Krise bei Greenpeace: Die politische Schlagkraft ist erlahmt

Nr. 49 –

Greenpeace Schweiz baut Stellen ab und setzt mitten in einem Strategieprozess die Geschäftsleitung ab. Als offizieller Grund für die Schwierigkeiten nennt die Umweltorganisation einen Rückgang bei den Spenden. Doch die Probleme liegen tiefer.

«Save the forest», steht in Leuchtbuchstaben in einem dunklen Wald. Daneben stattliche Bäume, um die ein Patchwork aus bunten Stoffvierecken genäht wurde. Das Bild – prominent platziert auf der Website von Greenpeace Schweiz (GPS) – illustriert die neuste Aktion der Umweltorganisation: Bastle ein symbolisches buntes Stofftaschentuch aus einem alten Stück Stoff, verkaufe es zugunsten von Greenpeace, nutze selbst nie wieder Papiertaschentücher und rette so den Wald!

Es ist erschreckend harmlos, wie Greenpeace gegen die Abholzung skandinavischer Wälder zur Produktion von Papiertaschentüchern protestiert. Vor allem, wenn man sich an frühere Aktionen erinnert, die oft an der Grenze des rechtlich Erlaubten kratzten und den zivilen Ungehorsam zelebrierten: besetzte Ölbohrplattformen, Blockade von Walfangschiffen, riesige Plakate an AKW-Kühltürmen oder das Ausrollen eines grossen Transparents gegen den russischen Ölkonzern Gazprom während eines Champions-League-Spiels im Basler St.-Jakob-Park.

In Zeiten, in denen Fotos und Videos im Sekundentakt auf verschiedensten Kanälen auf die Öffentlichkeit losgelassen werden, ist es schwieriger geworden, Bilder herzustellen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Jeder Baumarkt, jeder Quartierladen versucht sich an möglichst bunten Aktionen, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Sogar die rechtsextreme Identitäre Bewegung kopiert heute die Umweltorganisation bezüglich ihrer Protestaktionen. Greenpeace ist Opfer des eigenen Erfolgs geworden. Die Harmlosigkeit der aktuellen GPS-Aktion ist ein Ausdruck davon. Sie verweist auf tiefer liegende Probleme, mit denen der Schweizer Ableger der weltweit grössten Umweltorganisation zu kämpfen hat.

Im September gab die Kogeschäftsleitung von GPS ihr Amt per sofort ab. Mitten in einem laufenden Strategieprozess. Offenbar traute man Verena Mühlberger und Markus Allemann nicht mehr zu, diesen erfolgreich abzuschliessen. Ende Oktober entliess Greenpeace Schweiz sieben Mitarbeitende eines Telemarketingprojekts, noch diesen Monat sollen weitere fünf bis sieben Kündigungen folgen. Acht offene Stellen werden nicht mehr neu besetzt. Insgesamt werden mindestens vierzehn Vollzeitstellen abgebaut. Offizieller Grund für den Stellenabbau sind ausbleibende Grossspenden, vor allem aus Legaten.

Fokus auf Projekte im Ausland

Kaspar Schuler soll das Steuer jetzt herumreissen. Er ist derzeit Geschäftsleiter ad interim, so wie schon einmal im letzten Jahrzehnt. Er kennt die Organisation. Trifft man ihn im Büro von GPS in der hippen Zürcher Kalkbreite-Genossenschaft, wirkt es, als sei er nie weggewesen. «Ich finde Greenpeace immer noch die coolste NGO, die es gibt», sagt er.

Schuler ist als vorübergehender Chef in einer komfortablen Position: Die Probleme, die er jetzt lösen muss, hat er selbst nicht zu verantworten. Er kann sie deshalb klar benennen: «Man hatte zwar schon gemerkt, dass die Spenden in den letzten Jahren stetig gesunken waren. Zudem wurden die Reserven zugunsten des Aufbaus von Greenpeace-Büros im Süden abgebaut. Doch den unangenehmen personellen Konsequenzen wollte man sich nicht stellen», sagt Schuler. «Wenn dann am Ende des Jahres jeweils ein, zwei unerwartete Grossspenden oder Legate hereinkamen, dachte man: Ist ja alles halb so schlimm.»

Das schwierige Spendenumfeld, das auch andere NGOs zu spüren bekommen, ist aber nur ein Grund für die aktuelle Krise. Greenpeace hat in den letzten Jahren personell massiv aufgestockt: von 53 auf 90 Vollzeitstellen in nur sechs Jahren. «Wir sind angesichts der grossen Legate der letzten Jahre zu grosszügig geworden, was den Personalbestand betrifft», sagt Cécile Bühlmann. Sie ist Präsidentin des Stiftungsrats, der für die finanzpolitische Strategie von GPS verantwortlich ist. Weil in den letzten zwei Jahren vor allem grössere Legate ausgeblieben seien, seien die Kassen mittlerweile nicht mehr so gut gefüllt. «Wir müssen in Zukunft wieder anders – konservativer – budgetieren», gibt sich Bühlmann selbstkritisch.

