Filmpolitik: Die Lösung: Wir retten den Schweizer Film!

Nr. 4 –

Andere glauben, sie könnten den Schweizer Film mit einfachen Rezepten wieder gross machen. Wir haben zwei ausgewiesene Profis mit der unmöglichen Mission beauftragt: in zehn Schritten zur gesunden Filmflora.

Der Schweizer Film, ist der nicht schon längst tot? Nein. Er lebt noch, wenn auch zurückgezogen in einer alten Hütte im Wald. Mit der Schrotflinte im Anschlag und dem Mund voller Apérohäppchen kauert er am Fenster und wartet darauf, dass sich das Publikum zu ihm verirrt. Doch es kommt nicht. Obschon er sein schönstes Sommerkleid angezogen hat und fortwährend französische Filmkritiken in den Wind schreit. Er bleibt allein. Klar, ab und zu kämpfen sich einzelne Künstlerinnen, Journalisten und sonstige verlauste Gestalten zu ihm in der Hoffnung, zu helfen. Ihn aus der Hütte zu locken und stubenrein zu machen. Vergebens.

Doch wo andere scheitern, werden wir obsiegen! Denn wir wissen, was dem Schweizer Film fehlt, und wir sind bereit, dies mit euch, dem Pöbel, zu teilen. Nicht weil wir wollen, sondern weil wir müssen. Aus Pflicht am Vaterland und Pipapo.

Schritt 1: Macht «gute» Filme!

Lange verkannt, erlebt der «gute» Film international gerade ein Comeback. Auch das hiesige Publikum bevorzugt gemäss Umfragen den «guten» Film gegenüber einem «schlechten» oder bloss «gut gemachten» Film. Liebe Schweizer FilmemacherInnen: Wieso macht ihr nicht mal einen «guten» Film? Mit «spannenden» Storys und «interessanten» Figuren? Getraut euch! Es kann so einfach sein. Dass da noch keiner draufgekommen ist!

Schritt 2: Macht mehr Netflix!

Netflix ist mega. Für das würd ich auch bezahlen. Ich würde meine Grossmutter für ein Netflix-Abo eintauschen. Aber Netflix nimmt keine Grossmütter. Noch nicht. Netflix ist so geil. Jede Minute, die ich nicht auf Netflix verbringe, ist eine gescheiterte Minute. Verkauft eure Filme Netflix, so kommt das Publikum dann schon. Oder macht euer eigenes Netflix, mit Bergen und Kühen und so.

Schritt 3: Holt Hilfe!

Kränkelt das Drehbuch? Holt den Scriptdoktor. Nur er kann euer Drehbuch retten. Wenn ein Koch den Brei nicht schmackhaft bekommt, engagiert halt einen zweiten. Und vielleicht kennt der ja noch andere gute Köche. Baut euch ein Netzwerk an Köchen auf! Fehlt dem Film der nötige Humor, bezahlt einen Komiker. Fehlt die Romantik? Holt einen Paartherapeuten. Soll noch etwas mehr Spannung rein? Fragt einen Zauberer. Aber überlasst um Himmels willen nicht dem Autor die ganze Verantwortung. Sonst identifiziert er sich am Schluss noch mit dem Film und macht ihn sich zur Herzensangelegenheit. Und wohin das führt, kann man sich ja ausmalen.

Schritt 4: Weniger hölzerne Dialoge!

Schweizerdeutsche Dialoge sind oft hölzern und schlecht gespielt. Um dies zu umgehen, wählt lieber ein historisches Setting, am besten in den Bergen. Da fallen die hölzernen Dialoge auch nicht so auf. Aktuelle und urbane Filme müssen hingegen in einer Fremdsprache erzählt werden. Wenn das Publikum die Dialoge nicht versteht und sich auf die Untertitel konzentriert, kritisiert es die Dialoge nicht. Englisch eignet sich für den internationalen Markt und ein breites Publikum. Wer lieber Preise gewinnt, wählt Türkisch.

Schritt 5: Sequels!

