Auf allen Kanälen: Servus, grüezi und salut!

Nr. 49 –

Die NZZ hat einen neuen Geschäftsführer, der sich mit «Märkten im Wandel» auskennt. Doch wer kennt sich bei der NZZ noch mit Publizistik aus?

«Ich gehe jetzt – und servus.» Das sollen die legendären letzten Worte Veit Denglers an das Team der NZZ gewesen sein. Der Verwaltungsrat hatte den Österreicher im Sommer 2017 seines Amtes enthoben. Vorige Woche erreichte die MitarbeiterInnen der NZZ Mediengruppe dann die frohe Kunde: Es ist ein Nachfolger für Dengler gefunden worden. Im Juni 2018 übernimmt Felix Graf die Geschäftsleitung. Er dürfte die Belegschaft wieder mit einem kräftigen «Grüezi» begrüssen: Der promovierte Physiker ist Zürcher. Zurzeit amtet er als Geschäftsführer der Centralschweizerischen Kraftwerke und ist in weiterer Funktion als Konzernleitungsmitglied der Axpo Holding tätig.

Felix Graf bringe aus unterschiedlichen Branchen viel Erfahrung im Management technologiegetriebener Veränderungsprozesse mit, hiess es im Medientext zur neuen NZZ-Personalie. Die Pressestelle betonte auch seinen Einsatz für die Swisscom, wo er bis 2009 für Unterhaltungsdienstleistungen wie Swisscom TV und das Bluewin-Portal verantwortlich war. Offenbar wird ihm das kurzerhand als Medienerfahrung angerechnet.

Fremd in der Branche

Fakt ist: Graf ist branchenfremd, genauso wie sein Vorgänger. Veit Dengler war vor seinem Posten bei der NZZ in den Geschäftsleitungen verschiedener Elektronik- und Konsumgüterunternehmen tätig. Ein Praktikum bei der Redaktion des amerikanischen «Time Magazine» verkaufte er bei seinem Stellenantritt bei der NZZ als Medienerfahrung – dem Journalismus habe seine erste Liebe gegolten.

Den Präsident des Verwaltungsrats dürfte der Mangel an Medienkenntnissen nicht sonderlich gekümmert haben, denn die hat Etienne Jornod selbst auch nicht. Er machte seine Karriere im Pharmaunternehmen Galenica und hält heute noch zahlreiche Verwaltungsratsmandate in der Pharmabranche. Dennoch gibt er sich gerne als Connaisseur der Medien. Vor wenigen Monaten schrieb er in den Kommentarspalten der NZZ eine Eloge auf die Wichtigkeit der Publizistik: «Verlässliche, gut recherchierte und glaubwürdige Informationen sind heute wichtiger denn je», schrieb er da. Als Beispiele, «dass es geht», führte er unter anderem den britischen «Economist» und die französische Onlineplattform «Mediapart» an.

Schulterschluss mit den Mächtigen

Dass er ausgerechnet die investigative Reporterplattform als Beispiel wählt, ist mehr als erstaunlich. Denn die NZZ ist sozusagen das Gegenteil derselben. Während die meisten Staatsaffären Frankreichs in den letzten Jahren zumindest teils auf Recherchen von «Mediapart» zurückgeführt werden können, übt sich die NZZ in der politischen und der Wirtschaftsberichterstattung im Schulterschluss mit den Mächtigen des Landes. Während «Mediapart» ihre JournalistInnen für Reportagen auch mal für einige Wochen ins Feld schickt, löst die NZZ ihr kleines Reporterteam auf und verteilt die JournalistInnen auf die streng abgegrenzten Ressorts «Inland» und «Zürich». Der einzige Journalist, der in der NZZ ausführlich über «Mediapart» geschrieben hatte, war der «Feuilleton»-Korrespondent Marc Zitzmann – sein Posten ist mittlerweile Budgetkürzungen zum Opfer gefallen, hinter denen manche RedaktorInnen eine politische Säuberungswelle vermuten (siehe WOZ Nr. 41/2017 ).

«Mediapart» verzichtet auf Werbung und wird über Abos finanziert. Die Abozahlen steigen kontinuierlich und haben sich seit der Gründung 2008 schon fast verdreifacht. Die Auflagen der NZZ-Produkte dümpeln dagegen vor sich hin. Es gäbe wahrlich vieles, was man sich bei «Mediapart» abschauen könnte – verstünde man etwas von Publizistik. Denn der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Medienunternehmen ist wohl der: Die französische Plattform wurde von JournalistInnen gegründet, die NZZ wird von Medikamenten-, Waschmittel- und Stromverkäufern geleitet.

Nach dem Abgang von Veit Dengler versprach Etienne Jornod dem NZZ-Personal einen Nachfolger, der «von der Innovationskultur besessen sein» müsse. Ausserdem müsse er JournalistInnen gern haben. Der Belegschaft ist zu wünschen, dass Felix Graf die JournalistInnen tatsächlich so gern hat, dass er sie bei künftigen Innovationen mitentscheiden lässt – denn sie sind die Einzigen im Haus, die etwas von Publizistik verstehen.