Jerusalem: Evangelikale Schlacht um die Heilige Stadt

Nr. 50 –

Die Entscheidung des US-Präsidenten, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, wurde von christlichen FundamentalistInnen herbeigeführt. Dass der Friedensprozess damit beendet ist, liegt in ihrem apokalyptischen Kalkül.

Und der Herr redete mit Mose und sprach: Gebiete den Israeliten und sprich zu ihnen: Wenn ihr ins Land Kanaan kommt, so soll das Land, das euch als Erbteil zufällt, das Land Kanaan sein nach diesen Grenzen.
(4. Mose 34,1–12)

Endlich hat er ihre Gebete erhört, endlich sein grosses Versprechen erfüllt. «Er», das ist für die ChristInnen in den USA meist Gott im Himmel – für manche aber auch der Herr im Weissen Haus. Denn US-Präsident Donald Trump hat letzte Woche Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt.

Pat Robertson, einer der wortgewaltigsten und einflussreichsten Vertreter des christlichen Fundamentalismus, feierte die Entscheidung im eigenen TV-Sender: «Im Sechstagekrieg übernahmen die Juden endlich die Souveränität über Jerusalem, und es ist absolut entscheidend für die biblische Prophezeiung, dass sie die Kontrolle darüber behalten», belehrte der 87-jährige «Televangelist»-Pionier sein Publikum von mehreren Hunderttausend Gläubigen. «Denken Sie daran: Wenn Sie sich für die Zerschlagung Jerusalems einsetzen, wenden Sie sich gegen das direkte Wort Jesu. Gott wird das nicht zulassen. Es wird eine grosse Schlacht geben, eine um Jerusalem.»

Leute wie Robertson regieren im Moment die USA. Denn Trump, der mit jedem Tag weitere MittewählerInnen vergrault, muss unbedingt die evangelikalen Bevölkerungsschichten mobilisieren, sonst hat er 2020 keine Chance auf eine Wiederwahl, falls er die Russlandaffäre bis dahin überhaupt überdauern kann. Zwischen zwanzig und dreissig Prozent aller US-AmerikanerInnen bezeichnen sich als «evangelical» – als protestantische ChristInnen, die die Bibel als direktes Wort Gottes betrachten. In den verschiedenen evangelikalen Kirchen sind erzkonservative Weisse stark vertreten. Durch das US-Wahlsystem sind die Evangelikalen zudem besonders im Senat sehr stark – und mit Vizepräsident Mike Pence und einigen hochrangigen BeraterInnen im Weissen Haus auch ein zentraler Teil der Regierung.

Jede Bestätigung einer biblischen Phrase in der weltlichen Realität ist für stramme Evangelikale ein Beweis der Überlegenheit ihres Glaubens. Dass sich manche ihrer populärsten VertreterInnen – wie etwa der trotz Trumps Unterstützung als Senatskandidat gescheiterte Roy Moore – gerne auch antisemitisch äussern, tut wenig zur Sache. Schliesslich verspricht die Bibel den JüdInnen ein Land im Nahen Osten, nicht in den USA. Dies mit dem besonders bei Islamophoben willkommenen Nebeneffekt, dass sie in einem militärisch aufgerüsteten Israel eine Front gegen arabische MuslimInnen bilden können.

Gemäss einer wissenschaftlichen Befragung der US-Bevölkerung vor vier Jahren glauben über achtzig Prozent der weissen Evangelikalen, dass es Gott war, der Israel dem jüdischen Volk gegeben hat. In der jüdischen US-Bevölkerung ist der entsprechende Anteil nicht einmal halb so hoch. Viel mehr Evangelikale als JüdInnen meinen auch, dass die USA Israel «stärker unterstützen» müssten und dass eine «friedliche Zweistaatenlösung» nicht möglich sei.

Auf deine Mauern, Jerusalem, habe ich Wächter bestellt. Den ganzen Tag und die ganze Nacht werden sie keinen Augenblick schweigen. Ihr, die ihr den Herrn erinnert, gönnt euch keine Ruhe und lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichtet und bis er es zum Lobpreis macht auf Erden!
(Jesaja 62,6–7)

Selbst für die bedeutendste proisraelische Lobbyorganisation der USA, das konservative jüdische American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), war die Anerkennung Jerusalems keine Toppriorität. Einen willigen Partner fanden die US-Evangelikalen und Trump hingegen im israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, obwohl dieser das Thema bisher nicht an die grosse Glocke hängen wollte. Denn faktisch ist Jerusalem längst gänzlich in israelischer Hand: Die Uno-Resolution von 1947, die eine internationale Verwaltung der von Arabern wie Jüdinnen beanspruchten Heiligen Stadt vorsah, wurde nie umgesetzt.

