Kriegspolitik: Im Stechschritt in den Abgrund

Nr. 8 –

Bei der Sicherheitskonferenz in München waren die besonnenen Stimmen in der Minderheit. Dabei drohen die Konflikte im Nahen Osten eine gefährliche Dynamik zu entwickeln.

«Bis zum Abgrund – und zurück?», unter dieser Leitfrage stand die Münchner «Sicherheitskonferenz» über die gefährlichsten Konflikte und Bedrohungen dieser Welt. Die Antwort der meisten KonferenzrednerInnen am vergangenen Wochenende lautete: Weiter vorwärts! Regierungsmitglieder und ParlamentarierInnen aus Ankara, Tel Aviv, Washington, Riad, Paris, Teheran und Moskau rechtfertigten, verharmlosten oder leugneten die von ihren Ländern aktuell oder in jüngster Vergangenheit geführten Kriege und militärischen Interventionen sowie ihre atomaren und konventionellen Aufrüstungsmassnahmen.

Manche drohten sogar mit weiteren völkerrechtswidrigen Militärschlägen. Nur wenige warnten vor direkten militärischen Konfrontationen zwischen Staaten in der Konfliktregion des Nahen Ostens oder gar zwischen Grossmächten. In Syrien ist diese Gefahr inzwischen bereits Realität geworden. Am Dienstag beschossen türkische Invasionstruppen die Streitkräfte der Regierung Assad, die zur Unterstützung der syrischen Kurdenmiliz YPG in das umkämpfte Afrin verlegt worden waren.

Damit hat der Syrienkonflikt eine Eskalation erfahren, die zu seinem Beginn 2011 kaum jemand für möglich gehalten hätte. In den folgenden Jahren entwickelte sich dieser zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran sowie den USA und Russland, die ihre jeweiligen syrischen Verbündeten mit Waffen, Geld, Kämpfern und Logistik unterstützen. Seit dem Herbst 2015 griffen die Grossmächte USA und Russland mit eigenen Streitkräften in Syrien ein – mit dem Ziel der Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staates sowie russischerseits auch zur Unterstützung der syrischen Regierungstruppen. Die USA haben seit April 2017 mehrfach – teils mit Absicht, teils angeblich «aus Versehen» – syrische Militärbasen und Bodentruppen beschossen.

Krieg gegen den Iran in Syrien?

Ob sich die in dieser Woche erreichte Eskalationsstufe erster militärischer Auseinandersetzungen zwischen türkischen Soldaten und syrischen Streitkräften zu einem Krieg zwischen beiden Ländern entwickelt, hängt davon ab, ob die Regierungen in Damaskus und Ankara dafür Rückendeckung von ihren Verbündeten in Moskau oder Washington erhalten. Die russische Regierung ist noch unschlüssig. Das machte Aussenminister Sergei Lawrow in München deutlich mit seinem ambivalenten Statement zum völkerrechtswidrigen Krieg der Türkei gegen die syrischen Kurden («Wir haben Verständnis für die Position beider Seiten»). In Washington hängen die weiteren Schritte wesentlich davon ab, ob die türkischen Invasionsstreitkräfte nach einer Eroberung Afrins bei einem weiteren Vormarsch – wie von Präsident Recep Tayyip Erdogan angedroht – auch gegen US-Soldaten vorgehen, die bislang die YPG ausgebildet und bewaffnet haben. Die von Erdogan am Dienstag angekündigte «Belagerung und Aushungerung» Afrins könnte die Stimmung in Washington zuungunsten Ankaras verändern.

Möglicherweise grösser als die Gefahr eines Krieges zwischen Syrien und der Türkei ist das Risiko, dass Syrien zum Schlachtfeld eines Krieges gegen den Iran wird – geführt von einer Allianz aus Israel, den USA, Saudi-Arabien sowie weiteren sunnitischen Golfstaaten. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu drohte in München unverhohlen mit diesem Krieg, da der Iran eine «schiitische Landachse von Teheran über Syrien bis zum Mittelmeer» plane. Netanjahu rechtfertigte die israelischen Luftangriffe der letzten Woche gegen Ziele in Syrien mit der dortigen Präsenz iranischer Söldner sowie «von Teheran unterstützter Terrororganisationen» und kündigte die Ausweitung dieser Attacken an.

Support aus Washington

Netanjahus Behauptung, der Iran sei «die grösste Bedrohung nicht nur für die gesamte Nahostregion, sondern global», wurde in München auch von Donald Trumps nationalem Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster sowie von den anwesenden US-ParlamentarierInnen beider Parteien unterstützt. Wie würde Russland auf einen mit US-Beteiligung geführten Krieg gegen den Iran reagieren? Diese Frage wollten Sergei Lawrow und die anderen auf der Sicherheitskonferenz anwesenden russischen VertreterInnen lieber nicht beantworten.