Pop: Die blitzblanke Oberfläche ist die neue Tiefe

Nr. 8 –

Das Ostschweizer Duo Dachs singt auf seinem ersten Album von Snackautomaten und Lebensrobotern – und liefert mit seiner Hymne aufs Postauto den Popsong zur Stunde.

Schüfeli und Bäseli vor einem St. Galler Traditionslokal: Lukas Senn und Basil Kehl von Dachs.

Es sollte ein Loblied sein auf die abseitigen Kurse im Leben. Eine Hommage an das, was noch nicht eingespart wurde, obwohl es nicht mehr rentiert. Aber das ist jetzt etwas blöd gelaufen für das Ostschweizer Duo Dachs und seinen Song «Dü Da Do», angelehnt an den alten Kinderreim zu Ehren des Postautos. Das Postauto, die gelbe Ikone des Service public, als Bastion gegen allseitiges Profitstreben? Das klingt gerade ziemlich scheps, seit man weiss, dass dort jahrelang Subventionen ertrickst wurden.

Aber Popmusik ist ja kein Newsletter mit Verfallsdatum. Sie handelt vom Moment, hält ihn fest für drei bis vier Minuten, und im besten Fall entsteht dabei etwas, das die Zeit aushebelt. Basil Kehl und Lukas Senn von Dachs wissen, wie das geht. Vor gut zwei Jahren ist ihnen mit «Büzlä» so ein Song gelungen, der schon jetzt in den Kanon der Schweizer Popgeschichte gehört.

Blubbern, Zischen, Wabern

Das fing schon beim sprechenden Diminutiv im Titel an: Putzen ist eine Tätigkeit, Pützeln schon eine Zwangshandlung. Und «Büzlä», das war eine federleichte Hymne an unsere nationale Alltagsneurose, der Sound sauber wattiert und knisternd wie ein Mikrofasertuch. Basil Kehl sang dazu ganz zart von Schüfeli und Bäseli, darauf reimte sich «C’est la vie», und im Refrain dann der Wechsel ins scheinheilige Falsett: «Büzlä vor de eigete Hütte / Mir tüend de Dräck i d Wält useschüttle.» Zwei Zeilen nur, aber prägnanter kann man den Geist dieses Landes nicht auf den Punkt bringen.

Diesen doppelbödigen Flirt mit dem Supercleanen führen die beiden St. Galler jetzt auch auf ihrem ersten Album weiter. «Immer schö lächlä» heisst es, und in diesem Titel steckt nicht nur das Gebot aus der Karriereberatung, sondern auch die Gesellschaftsdiagnose. Der Mundartpop von Dachs schillert oft gerade dort besonders schön, wo das Lächeln einfriert – oder wo es auch nichts mehr hilft, weil alle so austauschbar vor sich hin lächeln.

Immer wieder geht es hier um den traurigen Konformismus derer, die möglichst nonkonformistisch wirken wollen: «Du willsch einzigartig sii / ’s wird immer schwieriger» bringt Basil Kehl gleich zu Beginn das Dilemma seiner Generation auf den Punkt. Und wozu führt das? