Zukunft der EU: König Macron hat Ideen

Nr. 2 –

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will im neuen Jahr Europa erneuern. Viele seiner Ideen sind schlecht. Viele aber auch gut.

Emmanuel Macron sieht sich gerne als kleiner Charles de Gaulle. In der Nachkriegszeit wälzte dieser einst Frankreichs Politik um. Wie de Gaulle gibt sich der neue Präsident denn auch gerne als König, der über Parteien hinweg das Volk anführt. Und wie der einstige Kriegsheld behauptet auch Macron, «ni de droite ni de gauche» zu sein (weder links noch rechts), einst ein Schlachtruf der extremen Rechten. Damals nach dem Krieg war in Frankreich gar die Debatte entflammt, ob mit de Gaulle der Faschismus zurückkehre.

Und nun schickt sich Emmanuel Macron an, im neuen Jahr die EU umzukrempeln, wie er im vergangenen September an der Pariser Sorbonne-Universität angekündigt hat.

Dass es eine Erneuerung braucht, scheint klar. Bereits 2005 haben die FranzösInnen und NiederländerInnen an der Urne eine neue EU-Verfassung versenkt. Es folgte die Finanzkrise 2008, die die Mängel der europäischen Wirtschaftsarchitektur entblösste und – nicht zuletzt auch angesichts steigender Flüchtlingszahlen – den rechtsnationalen EU-GegnerInnen massiven Auftrieb verlieh. Dann kam der Brexit. Ebenso klar ist auch, dass Macron derzeit weit und breit der Einzige ist, der eine Erneuerung anstossen kann: Deutschland ist auf Autopilot, Britannien so gut wie draussen, Italiens Regierung in der Dauerkrise. Und im Osten haben vielerorts Männer wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban das Sagen, die das Fundament der EU angreifen.

Die Zeit drängt: 2019 sind EU-Wahlen, Europa braucht Ideen. Und vieles von dem, was Macron will, ist schlecht. Allerdings bei weitem nicht alles.

Macron, der Rechte

Ein Teil von Macrons Plan heisst: Weiter wie bisher. An der Sorbonne, wo in den überfüllten Hörsälen die Decken bröckeln und die abgewetzten Holzbänke wackeln, lobte Macron seine innenpolitischen Reformen, denen Europa folgen solle: Er hat in wenigen Monaten die Vermögenssteuer gekippt, Kapitaleinkommen entlastet und den Arbeitsmarkt dereguliert. Damit hat er das Kapital weiter entfesselt – und sich den Titel «Präsident der Reichen» gesichert.

Mit den Wirtschaftsreformen und durch den Aufbau einer europäischen Führungsposition in der «digitalen Revolution» will Frankreichs Präsident die wirtschaftliche Macht des Kontinents in der Welt absichern: gegenüber den USA und der aufstrebenden Grossmacht China.

Parallel dazu wünscht sich Macron eine Stärkung von Polizei und Militär in Europa, unter anderem durch eine EU-Einsatztruppe und ein Militärbudget. Die USA zögen sich langsam aus Europa zurück, so Macron, während der Terrorismus noch lange bleiben werde. Zudem will er die Grenzen verstärken, um Geflüchtete abzufangen. Zwar bekennt sich Macron dazu, dass Europa politisch verfolgte Menschen aufnehmen und ihnen Hilfe bieten soll, um hier Fuss zu fassen. Zugleich betont er aber, dass dies «unter Wahrung unserer Werte» geschehen solle.

Was Macron damit propagiert, ist ein – in Watte gepackter – Standortnationalismus. Nur dass er nicht sein Land bejubelt, sondern Europa.

Allerdings hat Macron auch progressive Ideen. Er fragt nach den Ursachen für den rechtsnationalen Hass auf die EU, für den Islamismus, für die Gewalt und dafür, dass sich so viele Menschen auf die gefährliche Reise über das Mittelmeer machen, kurz: für all das, was er mit Polizei und Militär unter Kontrolle bringen will. Seine Antwort: die ungezügelte wirtschaftliche Globalisierung und die soziale Ungleichheit, die diese hervorbringt.

Hier liegt tatsächlich das Kernproblem der EU: Unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand half Frankreich in den achtziger Jahren mit, den europäischen Binnenmarkt zu schaffen – in dem sich insbesondere Kapital, Waren und Dienstleistungen frei bewegen können. Dieser Markt hat die nationalen Demokratien ausgehebelt: Sie sind heute dazu verdammt, im Standortwettbewerb ihre Steuern zu senken und Arbeitsmärkte zu deregulieren, um das Kapital im Land zu halten. So wie es auch Macron tut, um mit Deutschlands tiefen Löhnen mitzuhalten. Macron: «Wir haben einen Markt zugelassen, der jene mit dem günstigsten Angebot bevorzugt.» Hinzu kommt der Euro, der es wirtschaftlich schwachen Ländern wie Griechenland verunmöglicht, mit einer eigenen billigen Währung konkurrenzfähig zu sein.

