Schweizerischer Gewerbeverband: Voll auf Kollisionskurs

Nr. 4 –

Der Gewerbeverband wurde unter Hans-Ulrich Bigler zum Kampforgan der SVP. Doch mit seinem Einsatz für die No-Billag-Initiative überspannt Bigler den Bogen – die Kritik aus den eigenen Reihen wird immer lauter.

Die Stimmung im Bundeshaus ist an diesem Nachmittag Mitte Januar beschaulich: Bundespräsident Alain Berset hat zum alljährlichen Neujahrsapéro eingeladen. Von den Gängen dringt Fanfarenmusik ins «Café des Alpes», wo sich nur vereinzelt Gäste aufhalten. Alois Gmürs Gemütsverfassung passt nicht zu dieser Gemütlichkeit: Der Bierbrauer und CVP-Nationalrat aus dem Kanton Schwyz ist wütend. «Ich überlege mir wirklich, aus diesem Verein auszutreten», sagt er. «Mein Geld wird für eine Kampagne ausgegeben, die ich weder ideologisch noch finanziell mittragen will.»

Gmür spricht vom Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) – seine Wut richtet sich in erster Linie gegen dessen Direktor Hans-Ulrich Bigler. «Ich weiss nicht, was ihn genau antreibt», sagt Gmür, der in der Gewerbekammer des Verbands sitzt. «Mir scheint, er hat sich einfach in das Thema verbissen. Der Gewerbeverband hat vor zwei Jahren nur ganz knapp die Abstimmung über die Revision des Radio- und Fernsehgesetzes verloren. Offenbar hat Bigler die Niederlage nicht verdaut. Und geht nun aufs Ganze.»

Am Kernthema vorbei

Kaum ein Abstimmungskampf wurde in letzter Zeit so intensiv geführt wie der um die No-Billag-Initiative, kaum ein Thema besetzte die mediale Öffentlichkeit stärker als die Idee von ein paar Junglibertären aus dem Umfeld der HSG, die mit der SRG am liebsten gleich auch die Bundessteuern abschaffen würden. Dabei können die Initianten kaum verhehlen, dass es ihnen nicht um die Gebühren geht, sondern um die Abschaffung der SRG und ultimativ um die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Hans-Ulrich Bigler trat allerdings schon früh mit perfideren Argumentationslinien auf die Bühne des Abstimmungskampfs. Ohne ihn hätte die Initiative zu Beginn wohl kaum so hohe Zustimmungswerte gefunden. Bigler und sein Gewerbeverband sind die Erfinder des viel beschworenen Plans B. Der SGV hat den hartnäckigen Mythos geschaffen, dass sich die SRG auch ohne Gebühren am Markt halten könne.

Der SGV ist im Ja-Lager von «No Billag» die treibende Kraft: In der hauseigenen «Gewerbezeitung» erscheinen regelmässig Artikel mit Titeln wie «Neue und unabhängige SRG nach einem Ja zu No Billag», «Ein Service ohne Abzocke» oder «SRG kann auch mit Ja zu No Billag am Lauberhorn abheben». Der Gewerbeverband führt auch das Sekretariat des überparteilichen Komitees «Ja zu No Billag», er schaltet – ohne seine Urheberschaft zu deklarieren – Inserate in den grossen Tageszeitungen. Und erst letzte Woche hat Bigler angekündigt, eine eigene Abstimmungs-«Arena» durchzuführen. Zu sehen sein wird die Sendung «Fokus KMU» am 12. Februar auf Tele Züri, Tele Bärn und später auch auf Tele Z. Auskunft darüber, wie viel Geld die Kampagne den Verband kostet, will SGV-Mediensprecher Bernhard Salzmann auf Nachfrage nicht geben. Alois Gmür sagt: «Ich fürchte, dass der Gewerbeverband noch mehr durchdreht, wenn er nun langsam spürt, dass es sehr eng wird.»

