Kost und Logis: Jugendbeben

Nr. 51 –

Ruth Wysseier hat einen Wunsch für 2018

«Youthquake» heisst so viel wie Jugendbeben. Und ich freue mich unbändig, dass der Oxford Dictionary «Youthquake» zu seinem Wort des Jahres 2017 gekürt hat. Auch die Erklärung ist wunderbar: Es sei ein seltenes politisches Wort, das Hoffnung anklingen lasse, weil es eine bedeutende kulturelle, politische oder soziale Veränderung beschreibe, die aus Aktionen oder dem Einfluss junger Menschen entstehe.

Gesichtet wurde das neue Phänomen bei den Wahlen in Britannien und Neuseeland, doch gehe der Begriff auf das Jahr 1965 zurück, als die Jugendkultur Mode und Musik verändert hatte. So weit die Pressemitteilung aus Oxford, die damit allerdings zu kurz greift. Denn das damalige Jugendbeben hat sich ja nicht einfach mit einem neuen Lebensstil begnügt: Die Jugendlichen, die das grosse Beben damals verursachten, begannen, sich auch zunehmend der Leistungs- und Konsumlogik zu verweigern, zogen in Kommunen, gründeten Genossenschaften, forderten neue Lerninhalte an den Universitäten, kämpften für die Bürgerrechte. Und länderübergreifend flammten kollektive Proteste gegen den Krieg in Vietnam auf.

1968 feiert nächstes Jahr Jubiläum; es ist in die Jahre gekommen, verlebt und zerfurcht wie die Gesichter seiner Popikonen. Dass es jetzt Anzeichen eines neuen Jugendbebens gibt, ist ein schönes Weihnachtsgeschenk, das wirklich hoffen und träumen lässt.

Es wird kein leichter Job sein für die heutige Jugend, fürchte ich. Denn als sie auf die Welt gekommen ist, hatte Margaret Thatcher längst die Gewerkschaften zerschlagen und proklamiert, so etwas wie Gesellschaft gebe es nicht, es zähle nichts ausser dem wettbewerbsgestählten Individuum. Wie kann man sich von diesem Mantra befreien, dieser alles verseuchenden Ideologie, die uns einhämmert, Mitgefühl und Solidarität seien verstaubte, anrüchige Hobbys von aus der Zeit gefallenen Gutmenschen?

Musik, so richtig gute Musik, war vielleicht die wichtigste Zutat zum Jugendbeben der 68er-Generation. Wie kam es, dass damals Hunderte von begnadeten MusikerInnen das Lebensgefühl einer ganzen Generation formten und feierten? Und warum müssen wir jetzt in einer Zeit leben, in der wir vom talentlosen «Fick»-Gestammel eines Farid Bang und Kollegah oder von Trauffers «Geissenpeter»-Albtraum belästigt werden? Wo sind der Jimi Hendrix und die Joan Baez von 2018?

Was würde überhaupt passieren bei einem 68er-Revival? Vielleicht würde man auf einmal begreifen, dass der Kampf gegen den Klimakollaps nicht bloss eine Frage des persönlichen Lebensstils ist. Weil man noch so viele Solarvignetten besorgen, noch so oft im Zero-Waste-Laden einkaufen und sein Leben noch so sehr begrünen kann, wenn daneben weiterhin in die fossile Wirtschaft investiert wird. Man würde erkennen, dass es kollektive Aktionen braucht, damit man neue Regeln für die Konzerne durchsetzen kann. Und so ein Jugendbeben, das mindestens 7,5 auf der Richterskala haben wird, würde den Krieg der Konzerne gegen das Klima beenden.

Ruth Wysseier ist WOZ-Redaktorin und Winzerin. 2018 wird sie einen «Youthquake»-Wein keltern, der seinesgleichen suchen wird.