auf denen Menschen wie Waren gehandelt werden. Und wer es doch aufs Meer schafft, wird von der libyschen Küstenwache abgefangen und in die Lager zurückgezwungen. Das Geld und die Ausrüstung dafür liefern die EU und die Schweiz.

Statt die Schliessung der Haftzentren zu fordern, will die Kontaktgruppe, dass sich in den Lagern die «Bedingungen verbessern». Und weil man im Grunde weiss, dass es im Bürgerkriegsland Libyen mit seinen rivalisierenden Milizen und kriminellen Banden keinen Deal geben kann, werden die Grenzen verschoben: immer weiter nach Süden. Nun verlaufen sie durch die Sahara. Da ist es nur folgerichtig, dass das nächste Treffen der Gruppe im Niger stattfinden soll – dem derzeit wichtigsten Land für die Flüchtlingsabwehr.

Die wirklichen Schutzmassnahmen kommen in der Deklaration denn auch erst am Schluss. 50 000 Menschen sollen aus den Ländern entlang der Fluchtroute nach Europa geflogen werden, so will es die EU-Kommission: angesichts der Situation eine peinlich niedrige Zahl. Justizministerin Sommaruga hat die Teilnahme der Schweiz zugesichert, auch andere Länder sollen «Interesse» bekundet haben. Doch gerade die Schweiz agierte bisher überaus knausrig. Über die letzten Jahre hat sie Kontingente von wenigen Tausend Flüchtlingen beschlossen. «Bei der Aufnahme von Flüchtlingen wird die Schweiz wie immer nicht zu den Letzten gehören», sagte Staatssekretär Gattiker an der Amnesty-Veranstaltung. Besser wäre, sie gehörte für einmal zu den Ersten.

Ob es dem Bundesrat tatsächlich ernst ist, wird sich daran messen lassen, ob er möglichst rasch ein Kontingent ankündigt und ob er dieses dann auch rasch erfüllt. Dass die SVP Fundamentalopposition macht, ist getrost zu ignorieren: Wenn sie nicht einmal Menschen in äusserster Notlage helfen will, deren Schutz sie stets betont, zeigt die Partei ihr wahres Gesicht.

Über die Umverteilung hinaus bräuchte es dringend auch Visionen – diese vermisste man am Treffen in Bern jedoch schmerzlich. So werden Symptome einer Migration bekämpft, die man auch weiterhin als Problem erachtet und die sich doch nicht aufhalten lässt. Man versucht, das Tor nach Europa zu schliessen – und trägt damit doch nur zum Sterben bei.

Den Ansatz einer Vision bringt immerhin der letzte Punkt der Erklärung. Dort kann man von «Pilotprojekten» lesen, von «Stipendien» und «legalen Einreisewegen». Doch versprochen wird das nicht zum ersten Mal. Gerade hier offenbart sich die Verlogenheit einer Politik, die Schutz verspricht, wenn sie Abschottung meint. Dabei brachte es der malische Minister Abdramane Sylla mit einer simplen Formel auf den Punkt: «Wer weniger Tote will, muss mehr Visa ausstellen.»