Auch Gastrosuisse-Präsident und SGV-Vorstandsmitglied Casimir Platzer kritisiert Biglers Haltung: «Der Vorstand hat die Ja-Parole unter der Voraussetzung gefasst, dass der SGV nicht an vorderster Front Abstimmungskampf macht. Das nehme ich nun anders wahr.»

Doch nicht nur einflussreiche SGV-Vertreter wie Gmür und Platzer fühlen sich vor den Kopf gestossen, auch weniger prominente Vertreter von Kantons- und Branchenverbänden äussern ihren Unmut. Hans-Peter Kaufmann, der Direktor des Schweizerisch-Liechensteinischen Gebäudetechnikerverbandes (Suissetec), sagt: «Die Billag-Gebühren sind nun wirklich kein Kernthema des Gewerbes. Die Spitze verschleudert hier Energie, die sie besser in für das Gewerbe relevante Themen investieren würde, etwa in die Umsetzung des neuen Raumplanungsgesetzes.» Thomas Iten, Zentralpräsident des Verbands Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM), sieht es zwar kritisch, dass Unternehmen ab einem Umsatz von einer halben Million künftig ebenso wie Privathaushalte Billag-Gebühren zahlen müssen – die SRG gleich ganz abzuschaffen, sei aber eindeutig der falsche Ansatz: «Über solche Fragen können wir im Rahmen eines neuen Mediengesetzes diskutieren.»

Streng hierarchische «Demokratur»

Die interne Kritik richtet sich aber nicht nur gegen den Kurs, sondern auch gegen die Strukturen des Verbands. Parolen fasst der SGV in der Gewerbekammer, die aus rund 100 Mitgliedern besteht (60 davon sind VertreterInnen der Berufsverbände, 25 kommen aus den kantonalen Gewerbeverbänden, die übrigen Mitglieder werden vom Vorstand berufen und sind meist aktive oder ehemalige politische AmtsträgerInnen). «Der Gewerbeverein ist eine Demokratur», sagt Hans-Peter Kaufmann. «Wer nicht in die Kammer gewählt oder berufen wird, findet kaum Gehör. Es gibt zwar zu einzelnen Themen Arbeitsgruppen, aber die fallen kaum ins Gewicht. Das ist nicht wie im Parlament, wo die Kommissionen Beschlüsse fassen, die dann ins Gremium getragen werden. Im Gewerbeverband macht der Vorstand oft Vorschläge, die die Kommissionsmeinung kaum berücksichtigen, und die Kammer befindet dann darüber. Fertig.»

Die Spitze habe keinen Kontakt zur Basis, bestätigt Thomas Rauber, Präsident des Gewerbeverbands Sense im deutschsprachigen Teil des Kantons Freiburg. Die Gewerbeverbände von Freiburg haben die Nein-Parole zu «No Billag» gefasst, ebenso die Verbände der Kantone Schwyz, Aargau, Jura und Genf. «Ich vertrete eine Region des Kleingewerbes. Betriebe mit ein, zwei Mann», sagt Rauber. «Wir haben ganz andere Probleme als die Billag-Gebühren. Was mir fehlt, ist der Austausch, das Interesse der Verbandsspitze an unserer Region. Dass mal jemand hier an unseren Versammlungen auftaucht – das kommt praktisch nie vor.»

Das ist auch kaum verwunderlich: Der Gewerbeverband war nie eine basisdemokratische Organisation, sondern immer vor allem eines: ein politisches Kampfinstrument mit einer autoritären Spitze. «Der Gewerbeverband vertritt heterogene Milieus», sagt der Historiker Pierre Eichenberger, der an der Universität Zürich zum Einfluss der Wirtschaftsverbände auf die Schweizer Politik forscht. «Er steht für Hunderttausende von Firmen und Kleinunternehmern, die ein Verbandsdirektor allein gar nicht vertreten kann. Deshalb ist der Verband traditionell eine Bewegung mit starker Direktion und streng hierarchischen Strukturen.»

