Menschenrechte: «Der Kongo ist der Hauptort der starken Frauen»

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Am Dienstag erhielt Julienne Lusenge in Genf einen wichtigen Menschenrechtspreis. Die kongolesische Frauenrechtsaktivistin sprach dabei über ihre grosse Friedensvision – und viele kleine Erfolge.

Die Demokratische Republik Kongo sei weltweit der Hauptort für Vergewaltigungen. Das sagte vor über sieben Jahren Margot Wallström, die damalige Uno-Sonderbeauftragte zum Thema sexuelle Gewalt in Konflikten. Der Satz bestimmt bis heute das Image des riesigen zentralafrikanischen Staates mit rund achtzig Millionen EinwohnerInnen.

Kein Wunder: Pro Stunde kommt es im Kongo durchschnittlich zu 48 Vergewaltigungen. Seit Mitte der neunziger Jahre, als in den Ostprovinzen ein komplexer Krieg aufgeflammt ist, in den verschiedenste von Nachbarstaaten unterstützte Rebellengruppen und die kongolesischen Streitkräfte involviert sind, wird sexuelle Gewalt von allen Seiten als kriegerisches Mittel gegen Frauen, Kinder und auch Männer eingesetzt.

Diese triste Situation ist auch der Grund, warum Julienne Lusenge zu einer Aktivistin für Frauenrechte wurde. Doch den Slogan von Wallström mag die kleine, energische Frau nicht mehr hören: «Nein, wir sind nicht der Hauptort für Vergewaltigungen – wir sind der Hauptort der starken Frauen, die solidarisch für ihr Rechte und ihre Würde kämpfen!» Lusenge sagt dies am Dienstag am Rand des Geneva Summit on Human Rights and Democracy, wo sie soeben den von 25 NGOs vergebenen Internationalen Frauenrechtspreis erhalten hat. «Wallströms Äusserung ist absolut beschämend», fährt Lusenge fort. «Sie sagte das als Uno-Repräsentantin – dabei sind Truppen der Vereinten Nationen seit bald zwanzig Jahren im Land, ohne dass sie die Gewalt verhindern. Und Wallström wollte wohl auch nicht wahrhaben, dass der Konflikt durch ökonomische Interessen und den Waffenhandel europäischer Staaten genährt wird.»

Von der Journalistin zur Aktivistin

Lusenge, die in der Stadt Beni in der nordöstlichen Provinz Nordkivu aufgewachsen ist, konnte sich über die Jahrzehnte ein ziemlich genaues Bild der Lage machen. Als Journalistin eines Gemeinschaftsradios war sie seit den siebziger Jahren in den Dörfern der Region unterwegs. Die belgische Agentur für Entwicklungszusammenarbeit unterstützte das Radioprojekt, das die ländliche Bevölkerung über ihre Rechte aufklärte und mit Gesundheitstipps versorgte, bis sie sich Ende der achtziger Jahre mit dem damaligen Machthaber Mobutu Sese Seko überwarf. «Wir führten das Radio trotzdem weiter», sagt Lusenge.

Im August 1998 brachten von Ruanda unterstützte Rebellen praktisch den ganzen Osten der Demokratischen Republik Kongo unter ihre Kontrolle; der Krieg, der Millionen von Todesopfern forderte, setzte auch die extreme Welle sexueller Gewalt frei. Lusenge baute zuerst mit einer Freundin eine erste Frauenrechts-NGO auf, die auch das Radio weiterführte. Später, im Jahr 2000, gründete sie einen eigenen Verband (Solidarité Féminine pour la Paix et le Développement Intégral, kurz: Sofepadi), unter dessen Dach heute 23 Frauenorganisationen agieren.

Lusenge verfolgt seither zwei Strategien: «Wir helfen zum einen direkt den Opfern sexueller Gewalt, damit sie sich wieder gesund in ihre Gemeinschaften integrieren können. Zum andern wollen wir aber auch die Strafverfolgung zum Thema machen.» Deshalb versucht der Verband auch, die Täter vor Gericht zu bringen. Das machten die internationalen Hilfsorganisationen nicht, weil diese einen möglichst apolitischen Ansatz verfolgten. «Doch ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden», meint Lusenge. «Und wir brauchen den Frieden, damit die sexuelle Gewalt aufhört und die Frauen zu ihren Rechten kommen.» Die Regierung müsse im Moment vor allem verhindern, dass sich der Krieg von den Ostprovinzen auf das ganze Land ausbreite. «Das geht aber nur, wenn die Regierungen Ruandas und Ugandas aufhören, bewaffnete Gruppen im Kongo zu unterstützen und unsere Ressourcen zu rauben», so Lusenge.

Wann gratuliert die Regierung?

Das ist die grosse Friedensvision von Julienne Lusenge. Die Realität sieht aber düster aus, wie der soeben veröffentlichte Jahresbericht von Amnesty International bestätigt: Generell habe sich die Menschenrechtssituation in der Demokratischen Republik Kongo im vergangenen Jahr weiter verschlechtert; in der Kasaï-Provinz sei seit 2016 nicht nur ein neuer Konfliktherd entstanden, dieser habe sich inzwischen auch auf umliegende Provinzen im südwestlichen Zentrum des Landes ausgeweitet, wobei Tausende Menschen gestorben und über eine Million vertrieben worden seien.

Neben all den Problemen müsse man aber auch die Erfolge sehen, findet Lusenge. «Wir haben viele, viele Leben gerettet, wir haben Sexsklavinnen befreit, wir haben Vergewaltigungsopfern geholfen, gesund zu werden, ihr Trauma zu überwinden und wieder in ihr Dorf zurückzugehen.» Und auch Präsident Joseph Kabilas Regierung mache seit einigen Jahren deutlich mehr, um den sexuellen Missbrauch durch staatliche Sicherheitskräfte zu reduzieren; Julienne Lusenge hat über ihren Verband einen guten Draht zur für sexuelle Gewalt zuständigen Regierungsvertreterin.

Lusenge will deshalb nicht ausschliessen, dass die Regierung ihr bald sogar zum Gewinn des internationalen Menschenrechtspreises gratulieren könnte. Immerhin will auch diese das einst von Margot Wallström in die Welt gesetzte Label so rasch wie möglich loswerden.