Wef-Theater: Rutschpartie auf dem Davoser Glatteis

Nr. 3 –

Im Zürcher Schauspielhaus nimmt sich Rimini Protokoll die Weltbühne des Klaus Schwab vor. Dabei schlüpft das Theaterpublikum in die Rolle wetteifernder TeilnehmerInnen des Weltwirtschaftsforums.

Ohne das richtige Timing ist im Theater alles nichts. Das gilt auf der Bühne, aber auch bei der Programmplanung. Eigentlich kommt die Gruppe Rimini Protokoll mit ihrem «Weltzustand Davos» ja mindestens zehn bis fünfzehn Jahre zu spät. Die grossen Debatten um Legitimation und Ziele der Mutter aller Globalisierungsfestivals sind Geschichte, der Tränengasnebel vor dem Kongresszentrum hat sich längst verzogen, und auch an Landquart erinnern sich nur mehr die damals dort Eingekesselten. Doch seit letzter Woche scheint der Zeitpunkt für ein Dokudrama über die wohl (oder übel) berühmteste Schweizer Konferenz plötzlich wieder goldrichtig. Und dabei fällt der Name Trump in den kurzweiligen 120 Minuten nur dreimal.

Aber zunächst ist da Hans Peter Michel. Der drahtige Bündner Expolitiker (FDP) begrüsst die knapp 200 TagungsbesucherInnen teils per Handschlag und markiert mit seinem «I’m the mayor of Davos» von Beginn weg den Platzhirsch in der ovalen Arena, die, von Dominic Huber grandios gestaltet, halb Hörsaal und halb Hockeystadion ist. Zusammen mit den vier anderen ExpertInnen spielt Michel eine Art kollektivierte Hauptrolle in diesem Stück, dessen Skript einerseits auf Gesprächen mit zwei Dutzend Leuten (darunter auch der Schreibende) beruht, die irgendwas mit diesem «Burning Man»-Festival für MilliardärInnen zu schaffen hatten oder haben. Eine lustige Liste, die vom einflussreichen Schwab-Berater über Altbundesräte bis zum Davoser Starhotelier reicht und im Programmheft abgedruckt ist.

Anekdotisch, etwas didaktisch

Den anderen, komplementären Teil dazu liefern, wie stets bei den PionierInnen des Dokutheaters, Biografie und Beruf der LaiendarstellerInnen. Der Eleganteste dieser Fünferbande ist Ganga Jey Aratnam, ein weit gereister und heute in Basel forschender Soziologe aus der Oberschicht von Sri Lanka und mit Ehefrau aus Zug, dem anderen Schweizer Globalisierungslabor. Seine alteingesessenen Schwiegereltern sind «direkte Glencore-Nachbarn und millionenschwere Profiteure der exponentiell gestiegenen Grundstückspreise». Das weckte sein Interesse am Rohstoffbusiness und führte ihn nach Sambia, wo er wiederum direkter Nachbar von Glencores Kupfermine wurde – diesmal freilich für einen Spottpreis. Solch amüsante Anekdoten nutzt das Regieduo Helgard Haug und Stefan Kaegi wiederholt zu zwar aufschlussreicher, aber angestrengt wirkender Rechnerei: Analysiert werden etwa die Teilnahmegebühr fürs Weltwirtschaftsforum (Wef), einzelne Konzernumsätze oder eben die Steueroptimierung von Glencore.

Auch die virtuelle Stadtführung und der Rückblick auf Wef-Highlights sind so didaktisch inszeniert, dass man sich zuweilen in einer Wikipedia-Performance wähnt. Persönlicher und damit packender wird es immer dann, wenn die VIP-Storys mit den Erfahrungen von Michel, Aratnam und ihren MitstreiterInnen kontrastiert werden: Der tuberkulöse Vater des Davoser Lungenarztes Otto Brändli oder das Sowjettrauma einer inzwischen kosmopolitischen Jungunternehmerin hinterlassen weit mehr Eindruck als der auf die Panoramaleinwand projizierte Auftritt des chinesischen Präsidenten oder der nachgestellte Händedruck zwischen Jassir Arafat und Jitzhak Rabin. Solch enge Verzahnung des Politischen mit dem Privaten ist durchaus effektvoll, zeigt sie doch die Banalität dieses politisch aufgepeppten Managertreffens besser als so mancher kritische Leitartikel.

Die Welle geht durchs Stadion

Im Grande Finale gerät der ewige Machtkampf zwischen Wirtschaft und Politik schliesslich noch aufs Davoser Glatteis, wo Konzerne gegen Länder um den Endsieg spielen. Das Publikum, mittels Zugangsbadge und Tagungsmappe längst in die Rolle real existierender Wef-TeilnehmerInnen geschlüpft, macht dazu, animiert von Michel und Co., brav die Welle. Ich zum Beispiel war für zwei Stunden ein Chemie-CEO. Und zwar mit solcher Inbrunst, dass die Konkurrenz in der Reihe vor mir mit ihren besseren Kennzahlen bald einmal meinen Ehrgeiz weckte.

So fühlt er sich also an, der «Spirit of Davos». Insofern passt der diesjährige Stargast doch ganz prima in die Alpenfestung. Und der «Weltzustand» perfekt auf den Zürcher Spielplan.

Termine der letzten Vorstellungen siehe www.schauspielhaus.ch/de/play/955-Weltzustand-Davos-Staat-4.

Oliver Classen ist Mediensprecher von Public Eye (ehemals Erklärung von Bern) und hat viele Jahre das «Public Eye on Davos» koordiniert.