Europapolitik: Ein Superheld für Ignazio Cassis

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«Mister Europa» macht Taekwondo. Im weissen Trainingsanzug und mit grünem Gürtel zeigte die «Tagesschau» den Diplomaten Roberto Balzaretti, nachdem er letzte Woche von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis zum neuen Staatssekretär für das Europadossier ernannt worden war. «Kampfsportler für Brüssel», titelte tags darauf der «Blick». Und: «Der neue EU-Staatssekretär Roberto Balzaretti kann hart zuschlagen».

Ist sonst kein Ausweg in Sicht, muss ein Superheld her. Die Situation zwischen der Schweiz und der EU ist verzwickt, die Ratlosigkeit riesig. Das demonstrierte auch Aussenminister Cassis, der vom alle Probleme lösenden «Reset-Knopf» fantasiert hatte – und diesen doch nicht fand. Stattdessen zauberte er einen «Mister Europa» aus dem Hut, einen Helden mit starken Armen und einer Prise Menschlichkeit. Die Medien freute es, so auch den «Tages-Anzeiger»: «Balzaretti ist der Typ Mann, der alles gleichzeitig zu schaffen scheint. Er hat fünf Kinder, pendelt aus der Region Lausanne nach Bern und mag rassige Autos: Porsche, Alfa Romeo, Range Rover.»

Es passt gut zur Story des Superhelden, dass er alle Hindernisse aus dem Weg räumt: zuallererst Staatssekretärin Pascale Baeriswyl. Sie ist jetzt nur noch für den «Rest der Welt» (Cassis) zuständig. Vor etwas mehr als einem Jahr, unter Cassis’ Vorgänger Didier Burkhalter, hatte Baeriswyl Balzaretti in der Ausmarchung um das mächtige Amt noch geschlagen. Sie hatte in einem mehrstufigen Auswahlverfahren durchs Band als Beste abgeschnitten. Baeriswyls Ernennung gab damals auch zu reden: An der Pressekonferenz habe sie mit Burkhalter «geschäkert», aber sie könne mehr als nur gut flirten, schrieb der «Blick». Ehrgeizig und kompetent sei sie, diese erste Frau im Amt einer Staatssekretärin, und Feministin obendrauf. Von «Madame Europa» war allerdings keine Rede. Stattdessen fasste die Zeitung den diplomatischen Werdegang von Baeriswyl so zusammen: «Mit zwei Kindern auf fünf Posten in drei Kontinenten». Eine Frau, die als Mutter internationale Karriere macht und dabei gestandene Spitzendiplomaten auf die hinteren Ränge verweist, taugt im Schweizer EU-Epos offenbar weniger gut zur Superheldin.