Volksmusik: O Heiweh, o Heiweh

Nr. 3 –

Augustinus hat die «Confessiones» geschrieben, einen grundlegenden Text des Christentums, und er hat sich mit dem Jodeln befasst. Die Jubili des gregorianischen Chorals seien «wortloses Rufen, Schreien oder Singen; Freude strömt aus, die so gross ist, dass sie alle Worte zerbricht». Eine Freudenströmerin ist Nadja Räss. Sie hat die CD «Sälbander» herausgegeben. «Selbander» ist ein altes Wort für «zu zweit». Der Zweite ist der Akkordeonist Markus Flückiger. Die Anlage ist traditionell – Jodlerin mit Handorgel. Die Ausführung ist so frei, dass «sie alle Worte zerbricht».

Während Nadja Räss tollkühne Akkordsprünge vorführt, Falsett- und Bruststimme durcheinanderwirbelnd, legt Markus Flückiger einen Klangteppich unter die Jodlerin. Gleich wie die Trapezkünstlerin im Zirkus weiss sie ein Netz unter sich, im federnden Rhythmus, im klagenden Sound, ab und zu in seufzendem Gegentakt. «Sälbander» stiftet Freude weit übers «bluemätä Trögli» hinaus. Nadja Räss und Markus Flückiger nehmen dessen Klangwelten und Liebschaften neugierig mit zu ihrem Johlen, Juchzen, Tirilieren, Fauchen, Schmettern und Singen.

Und Kirchenvater Augustinus hatte nicht recht – das Jodelwort ist ab und zu der letzte Hort des Heimatwortes, oft so dick aufgetragen, dass sogar Heldentenöre der SVP rot anlaufen. Wie überall gibt es aber auch in der Jodellyrik Funde. So im Werk des Einsiedlers Meinrad Lienert (1865–1933), dem die Stadt Zürich mitten im Kreis 3 eine Strasse gestiftet hat. Er war der Dichter des Musikers Othmar Schoeck, er ist der Grossvater der heute so populären Mundartdichter, er hat etliche Jodellieder geschrieben.

Nadja Räss und Markus Flückiger haben ihm ihr Album gewidmet, ein paar seiner Gedichte zwischen ihr freiherziges Spiel gesetzt. Und so hören wir das Drama um «Marannlis Hochsigbett», das Schicksal des «Truurig Maitli» und den Klassiker aller Jodellieder: «O Heiweh, o Heiweh, keis Rösli gad uf, bis üsri lieb Sunnä däheima schint druf.» Herzschmerz wunderbar.

Nadja Räss und Markus Flückiger: Sälbander. Erhältlich via nadjaraess.ch