Kino-Film «Chris the Swiss»: Reporter auf Abwegen

Nr. 4 –

Für die kleine Anja war der ältere Cousin Chris das grosse Vorbild: ein rasender Reporter, der ferne Länder bereiste. 1992 starb er 27-jährig in Kroatien. Offiziell berichtete er von dort über den Jugoslawienkrieg, für das damals noch junge Zürcher Radio 24. Doch seine Leiche trug die Uniform einer rechten paramilitärischen Truppe, und er wurde nicht erschossen, sondern mit seinem eigenen Schal erwürgt.

Sein Tod liess Anja Kofmel nie los. In ihrem Abschlussfilm für die Hochschule in Luzern arbeitete die Animationsfilmerin erstmals ihre Erinnerungen an ihren ermordeten Cousin Christian Würtenberg auf («Chrigi», 2009). In ihrem abendfüllenden Kinodokumentarfilm «Chris the Swiss» versucht sie nun, der rätselhaften Geschichte ihres Cousins möglichst umfassend auf den Grund zu gehen.

Eine kostbare Quelle bei ihrer Suche sind die Tagebücher, die Chris während seiner Kroatienreise schrieb. Verdächtigerweise waren die letzten Seiten herausgerissen worden, doch die bestehenden Einträge erlauben Anja, seinen Spuren bis zu seinem letzten Aufenthaltsort zu folgen. Unterwegs trifft sie Leute, die Chris kannten, darunter nicht nur JournalistInnen, sondern auch ehemalige Söldner. Sie entdeckt zudem Ton- und Videoaufnahmen von Chris, die ihn menschlich und politisch ganz anders zeigen, als seine ehemaligen Weggefährten ihn in ihren Erzählungen schildern.

Überhaupt mehren sich je länger, je mehr die Widersprüche und Fragen. Was machte Chris eigentlich in Kroatien? Wer hat ihn getötet und warum? War der engagierte Reporter, der sich von den Gräueltaten des Bürgerkriegs so betroffen zeigte, tatsächlich bei den ultrarechten Paramilitärs? Oder war das einfach die Tarnung für eine grosse Reportage, die ihm zum Verhängnis wurde? Kofmel findet nur bruchstückhafte Antworten: «Den Rest muss ich mir vorstellen.»

Dafür kommen ihr die Mittel des Trickfilms sehr gelegen. Alles, wofür es keine Fotos oder kein Filmmaterial gibt, lässt sich impressionistisch zeichnen. So kann Kofmel die Schilderungen aus den Tagebüchern sowie die verschiedenen Erinnerungen und Spekulationen durch bewegte Schwarzweisszeichnungen bildhaft darstellen. Die animierten Szenen bringen die Schrecken des Kriegs sogar emotional näher als das eigentliche Archivmaterial. Besonders eindrücklich ist die Szene, in der ein Kriegsveteran vom obersten Stockwerk eines Hotels aufs Stadtpanorama zeigt. Hier, mit Aussicht auf die zerbombte Stadt Zagreb, stellten sich die Kriegsreporter immer gerne für ihre Aufzeichnungen vor die Kamera.

So überzeugt Kofmels Film nicht zuletzt durch seine schonungslose Darstellung des Berufs Kriegsreporter – mit seiner Mischung aus Mut und Übermut, Opportunismus und Engagement. Was aber wirklich mit dem Cousin der Regisseurin geschah, wird zum Teil wohl immer ein Rätsel bleiben.

In: Solothurn, Landhaus, Sa, 27. Januar 2018, 21.15 Uhr, Mo, 29. Januar 2018, 12 Uhr.

Chris the Swiss. Regie: Anja Kofmel. Schweiz/Deutschland/Kroatien 2018