So war es schon immer die Spitze, die beim SGV den Kurs bestimmte. Jakob Scheidegger etwa, Präsident von 1897 bis 1915, suchte den Kompromiss und die Kooperation mit gemässigten ArbeiterInnenorganisationen und unterstützte ein progressives Kranken- und Unfallversicherungsgesetz. «In den Zwischenkriegsjahren hingegen prägten die Korporatisten den Verband», sagt Eichenberger, «Leute wie August Schirmer, die einen Neuaufbau der Sozial- und Wirtschaftspolitik anstrebten, in der Unternehmen auf Kosten des Parlaments eine zentrale Rolle einnehmen sollten.» Allen Direktoren gemeinsam sei gewesen, dass sie den SGV nicht nur dazu genutzt hätten, die Interessen des Gewerbes in der Politik durchzusetzen, sondern auch als Instrument, um das Gewerblermilieu zu politisieren und zu mobilisieren. «Und das», führt Eichenberger weiter aus, «gelang schon immer besonders gut mit populistischen Tönen.» Bestes Beispiel dafür ist der ehemalige FDP-Nationalrat Otto Fischer, der den Gewerbeverband während seiner Amtszeit von 1962 und 1980 zu einer schlagkräftigen Referendumsorganisation umbaute, die jede Anlehnung der Schweiz an internationale Organisationen bekämpfte. An ebendiese Ära will Bigler anknüpfen.

Protest aus der Romandie

Hans-Ulrich Bigler steht dem Gewerbeverband seit 2008 vor. Seine Wahl als Direktor fiel in die Zeit, in der sich der Rechtsrutsch in der Schweizer Politik auch im Gewerbeverband niederschlug und die SVP nach mehr Einfluss verlangte. Mit der Wahl des damaligen SVP-Nationalrats Bruno Zuppiger zum SGV-Präsidenten wurde diese Forderung erfüllt, nach einem Veruntreuungsskandal wurde Zuppiger 2011 durch SVP-Nationalrat Jean-François Rime ersetzt.

Bigler, der der SVP nähersteht als seiner eigenen freisinnigen Partei, ersetzte an der Verbandsspitze den vergleichsweise moderaten FDP-Politiker Pierre Triponez – und kam so der selbsternannten Volkspartei gerade recht. Bigler, der Freikirchengänger, gilt zwar als weniger charismatisch als sein Vorbild Otto Fischer, aber er ist ein sozial- und wirtschaftspolitischer Hardliner (siehe WOZ Nr. 6/2017 ). Den SGV trimmt er auf einen stramm wirtschaftsliberalen Kurs: Regulierungskosten vermindern, Regeln und Vorschriften abbauen, Gebühren, Abgaben und Steuern senken. Die Bigler-Clique bestimmt seit zehn Jahren die Verbandsgeschicke. Dass bisher wenig Kritik laut wurde, liegt wohl daran, dass der Verband in dieser Zeit straffer organisiert wurde und an Einfluss gewann. Letzteres hat auch mit dem Glaubwürdigkeitsverlust der grossen Schwester Economiesuisse zu tun, die sich seit der Niederlage bei der Abstimmung über die «Masseneinwanderungsinitiative» bei wichtigen Abstimmungen zurückhält.

Doch nun kippt die Stimmung – besonders in der französischsprachigen Schweiz. SGV-Vizepräsident Jean-René Fournier, CVP-Ständerat aus dem Wallis, sagt: «Die Westschweiz ist nicht zum ersten Mal nicht einverstanden mit der Politik des Gewerbeverbands. Er macht keine Gewerbepolitik mehr, er macht Parteipolitik – und mit dieser können wir uns nicht identifizieren.» Der SGV trete im No-Billag-Abstimmungskampf viel zu aggressiv auf, der kulturelle Zusammenhalt des Landes interessiere die Spitze nicht. Zwar sei die Mehrheit der Gewerbekammer dem Vorstand gefolgt, sagt Fournier. «Doch ich rate Bigler, auch der Minderheit zuzuhören.» Und was, wenn nicht? «Dann führt er irgendwann nur noch den Deutschschweizer Gewerbeverband.»