Das Ergebnis: immer mehr soziale Ungleichheit, die – angesichts sinkender Steuern – mit schuldenfinanzierten Sozialgeldern oder Bankkrediten aufgefangen wird. 2008 drohte die Schuldenblase zu platzen, es folgte der Crash. Seither hat sich die soziale Krise verschärft. Sie bildet den Boden, auf dem Rechtsnationalismus und Islamismus gedeihen, die einander befeuern.

Der Wettbewerb wütet auch auf globaler Ebene. Ein Wettbewerb, der den Machtkampf zwischen den USA und China anheizt; in dem die Milliardengewinne aus Afrikas Rohstoffen in Steuerparadiesen wie der Schweiz versteuert werden, während Europa Afrika mit subventionierten Lebensmitteln flutet; und in dem der Westen seit jeher Diktatoren stützt und Kriege führt, um die eigenen Geschäfte zu sichern. All dies begünstigt Ungleichheit, Krieg und die Migration, mit der Europa nun konfrontiert ist.

Macron, der Progressive

Macron verspricht, auch diese Ursachen anzugehen – er setzt nicht nur auf die Stahlfaust von Polizei und Militär. Da die einzelnen Länder im Standortwettbewerb gefangen sind, will er dies auf EU-Ebene tun. Konkret fordert Macron eine europäische Harmonisierung der Unternehmenssteuern, um den ruinösen Steuerwettlauf aufzuhalten. Bis 2020 sollen nur noch jene Länder von EU-Kohäsionszahlungen profitieren, deren Steuersätze sich in einer bestimmten Bandbreite bewegen. Es sei falsch, von der «europäischen Solidarität» zu profitieren «und gleichzeitig gegen die anderen zu spielen».

Macron will zudem das Fundament für ein sozialeres Europa legen. In der EU soll ein europaweiter Mindestlohn festgelegt werden sowie ein Mechanismus, der den Sozialstaat der ärmeren Länder an den der reicheren angleicht. Schliesslich fordert er eine Steuer auf Finanztransaktionen, um einen gemeinsamen EU-Haushalt zu finanzieren, der für den sozialen Ausgleich in der EU sorgen soll. So weit hat sich kaum je ein Staatschef vorgewagt.

Bei der EU-Aussenpolitik schliesslich bleiben Macrons Ideen dürftig. Immerhin spricht er sich aber für eine neue Politik gegenüber Afrika sowie für grössere Beiträge für die Entwicklungszusammenarbeit aus.

Sollte Europa nun Macrons Vorschlägen folgen und der EU mehr Macht erteilen, ist aber noch etwas anderes nötig: deren Demokratisierung. Bis heute bleibt die Kommission gegenüber den Mitgliedsregierungen schwach. Und noch immer hat das EU-Parlament im Vergleich zu nationalen Parlamenten wenig zu sagen. Auch hier anerkennt Macron, dass Europas politische Eliten das europäische Projekt zu lange über die Köpfe der Menschen hinweg vorangetrieben haben. Die anstehende Erneuerung soll deshalb in einer grossen europäischen Debatte in Gang gebracht werden.

Bleiben zwei Fragen. Erstens: Wird Deutschlands neue Regierung mitziehen? Und zweitens: Wird wirklich ausgerechnet der kleine König Macron, dem selbst parteiintern Autoritarismus vorgehalten wird, Europas Demokratie retten? Gehen seine progressiven Forderungen nicht zu wenig weit? Und wie viel davon meint er ernst, wie viel ist simple PR? Bedenken sind mehr als berechtigt. Statt in Totalopposition zu verharren, sollte man Macron jedoch auf seine progressiven Ideen behaften. Denn auf vergleichbare Steilpässe wird man lange warten müssen.

Es lohnt sich ein Blick in Frankreichs Geschichte: Schon oft waren es Linke wie François Mitterrand, die das Kapital entfesselten, während Rechte wie Charles de Gaulle progressive Forderungen umsetzten. So war es de Gaulle, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Regierungschef den Grundstein für den französischen Wohlfahrtsstaat legte, bevor er zurücktrat. Und obwohl er 1958 auf Wunsch der SiedlerInnen in der damaligen «Siedlungskolonie» Algerien zurück an die Macht kam, war es ausgerechnet er, der Algerien kurz darauf in die Unabhängigkeit entliess.