Wieso müsst ihr immer das Rad neu erfinden? Die Schweizer Filmgeschichte ist voll mit Filmen, die ein Sequel, Prequel, Remake oder Soft Reboot verdienen. Originalität wird überschätzt. Und wer würde nicht sofort ins Kino rennen für «Schweizermacher 2 – ein (S)Pass für die ganze Familie», «Das Boot ist erst halb voll», «HD-Soldat Läppli 3D», «Mein Name ist noch immer Eugen» oder «Ueli, der Banker»?

Schritt 6: Seid jung, frech, böse!

Der Schweizer Film muss mutiger werden. Hört auf, in die Hosen zu machen, brecht ein paar Tabus und haut auf die Kacke. Macht etwas Düsteres, Zeitgeistiges. Vielleicht einen Film mit Terroristen; mit Jugendlichen, die vor lauter Wohlstand Amok laufen, oder Flüchtlingen. Mischt einfach alles zusammen. Und filmt es mit dem Handy. Die ZuschauerInnen sollen den Film nicht nur sehen, sie müssen ihn spüren.

Schritt 7: Digitalisiert euch!

Wacht auf! Das klassische Kino ist tot. Wer heute ein Publikum erreichen will, denkt digital, lanciert seinen Film auf Social Media, castet Influencer für die Hauptrollen und koppelt den Film mit gross angelegten panmedialen Gamification Layers. Das Tolle an diesem Approach? Die Community übernimmt das heavy Lifting. Sie schreibt den Film, finanziert ihn via Crowdfunding und erledigt auch gleich das Marketing mithilfe von sexy Cosplay und lustigen Reaction-Vids. Was das genau heisst, weiss keiner. Klingt aber gut.

Schritt 8: Fixt das Publikum an!

Der Zuschauer, die Zuschauerin muss gluschtig gemacht werden. Filmplakate, Trailer und Medienpräsenz sind das A und O. Hört auf mit der immer gleichen V-Formation, nach der jedes zweite Filmposter grafisch aufgebaut ist. Versucht es doch mal mit einer O-, X- oder Ü-Formation. Und bringt die besten Szenen schon im Trailer. Der Unique Selling Point ist kein Spoiler. Für Gratismedienpräsenz besetzt einfach ein paar Exmissen, Popsternchen oder Joel Basman.

Schritt 9: Fördert uns!

Da es die anderen offensichtlich verkackt haben, ist es jetzt an der Zeit, uns zu fördern. Und mit uns meinen wir uns, die AutorInnen dieses Textes. Es ist euch während der Lektüre bestimmt aufgefallen: Wir sind Profis. Wir haben, was den anderen fehlt: Ahnung. Und im Gegensatz zu allen anderen wurden wir noch nie vom Bund gefördert. Und was hat diese Strategie dem Schweizer Film bisher gebracht? Eben. Nun sind wir an der Reihe. Sobald der gesamte Förderkuchen auf unser Konto übertragen wird, versprechen wir die sofortige Genesung der Schweizer Filmflora. Was habt ihr zu verlieren?

Schritt 10: Auswandern!

Und falls keiner dieser Schritte Früchte trägt – ist vielleicht doch das Publikum schuld. In dem Fall gilt es, sich ein neues Publikum zu suchen. Ein besseres. Die gesamte Branche müsste in ein anderes Land abwandern. Schweden zum Beispiel. Dort ists eh schön. Und im Gegensatz zu den SchweizerInnen unterstützen Herr und Frau Schwede ihr lokales Filmschaffen. Während des langen Vaterschaftsurlaubs könnte eine neue Generation von Schweizer FilmemacherInnen ihre Drehbücher schreiben und umsetzen – in Schweden! Dort gibts auch noch keine Vorurteile gegenüber dem Schweizer Film. Skål!

Damit wäre der Schweizer Film wohl gerettet. Gern geschehen. Nun können wir uns endlich wichtigeren Dingen zuwenden. Netflix zum Beispiel. Netflix ist ja so geil.

Natascha Beller (35) hat das Drehbuch zum TV-Spielfilm «Zwiespalt» (2017) geschrieben und im vergangenen Sommer ihr Regiedebüt «Ü30» gedreht. Patrick Karpiczenko (32) ist Headwriter der Late-Night-Show «Deville». Beide leben in Zürich.