Durch den Monat mit Reeto von Gunten (Teil 3): Fühlen Sie sich verpflichtet, Schweizer Musik zu fördern?

Nr. 3 –

Reeto von Guntens Karriere als Schauspieler ging ziemlich in die Hose. Auch als Musiker hatte er nicht viel mehr Erfolg – ausser mit Ambient für Babys. Musik hört er immer noch so enthusiastisch wie mit fünfzehn.

Reeto von Gunten in seinem Büro vor einem Bild des Zürcher Künstlers Cristian Andersen: «Ich finde es rührend, wenn mir jemand sagt: ‹Hör mal auf mit diesem elektronischen Brunz.›»

WOZ: Reeto von Gunten, auf Ihrer Website habe ich ein Bild eines jungen Manns gefunden, der versucht, auszusehen wie James Dean. Sind das wirklich Sie?
Reeto von Gunten: Ja. Da war ich etwa 25 und an einer Schauspielschule in New York. Dann habe ich eine Zeit lang in einer Soap gespielt. Aber ich war einfach zu wenig gut. Vor allem im Vergleich mit all den Amerikanern, die schon in der Grundschule Theaterunterricht hatten. Irgendwann hat mir ein Agent gesagt: «Schau, falls wir mal Tom Cruise’ hässlichen Bruder mit Schweizer Akzent bräuchten, würden wir dich auch finden, wenn du wieder in der Schweiz bist.» Da hatte ich sowieso schon gemerkt, dass es nirgends hinführt, ich hatte Schulden und war beim Schwarzfahren in der U-Bahn erwischt worden. Also kam ich zurück in die Schweiz.

Versuchten Sie es in der Schweiz auch noch als Schauspieler?
Nein. Ich bin ausgebildeter Primarlehrer, ich gab wieder Schule. Und dann wurde ich ziemlich bald Speaker am Gurtenfestival. Der Besitzer eines Plattenladens, den ich kannte, begann, das Festival wieder aufzuziehen, nachdem es einige Jahre nicht mehr stattgefunden hatte. Er brauchte jemanden, der englischsprachige Musiker freundlich am Flughafen abholen kann, also wurde ich Fahrer. Und er begrüsste das Publikum. Aber dann wurde das Festival immer grösser, er fühlte sich immer weniger wohl auf der Bühne, darum fragte er mich, ob ich das übernehmen wolle. So bin ich da reingerutscht. Und irgendwann sagte ein Freund, der schon bei DRS 3 war, ich solle doch Radiomoderator werden.

Wie sind Sie vorgegangen?
Ich rief bei Radio DRS an, um zu fragen, wie man sich bewirbt. Sie sagten, ich müsse einen Lebenslauf und eine Stimmprobe einschicken. Also nahm ich ein Kassettli auf, erzählte meinen Lebenslauf drauf, und zwischendurch spielte ich die Musik, von der ich fand, sie werde am Radio zu wenig gespielt. Eine Woche später war ich eingestellt.

Machten Sie auch selber Musik?
Ja, ich habe immer Musik gemacht. Kaum konnte ich gerade stehen, begann ich, Bands zu gründen. Die waren etwa gleich erfolgreich wie meine Schauspielkarriere. Nämlich gar nicht. Wir selber fanden uns gut, aber die Leute offensichtlich nicht. Dann rettet man sich ja gern in die Entschuldigung, dass man einfach der Zeit voraus gewesen sei.

Aber Sie gaben schon Konzerte?
Ja. Ganz jämmerliche. Wenn du beschliesst, keinen Schlagzeuger zu haben, sondern nur eine Schlagzeugmaschine, ist entscheidend, dass die jemand bedienen kann. Das hat schon mal nicht funktioniert. Aber es war lustig. Und wir haben viel gelernt, weil wir versuchten, selber Konzerte zu veranstalten.

Viel später nahmen Sie dann ein Ambient-Album für Babys auf.
Ja. Es gab in meinem Leben eine Phase, in der ich wahnsinnig froh gewesen wäre, wenn meine Kinder in der Nacht geschlafen hätten. Da habe ich experimentiert, bis ich Musik fand, zu der sie einschliefen.

Wie funktioniert das? Geht es um die Tonhöhe?
Was auf jeden Fall funktioniert, sind monotone Alltagsgeräusche wie Waschmaschinen oder Föhne. Das finden sie super. Ob es einen Beat hat oder nicht, ist egal. Aber es sollte nicht abwechslungsreich sein. Langweilige Sachen machen kann ich sowieso besser als spannende.

Sie haben eine Best-of-Liste für 2017 veröffentlicht, da werben Sie für viele Schweizer Musiker, etwa Faber, Nemo oder Jeans for Jesus. Haben Sie dabei im Hinterkopf: «Ich arbeite für SRF, also muss ich Schweizer Musik fördern»?
Mir ist es komplett schnuppe, ob einer Schweizer ist oder nicht, wenn er Kunst macht. Aber wenn es zwei gut machen, ein Schweizer und ein Amerikaner, dann finde ich, ich sollte zuerst den Schweizer unterstützen, denn der sollte hier von seiner Arbeit leben können. Gerade wenn es um schweizerdeutsche Texte geht, ist das Publikum halt schon sehr begrenzt.

Viele Leute hören ihr ganzes Leben das, was sie als Teenager gut fanden. Sie nicht.
Ich höre Musik immer noch genau gleich wie mit fünfzehn: Ich mache sonst nichts. Ich höre Musik. Zwei Stunden am Tag. Das ist wohl der ganze Unterschied: Viele Erwachsene können sich das schlicht nicht mehr leisten. Und dann finden sie irgendwann nur noch toll, was früher lief. Ich finde es immer sehr rührend, wenn mir jemand sagt: «Hör mal auf mit diesem elektronischen Brunz, spiel mal wieder richtige Musik, Jimi Hendrix zum Beispiel.» Okay, ich habe verstanden.

Es gab kürzlich eine Debatte, weil SRF 3 sexistische Deutschrapper gespielt hatte. Würden Sie solche Stücke in Ihrer Sendung spielen?
Nein, ich spiele keine sexistische Musik – ich finde es ein bisschen erschreckend, dass solche Texte erst zum Thema werden, wenn Rapper deutsch reden. Auch ein paar brutal sexistische englische Lieder laufen landauf, landab am Radio. Man sollte das nicht spielen, man sollte nicht einmal darüber reden, denn das wollen sie ja gerade. Zum Glück haben wir noch keine Namen gesagt.

Reeto von Gunten (54) moderiert fast jeden Sonntag den «Morgen» auf Radio SRF 3 und liest auf diversen Kleinkunstbühnen. Er ist Vater von zwei Teenagern und lebt in Zürich.