Neben dem (zu) hohen Personalaufwand kommt hinzu: 45 Prozent der Spendeneinnahmen in der Schweiz fliessen in Projekte im Ausland. Und auch die Reserven werden seit rund zehn Jahren unter anderem dafür verwendet, beim Aufbau von Greenpeace-Ablegern in ärmeren Ländern mitzuhelfen. Greenpeace Schweiz ist weltweit der drittgrösste Geldgeber für internationale Greenpeace-Kampagnen.

Bald wie ein Privatkonzern?

Hört man sich in gut informierten Kreisen um, stösst insbesondere dieser Fokus auf internationale Kampagnen auf Kritik. Schon lange gebe es Druck von der Dachorganisation Greenpeace International, sagt eine Person, die seit Jahrzehnten eng mit Greenpeace verknüpft ist: Die internationale Dachorganisation mit Sitz in Amsterdam sehe in GPS vor allem eine «Milchkuh». «In der reichen, zahlungskräftigen Schweiz werden die Spenden gesammelt, mit denen dann in politisch gewichtigeren Ländern wie China oder Brasilien grosse Aktionen organisiert werden.» Das führe dazu, dass Greenpeace als politischer Akteur in der Schweiz an Bedeutung verliere.

Auch Stefan Füglister, von 2000 bis 2005 in der Geschäftsleitung für Kampagnen zuständig, sagt: «Die Abholzung von Wäldern oder Plastikmüll im Meer sind wichtige Themen. Aber mit diesem Fokus auf die globalen Themen zielt man nicht direkt auf den politischen Prozess in der Schweiz ab. Ich würde mir wünschen, dass Greenpeace wieder vermehrt konkrete umweltpolitische Themen aufgreift, die sich in der Schweiz sonst niemand anzusprechen traut und die auch internationale Bedeutung haben.» Also Furore machen mit einer spektakulären Themensetzung und nicht gezwungenermassen mit spektakulären Aktionen.

Kaspar Schuler und Cécile Bühlmann wehren sich beide gegen den Vorwurf, GPS sei hierzulande politisch nicht aktiv genug. Zum Beispiel hätten sich AktivistInnen an der letzten Generalversammlung der Grossbank Credit Suisse auf die Rednertribüne abgeseilt, um gegen die Finanzierung einer umweltzerstörenden Erdölpipeline zu protestieren. Doch, gesteht Schuler ein: «Einen grossen Coup zu landen, ist schwieriger geworden. Unsere Aktionen geraten heute schneller in Vergessenheit. Aber sie sind ja auch nur derjenige Teil unserer kontinuierlichen Arbeit, der am besten sichtbar ist.»

Mehrere Greenpeace-nahe Quellen, mit denen die WOZ gesprochen hat, sehen die Gefahr, dass bei GPS Fundraising und Marketing weit höher gewichtet werden als die Kampagnenarbeit und die Zusammenarbeit mit den engagierten Freiwilligen an der Basis. Unterscheidet sich Greenpeace, wie viele andere NGOs, bald kaum noch von Privatkonzernen, die eine unreflektierte Wachstumsstrategie verfolgen, wobei die politische Schlagkraft verloren zu gehen droht? Kaspar Schuler sagt dazu: «Über den Mix aus lokalem und globalem Engagement debattieren wir kontinuierlich. Aber eines ist sicher: Wir sind und werden keine global orientierte Geldmaschine.»

Wieder mehr politische Präsenz

Das ist die grosse Frage, die sich für die Geschäftsleitung und den Stiftungsrat stellt: Wie findet man eine Balance zwischen der Kampagnenarbeit, in der sich freiwillige AktivistInnen basisdemokratisch zusammenfinden, um gegen den Klimawandel zu handeln, und einem professionellen Betrieb, der jährlich Millionen generiert und klar hierarchisch organisiert ist?

«Greenpeace hat es bisher verpennt, ein ganz eigenes Managementkonzept zu entwickeln, das dem Bewegungscharakter der Organisation Rechnung trägt», sagt einer, der die Organisation seit langem kennt. Dieser Konflikt zwischen Basis und Führungsebene habe in der Vergangenheit offenbar viele inhaltliche Auseinandersetzungen blockiert: «Greenpeace müsste etwas ganz Eigenes erfinden und die Leute nicht nur in Managementausbildungen schicken.»

Bei Greenpeace ist man sich der zwei Kulturen, die unter einen Hut gebracht werden müssen, bewusst. Und zwar nicht nur in der Schweiz. Schliesslich ist die gesamte Organisation davon betroffen, dass der Spendenmarkt immer umkämpfter wird und Greenpeace sein Alleinstellungsmerkmal als starker Bildproduzent verloren hat. Schon jetzt kristallisiere sich ein Fokus im Strategieprozesses heraus: «Wir wollen wieder mehr Menschen in unser Handeln und unsere Aktionen miteinbeziehen», sagt Bühlmann. Und kündigt für kommendes Jahr mehr politische Präsenz an. Im Zuge der Konzernverantwortungsinitiative, die von GPS mitlanciert wurde, ist das Aufdecken von Umweltverbrechen aufgegleist.