Linke Siege: Im Aargau kommt Hoffnung auf

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Bei den Gemeinderatswahlen im Kanton Aargau jubelten die Linken: Die SP eroberte im SVP-Kanton die Mehrheit der Sitze. Ist das die Wende?

Kantonale Sitzverschiebungen (grosse Ansicht der Grafik). Quellen: Werner Seitz / Bundesamt für Statistik; Grafik: WOZ

Windisch gibt nicht viel her: Das Dorf hat 7000 EinwohnerInnen, Landidylle aber findet man hier nicht. Die Gemeinde liegt in der Industriezone irgendwo zwischen Zürich, Bern und Aarau. Direkt hinter dem Bahnhof thront der Campus Brugg-Windisch: ein überdimensionierter Bau der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Hier, in der Anonymität, trinkt Paul Bitschnau gerne in Ruhe seinen Kaffee. Es sei gut für Windisch, sagt er, dass der Campus hier angesiedelt wurde. Aber die gewünschte Ausstrahlung erziele er noch nicht wirklich, «alles ist ein bisschen kalt».

Bitschnau ist Präsident der SP-Ortspartei. Und er sitzt im Gemeinderat von Windisch. So viel Aufmerksamkeit wie in den letzten Wochen hat er in seiner Politkarriere noch nie erhalten: Bei den Aargauer Gemeinderatswahlen von Ende November hat die SP in Windisch vier Sitze gewonnen, auf Kosten von SVP, FDP und EVP. In Windisch waren die Verschiebungen am grössten, doch hat im gesamten Kanton ein Linksrutsch stattgefunden. In vier von sechs Gemeinden, in denen gewählt wurde, legte die SP auf Kosten der Bürgerlichen zu – und ist nun stärkste Partei in den Gemeindeparlamenten des Kantons. Die SVP verlor 16 Sitze.

Die Ergebnisse lösten Euphorie aus: «Wie geil ist das denn!», twitterte der Aargauer Ko-Kantonalpräsident und Nationalrat Cédric Wermuth. Die Resultate sind eine Bestätigung der Grossratswahlen von 2016: Auch im Kantonsparlament hatte die SP fünf Sitze gewonnen. Die SVP blieb mit 45 Sitzen stärkste Kraft, die Grünen stagnierten, die Verluste gingen auf das Konto von BDP und CVP.

«Sie holen keine Unternehmen»

Die SP hatte schnell Erklärungen für ihren Erfolg parat: Man habe eine erfolgreiche Kampagne gegen die Abbaupolitik des Kantons geführt. Paul Bitschnau sagt: «Bei den Gemeinderatswahlen haben wir den Finger auf die wunden Punkte der bürgerlichen Politik gelegt. Im Grossen Rat sind FDP und SVP so stark, dass sie durchmarschieren konnten. Sie müssen den anderen gar nicht zuhören, sondern können gemütlich Kaffee trinken.» Viele StimmbürgerInnen hätten genug davon, sagt Bitschnau. Sie hätten gemerkt, dass die Rezepte der Rechten nicht funktionierten. «Wir haben aufgezeigt, dass sie mit ihrer Tiefsteuerpolitik nicht fette Steuerzahler und Unternehmen anlocken, sondern einfach die Rahmenbedingungen für die Reichen verbessern. Und wir hatten die besseren Konzepte, in der Kultur, bei der Bildung, in der Umweltpolitik.»

Wie bereits bei den Nationalratswahlen 2015 setzte die SP zudem erfolgreich auf eine Basiskampagne am Telefon. Doch für den Erfolg ist nicht allein die Wahlstrategie verantwortlich. «Die pessimistische Auslegung wäre, dass wir einfach die Zürcher und Basler bekommen haben», sagt Cédric Wermuth. Der Aargau wächst wöchentlich um rund hundert Personen. Es sind vornehmlich Menschen aus Zürich, die hierherziehen. Eine gut ausgebildete, urbane Mittelschicht, die in den zur Metropolitanregion aufstrebenden Gemeinden des Aargauer Mittellands günstigere Wohnungen findet. Auch Paul Bitschnau ist vor zwölf Jahren aus Zürich zugezogen. Er habe mit seiner Frau einen praktischen neuen Lebensmittelpunkt in der Nähe ihrer Arbeitsorte gesucht, sagt der Schulleiter. Wie ihm sei es vielen Bekannten ergangen. «In Windisch bist du umgeben von Leuten aus der ganzen Schweiz, die irgendwie hier gelandet sind. Das hat die Dynamik sicher verändert.»

