Mediengeschichte: Die Rundspruchgesellschaft wird zur SRG: Der lange Kampf um die Sendehoheit

Nr. 49 –

Die Linke hat schon in der Gründungszeit mit der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) gehadert. Und die Verleger wollten sie von Anbeginn schwach halten – bis sie einen Teil des Kuchens erhielten. Ein Blick in eine turbulente Geschichte.

Zeitungen in der Schweiz – die grosse Übersicht (grosse Ansicht der Grafik). Grafik: WOZ

Die No-Billag-Initiative ist eine No-SRG-Initiative: Wird sie angenommen, gibt es in der Schweiz kein öffentliches Fernsehen und keine öffentlichen Radioprogramme mehr, sondern nur noch kommerzgetriebene. Monaco ist das einzige europäische Land, in dem das heute schon so ist.

In der Bundesverfassung würde nach Annahme der No-SRG-Initiative stehen: «Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben.» Zudem: «Der Bund betreibt in Friedenszeiten keine eigenen Radio- und Fernsehstationen» und «subventioniert keine Radio- und Fernsehstationen».

Die ersten Auseinandersetzungen

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) hat immer wieder für heftige Debatten gesorgt. Die Auseinandersetzungen begannen, noch bevor es in der Schweiz Radiostationen gab. Anfang des letzten Jahrhunderts kam die drahtlose Telegrafie auf, die Radioübertragungen erst möglich machte. Dafür interessierten sich nur Physiker, bis man realisierte, dass man damit auch Wetterberichte oder politische Informationen verbreiten konnte. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs verboten die Schweizer Behörden die private Radiokommunikation.

Nach dem Krieg breitete sich das Radio allmählich in Europa aus. Der Bund mischte sich ein, weil er das Radio «nicht den Marktkräften überlassen» wollte, wie Edzard Schade in der «Geschichte der Schweizerischen Rundspruchgesellschaft SRG bis 1958» schreibt. Der Bund habe strenge Programmvorschriften erlassen, um die Zeitungsverleger zu unterstützen, die eine publizistische Konkurrenz durch das Radio verhindern wollten. Am Anfang waren also die Verleger noch befriedet.

1931 wurde dann die Schweizerische Rundspruchgesellschaft (SRG) gegründet. In den grossen Städten wurden Studios gebaut. Das Radio war auf dem Weg zum Massenmedium. Doch bald kam es zu ersten Auseinandersetzungen. Die SRG wollte Nachrichten verbreiten, durfte das aber nicht, weil die Verleger – wie auch die damalige Aufsichtsbehörde – der Meinung waren, das Radio sei primär ein Bildungs- und Unterhaltungsmedium. Die Bürgerlichen dominierten den Staat total, stellten den ganzen Bundesrat und waren der Meinung, die politische Information obliege den Zeitungen, die auch vorwiegend in bürgerlicher Hand waren.

Schon 1930 war der «Arbeiter-Radiobund der Schweiz» (Arbus) gegründet worden, die wohl erste Medienorganisation der Schweiz. Der Arbus kritisierte, dass wohl «die faschistische Schützenfestrede» von Altbundesrat Jean-Mary Musy auszugsweise ausgestrahlt worden sei, die Linke aber überhaupt keine Sendezeit bekäme. Vehement verlangte der Arbus eine «Demokratisierung der SRG».

Konkret wollte zum Beispiel Ernst Nobs aus der «Frühzeit der Arbeiterbewegung» berichten oder Max Weber über das Thema «Was wäre von Korporationen zu erwarten?». Die SRG-Studios lehnten kategorisch ab. Beide Männer wurden später für die SP in den Bundesrat gewählt. Doch vor dem Zweiten Weltkrieg konnten die Bürgerlichen die Linke noch ignorieren.

Als der Krieg begann, brach die Diskussion ab. Die Nazis nutzten das Radio, um systematisch faschistische Propaganda zu verbreiten. Ohne Radio hätte Hitler wohl kaum dermassen schnell breite Bevölkerungsschichten hinter sich scharen können.