Nach kriegerischen Auseinandersetzungen im Jahr darauf war die Stadt zweigeteilt in einen israelischen Westen und einen jordanischen Osten. Im Sechstagekrieg von 1967 wurde Ostjerusalem von Israel besetzt, 1980 annektiert. Seither toleriert ein Grossteil der Uno-Mitgliedstaaten die israelische Herrschaft über ganz Jerusalem wie auch die Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten stillschweigend, auch wenn das völkerrechtlich illegal ist.

Fünfzig Jahre lang war es das oberste Ziel aller israelischen Regierungen, dieses Stillschweigen zu bewahren. Und deshalb war auch Netanjahu bis jetzt nicht darauf erpicht, dass Kollege Trump etwas in die Welt hinausposaunt, das den Status quo verändern könnte.

Bis jetzt. Jetzt ist Netanjahu froh, dass er nach vielen Jahren an der Macht endlich einen grossen politischen Erfolg geschenkt bekommen hat. Den braucht er unbedingt, weil er persönlich noch viel mehr in der Bredouille steckt als Trump: Eine massive Korruptionsaffäre macht Netanjahu zu schaffen; seit Anfang Dezember gehen in Tel Aviv Zehntausende auf die Strasse, um seinen Rücktritt zu fordern. Ob der Jerusalem-Coup Netanjahu innenpolitisch retten wird, ist nicht sicher, die Proteste gegen ihn gehen jedenfalls unvermindert weiter.

Und mittelfristig könnte Trumps symbolische Jerusalem-Entscheidung der israelischen Realpolitik genau so sehr schaden wie dem US-amerikanischen Einfluss in der Region. Bisherige Partnerregierungen der USA, jene Saudi-Arabiens, Ägyptens und Jordaniens etwa, konnten ihre israelfreundliche Politik innenpolitisch ebenfalls dank des internationalen Stillschweigens aufrechterhalten. Nun geraten sie aber zunehmend unter den Druck einer Öffentlichkeit, die von ihnen fordert, mehr für die palästinensische Sache zu tun.

Denn still ist es nirgends mehr: Proteste im Westjordanland und in Jerusalem. Ein Raketenduell zwischen der im Gazastreifen regierenden Hamas und Israel. Eine Messerattacke in Jerusalem. Das alles führte zu vier Toten und Dutzenden Schwerverletzten. Proteste auch sonst fast überall in der islamischen Welt von Marokko bis Indonesien. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zürnte in der Rhetorik heiliger Schriften, Amerika stürze die Region und die Welt «in ein unendliches Feuer»; Israel bezeichnete er als «Terrorstaat» und «Land der Kindermörder». Auf den Strassen Berlins drohten junge Muslime den JüdInnen lauthals mit der «Armee Mohammeds», in Göteborg gab es einen Brandanschlag auf eine Synagoge.

Es waren Dämonen, die aufsehenerregende Wunder taten. Sie brachten alle Könige der Erde dazu, ihre Truppen zu dem Krieg aufmarschieren zu lassen, der an jenem grossen Tag des allmächtigen Gottes beginnt.
(Offenbarung des Johannes 16,14)

Die heftigen Reaktionen der letzten Tage waren absehbar – und ganz zur Freude von Rechtsradikalen wie Evangelikalen. Nichts provoziert FundamentalistInnen einer monotheistischen Religion mehr als der Verlust der Heiligen Stadt, auch wenn dieser nur symbolisch ist.

«Es wird eine grosse Schlacht geben, eine um Jerusalem»: Der US-amerikanische TV-Prediger Pat Robertson ist einer von vielen Evangelikalen, die das in der prophetischen Johannesoffenbarung erwähnte «Armageddon» als neuzeitliche Entscheidungsschlacht zwischen Israel und muslimischen Herrschern deuten. Darauf folge das tausendjährige Friedensreich, regiert von Jesus Christus höchstpersönlich.

«Allen ist nun bewusst, dass der Friedensprozess zu Ende ist»: Das sagt Jehuda Schaul, einer der Gründer der israelischen Menschenrechtsorganisation Breaking the Silence. Seine nüchterne Analyse wird von vielen in der Zivilgesellschaft Israels und Palästinas geteilt. Denn die USA sind als Vermittler nicht mehr glaubwürdig. Und die EU, die institutionell gelähmt und in der Nahostpolitik tief gespalten ist, wird nicht in die Bresche springen.

Russland und auch China scheinen hingegen bereit, sich verstärkt einzumischen. Mit offenem Ausgang. Sicher ist einzig, dass Demokratie und Menschenrechte dadurch nicht automatisch gefördert werden. Aber immerhin betreiben die beiden autoritären Regimes eine tendenziell rationale, säkulare Aussenpolitik. Damit steigt die Chance, dass die apokalyptische Schlacht, die sich einige Evangelikale herbeisehnen, doch noch nicht unmittelbar bevorsteht.