Im Affekt: Wann ist das Fernsehen so gut geworden?

Nr. 49 –

Ich bin ohne Fernseher aufgewachsen. Naturdokus, «Flipper» und als pädagogisch wertvoll eingestufte Kinderserien gabs in kleinen Dosen bei den Nachbarn und der Grossmutter. Die Nichtgewöhnung an TV-Action führte dazu, dass mich E. T. bei meinem ersten Kinobesuch zu Tode erschreckte. Und dass mir bis heute der Spannungsbogen jedes ab zwölf freigegebenen Hollywoodfilms zu viel ist.

Das Fernsehen blieb unwichtig – bis diesen Herbst. Jetzt, wo SRF-Konsum zur staatspolitischen Pflicht geworden ist, frage ich mich plötzlich, was ich alles verpasst habe. War es arrogant von mir, die ganzen Anstrengungen im Leutschenbach einfach zu ignorieren? Also begann ich, «Wilder» zu schauen. Und war sofort süchtig.

Diese Atmosphäre in den kalten Bergen, die Farben und Formen des Schnees, die Nachtaufnahmen. Die Musik passt genauso perfekt wie die schnellen, durchdachten Schnitte. Fiktive Geografien mit vertauschten Kantonen liebe ich sowieso, und wie bei jedem Film, der mir nahegeht, kann ich nicht aufhören, diesen Leuten zuzuschauen. Dem lakonischen alten Dorfpolizisten, dem Kochlehrling mit den Augenringen, der irrlichternden Bea, der zunehmend zwiespältigen Rosa Wilder. Und vor allem der wohl vielschichtigsten Figur von allen, dem todtraurigen Bundeskriminalpolizisten Kägi.

Unsympathischer gehts kaum, wie der am Anfang daherkommt: arrogant, eitel und mit einer Neigung zu Gewalt in Verhören. Dass die Brutalität mit einem Trauma zusammenhängt, kommt erst nach und nach zum Vorschein. Das ist natürlich ein Klischee, der harte und zugleich gebrochene Polizist. Aber der Berner Marcus Signer spielt ihn mit allen Nuancen seines unvergesslichen Gesichts, mit einer solchen physischen Wucht, dass mir der Schnauf wegbleibt.

Was habe ich verpasst? Oder ist das Fernsehen erst jetzt, im Abstimmungskampf, so gut geworden? Um uns zu zeigen, was wir zu verlieren haben?

Die Autorin hat Folge fünf noch nicht gesehen und will präventiv protestiert haben, falls Kägi etwas zustossen sollte.