Bevölkerung will kein Fernsehen

Auch der Bundesrat wechselte in den Kriegsmodus und entzog 1939 der SRG die Sendekonzession. Das war die einzige Zeit, in der die Schweiz wirklich einen Staatssender hatte: Bis im Sommer 1945 unterstanden alle Radiosendungen staatlicher Kontrolle (vgl. «Kein ‹Staatsfunk›»).

Nach dem Krieg wehrte sich der Arbus immer wieder gegen Gebührenerhöhungen. Je höher die Gebühren, so warnte er, desto mehr SchwarzhörerInnen werde es geben: «Um aber der steigenden Zahl von Schwarzhörern begegnen zu können, bedarf es eines erweiterten Kontrollapparates, was rein administrativ stark ansteigende Kosten verursachen würde.» Der Arbus kritisierte die aggressiven Methoden der Gebühreneintreibung und riet schon früh – was überraschen mag –, man solle dem Radio doch «Reklamesendungen» erlauben, um die finanzielle Situation der SRG aufzubessern.

In den fünfziger Jahren kam dann das Fernsehen auf, das auch finanziert werden musste. Das Schweizer Fernsehen startete im Probebetrieb. Um es als Service public langfristig finanzieren zu können, schlug der Bundesrat einen Verfassungsartikel vor, der die Konzessionierung grundsätzlich geregelt hätte. Im Abstimmungskampf versuchte er, die Bevölkerung mit dem Argument zu überzeugen, bei der definitiven Einführung des Fernsehens gehe es schliesslich auch um geistige Landesverteidigung. Doch das verfing nicht. Die Leute trauten dem Fernsehen nicht und lehnten 1957 den Verfassungsartikel ab.

Also musste nun ein Fernsehsender aufgebaut werden, der ohne die Gebührengelder der bestehenden Radiosender auskommen musste. Der Bundesrat unterbreitete noch im selben Jahr dem Parlament eine Botschaft, die vorsah, dem Schweizer Fernsehen ein Darlehen zukommen zu lassen und eine Konzession zu gewähren. Das Parlament ging darauf ein, was es dem Fernsehen erlaubte, am 1. Januar 1958 den regulären Betrieb aufzunehmen.

Das Ende des SRG-Monopols

Anfang der siebziger Jahre besassen bereits über eine Million Haushalte ein Fernsehgerät, und immer noch gab es keinen Verfassungsartikel. Erneut wurde im Parlament über einen Radio- und Fernsehverfassungsartikel debattiert. Alle stellten ihre Forderungen. Der Bund der Frauenorganisationen verlangte zum Beispiel, dass diese bei der Programmgestaltung aktiv mitwirken könnten. Die Linke wollte ein breites Bildungsfernsehen, das über Gebühren finanziert würde. Die Schweizer Kirchen wünschten eine «Vielfalt privater und öffentlicher Konzessionsnehmer». Der Arbeitgeberverband fürchtete den «Missbrauch der Monopolmacht».

In jener Zeit gründete der SVP-Nationalrat Walther Hofer die Schweizerische Radio- und Fernsehvereinigung, die dann als «Hofer-Club» bekannt und berüchtigt wurde. Hofer sah schon damals die SRG als einen Hort von Linken und wollte sie an die Kandare nehmen. SVP-Übervater Christoph Blocher gehörte dem Club auch an.

Rechtsaussenpolitiker liessen danach nicht mehr locker, gründeten Organisationen und Publikationen wie den «Trumpf Buur», um kontinuierlich den «linken Staatssender» zu diffamieren. Wirklich erfolgreich waren sie damals allerdings noch nicht. Doch auch der neue «Verfassungsartikel über Radio und Fernsehen», den der Bundesrat ausgearbeitet hatte, wurde 1976 an der Urne abgelehnt.

Ende der siebziger Jahre begann Roger Schawinski – der vorher selber fürs Schweizer Fernsehen gearbeitet hatte –, mit seinem Piratensender Radio 24 von Italien aus in die Schweiz zu senden. Das war der Anfang der Liberalisierung und das Ende des reinen SRG-Monopols.

