Zukunft der SPD: Die Zwerge wollen lieber grosse Fragen stellen

Nr. 4 –

Auf ihrem Parteitag haben die deutschen SozialdemokratInnen Koalitionsgespräche mit der Union beschlossen. Doch die Parteilinke macht weiter dagegen mobil – und ist so präsent wie lange nicht mehr.

Als eigentlich alles schon vorbei ist, folgt noch eine letzte Pointe: An den Türen des World Conference Center in Bonn, in dem eben der Bundesparteitag der SPD zu Ende gegangen ist, lauert eine Handvoll junger Leute auf die aus dem Gebäude strömenden Delegierten. «Unzufrieden mit dem Ergebnis?», fragen sie grinsend und halten den PassantInnen dabei wie halbseidene HaushaltswarenvertreterInnen ein Beitrittsformular für die Satirepartei «Die Partei» unter die Nase. Die meisten lassen den Scherz achselzuckend über sich ergehen. Spott ist man hier gewohnt.

Mehr Emotionen provoziert hatte hingegen, was sich in den Stunden zuvor in der Kongresshalle zugetragen hatte. Am Sonntag war Deutschlands Sozialdemokratie zusammengekommen, um über die Ergebnisse der Sondierungsgespräche mit der rechten CDU und der noch rechteren CSU zu beraten und darüber abzustimmen, ob die Partei Koalitionsgespräche aufnehmen solle oder nicht. Letztlich setzte sich die SPD-Spitze gegen die innerparteiliche Opposition durch: 56 Prozent der Delegierten stimmten für die Aufnahme von Verhandlungen.

Das heisst aber auch: 44 Prozent votierten dagegen – mehr als erwartet, was unterstreicht, wie tief der Graben ist, der zwischen Parteispitze und Basis verläuft. Zwar priesen hinterher führende SPD-PolitikerInnen – allen voran der Vorsitzende Martin Schulz – die «lebendige Debattenkultur» in der Partei; tatsächlich aber war es fast schon erschütternd zu beobachten, wie gleichförmig das sozialdemokratische Spitzenpersonal in Bonn argumentierte.

Für «die Leute im Land»

Dieses schien sich vorab auf zwei Argumentationslinien verständigt zu haben: Zum einen beteuerten von Martin Schulz über die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles bis hin zu Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil alle VertreterInnen des Partei-Establishments, dass der wiederholte Eintritt in eine Grosse Koalition unter der CDU-Kanzlerin Angela Merkel ja nicht bedeute, dass die SPD sich dann nicht – wie zuletzt oft gefordert – erneuern könne. Zum anderen beriefen sich die BefürworterInnen einer grossen Koalition allesamt auf die vielen «Leute im Land», für die man doch Zählbares ausgehandelt habe und die man nun nicht einfach im Stich lassen könne, indem man in die Opposition gehe.

Mehr hatten Schulz und Co. nicht zu bieten; dass sie in ihren Reden fast identisch klangen, kam einem Offenbarungseid nahe.

Trotzdem konnte man in Bonn Hoffnung schöpfen, dass die SPD irgendwann doch noch zu einem linken Kurs findet: weil man auf dem Parteitag viele Menschen traf, die genau diese Hoffnung noch nicht begraben haben. Da waren etwa GewerkschafterInnen wie Ellen Engstfeld, die – ehe es überhaupt richtig hell war – draussen vor der Halle Flugblätter verteilte, in denen die SPD zu einem glaubhaften Bruch mit der neoliberalen Agenda-2010-Politik aufgefordert wurde. «Wir hatten doch schon zwei Grosse Koalitionen, wieso sollte denn bei einer dritten etwas Neues kommen?», fragt Engstfeld, die in einer Kölner Kindertagesstätte arbeitet.

Nicht clever genug verkauft?

Und da waren die Jusos, die schon in den vergangenen Wochen als innerparteiliche Opposition für Aufsehen gesorgt hatten und deren Vorsitzender Kevin Kühnert mittlerweile zum landesweit bekannten Promi avanciert ist. Während der Debatte im Saal waren es ihre VertreterInnen, die am schärfsten gegen die Zugeständnisse an die Konservativen polemisierten, die gegen eine repressive Migrationspolitik und die Zementierung prekärer Lebensverhältnisse Stellung bezogen. «Wir überzeugen viele Leute deswegen nicht mehr, weil wir seit 1999 die falsche Politik machen», sagt Delara Burkhardt nach ihrer Rede. Die SPD sei in der Vergangenheit viel zu viele Kompromisse eingegangen, meint die 25-jährige stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende: «Wenn wir stattdessen wieder die grossen Fragen stellen, können wir die Leute, die wir verloren haben, zurückgewinnen.»

Genauso sieht das auch Philipp Richter, der zwar nicht im Saal reden durfte, aber dafür draussen mit seinen GenossInnen lautstark demonstrierte. «Ich will mindestens die Partei von vor 1998 zurück», so der Berliner Juso, der desto aufbrausender wird, je länger er redet. «Die müssen endlich zugeben, dass die Agenda 2010 falsch war!» «Die», also die Parteispitze, tat genau dies in Bonn aber nicht; vielmehr erweckte sie den Eindruck, dass das Problem der SPD vor allem darin liege, dass sie ihre Erfolge nicht clever genug verkaufe. Eine eher gewagte These.

Zwar ist der von den Jusos angeführte «Zwergenaufstand», wie die JungsozialistInnen ihre Rebellion inzwischen selbstironisch bezeichnen, vorerst gescheitert; das letzte Wort wird allerdings die SPD-Basis nach den Verhandlungen mit der Union haben. Dann nämlich werden die Mitglieder darüber abstimmen, ob die Partei tatsächlich in die Koalition mit der Union gehen soll. Die Parteilinke hat deswegen schon angekündigt, ihre #NoGroKo-Kampagne fortzuführen. Die Hoffnung auf eine wirkliche Erneuerung der deutschen Sozialdemokratie, es gibt sie zumindest noch.