Wird der Kanton also einfach urbaner, schichten sich die WählerInnensegmente um? Oder ist der Linksrutsch im Aargau, wie Politologe Mark Balsiger nach den Wahlen vermutete, tatsächlich auch ein Ausdruck davon, wie die Parteien national unterwegs sind? Ein Blick auf die Statistik zeigt: Schweizweit konnten die linken Parteien nach den Nationalratswahlen 2015 in den Kantonen einen leichten Zuwachs verzeichnen (siehe Grafik). Erfolgreich waren bei den zwölf seither abgehaltenen Parlamentswahlen in erster Linie die Grünen, die vierzehn Sitze zulegten; die SP gewann drei Mandate dazu. Auf der anderen Seite verlor die SVP erstmals wieder – vier Sitze insgesamt. Doch von einem Linksrutsch ist das Land weit entfernt: Die FDP ist mit 21 Sitzgewinnen wieder erfolgreich unterwegs, während die anderen Mitteparteien, mit Ausnahme der Grünliberalen, Sitze verloren.

Spannend ist ein Blick in die einzelnen Landesregionen: Während die SVP in der Ostschweiz ungebrochen erfolgreich ist, verlor sie im Frühling in Neuenburg die Hälfte ihrer Sitze. Diesem Einbruch steht in der Romandie der Grosserfolg der Grünen gegenüber: Im Walliser Kantonsparlament schafften sie den Sprung von zwei auf acht Sitze (wobei dort auch das System der Zuteilung der Sitze verändert wurde), in Neuenburg gewannen sie fünf, in der Waadt zwei. Politologe Werner Seitz, der die Wahlen statistisch analysiert hat, sieht als eine mögliche Erklärung für die SVP-Verluste, dass die SVP in der Westschweiz mit ihrem wirtschaftsliberalen Kurs weniger Unterstützung finde als in der Deutschschweiz. Im Wallis und in Neuenburg hätten zudem personelle Probleme eine Rolle gespielt. Die Grünen wiederum hätten bereits in den neunziger Jahren den Grundstein für die Wende in der Romandie gelegt. «Warum das genau dort gelingt, ist schwierig zu erklären, sicher konnten die Grünen sich 2016 in ökologisch bedeutenden Volksabstimmungen gut profilieren. In Neuenburg können die Gewinne auch als Reaktion auf die grossen Verluste bei den letzten nationalen Wahlen verstanden werden.»

Vergleicht man die Aargauer Parlaments- und Gemeinderatswahlen mit dem nationalen Trend, relativiert sich ihr Ausgang etwas. Werner Seitz sagt: «Man kann feststellen, dass der ungebremste flächendeckende Aufstieg, den die SVP seit zwanzig Jahren erlebt hat, vorbei ist.» Bei den Wahlen, die kurz nach den Parlamentswahlen stattgefunden haben, legte die Partei noch zu. «Inzwischen scheint sich aber auszuwirken, dass die Partei nicht nur in einigen Kantonen, sondern auch national nicht in Hochform ist. Sie verlor Abstimmungen – und stand im Parlament oft alleine da.» Die FDP hingegen habe offensichtlich ihren jahrzehntelangen Niedergang stoppen können. «Sie geniesst wieder Vertrauen in der Bevölkerung und macht flächendeckende Gewinne – nicht nur auf Kosten der SVP. Insgesamt wurde das rechtsbürgerliche Lager also keineswegs geschwächt.»

Rezepte aus dem Aargau?

Anders im Kanton Aargau. Liegen hier also die Rezepte für eine linke Wende? Glaubt man Cédric Wermuth, dann ja: National mache die Partei zwar erfolgreich Klassenkampf, sagt er. In anderen Bereichen, etwa der Asylpolitik, sei man viel zu wenig konfrontativ. «Im Aargau haben wir etwa den SVP-Hardliner Andreas Glarner frontal angegriffen – und so auch in einzelnen sehr ländlichen Gemeinden zugelegt.»

Paul Bitschnau sagt: «Wir waren im Wahlkampf witzig, und wir haben in Windisch gewonnen, weil wir wichtige Themen angesprochen haben wie die geplante Privatisierung des Elektrizitätswerks oder die Veräusserung von Gemeindeland.» Windisch sei keine reiche Gemeinde. «Von denen in Brugg werden wir gerne hochgenommen, weil wir verschuldet sind. Der Spielraum der Gemeinde ist klein – und er wird immer kleiner, wenn der Bund die Kosten an die Kantone delegiert und diese mit ihren Sparprogrammen wiederum die Lasten für die Gemeinden erhöhen.» Bitschnau ist überzeugt, dass die SP in den Aargauer Gemeinden gewonnen hat, weil es ihr gelungen sei, diese Mechanismen aufzuzeigen. «Dass wir in Windisch gleich um vier Sitze zulegten, ist grossartig.»