1984 stimmte die Bevölkerung dann erstmals einem Verfassungsartikel fürs Radio und Fernsehen zu. Damit wurde der Grundstein für die Zulassung privater Sender gelegt. Verschiedene Lokalradios und TV-Sender versuchten danach, sich auf dem Schweizer Markt zu etablieren. Doch der Markt war einfach zu klein. Die kommerziellen Projekte überlebten nur kurze Zeit. Die kleinen politischen Lokalradios wie das Zürcher Radio Lora oder das Berner Radio Rabe haben sich jedoch bis heute halten können.

Die Zeitungsverleger sind dem Geschäft mit den elektronischen Medien ebenfalls treu geblieben – aus einem einfachen Grund: Ihre lokalen Fernseh- und Radiostationen profitieren von den SRG-Gebühreneinnahmen. Insgesamt fliessen jährlich sechzig Millionen zu den lokalen Radio- und Fernsehstationen. Damit kommen sie ganz ordentlich über die Runden.

Die AZ Medien AG, die der Verlegerfamilie Wanner gehört und unter anderem die «Aargauer Zeitung» herausgibt, betreibt noch drei lokale Fernseh- sowie zwei Radiostationen (vgl. Liste in der Grafik). Die NZZ-Mediengruppe kontrolliert drei Radio- und zwei Fernsehstationen. Somedia, die der Familie Lebrument gehört, hat je einen Radio- und einen Fernsehsender. Der Tamedia-Konzern hat hingegen alle elektronischen Medien verkauft – und kann deshalb heute auch ungeniert gegen die SRG schiessen, weil der Verlag nicht mehr vom Gebührensplitting profitiert.

Da schliesst sich der Kreis. Über die Ausrichtung der SRG wurde immer wieder gestritten, aber letztlich ging es stets ums Geschäft. Allerdings irren sich heute alle, die glauben, sie würden vom Untergang der SRG ökonomisch profitieren: Die Werbegelder, die die SRG heute einstreicht, werden zu den ausländischen Privatsendern, zu Google und Facebook fliessen – aber kaum in die Kassen von Schweizer Verlegern.

Die immer gleichen Fronten

(Grosse Ansicht der Illustration) Illustration: Ruedi Widmer

Der Arbus ist heute immer noch als «Vereinigung für kritische Mediennutzung» aktiv. Neben Privatmitgliedern gehören ihm zahlreiche SP-Sektionen, Gewerkschaften und der MieterInnenverband an. Er äussert sich auch immer noch kritisch zur «Kopfgeldjägerei der Gebühreneintreiber», kritisiert die SRG, wo immer sie Unsinn macht, und kämpft gegen «No Billag». Das ist also über die Jahrzehnte hinweg gleich geblieben: Die Rechte hat immer versucht, die SRG lahmzuschiessen; die Linke hat sie stets leidenschaftlich kritisiert, in der Hoffnung, sie demokratischer zu machen. Sie ganz abzuschaffen, kam – bis jetzt – noch nie jemandem in den Sinn.

Kein «Staatsfunk»

Die SRG wird manchmal abfällig als Staatssender bezeichnet. Das ist sie nicht, weil Staatssender direkt von der Regierung kontrolliert werden. Die SRG ist nicht einmal ein öffentlich-rechtliches Medienunternehmen, da sie nicht über Steuern, sondern über Gebühren finanziert wird und auch nicht dem Staat gehört, sondern als Verein organisiert ist. Deshalb ist die SRG einfach ein «öffentliches Medienunternehmen». Allerdings ist sie vom Gesetz zu grosser Ausgewogenheit verpflichtet. Wer sich von einem SRG-Sender unkorrekt behandelt fühlt, kann an die Ombudsstelle gelangen. Falls man mit deren Stellungnahme nicht zufrieden ist, steht der Gang zur Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) offen. Die UBI ist wie ein Gericht organisiert und kann hohe Bussen verhängen.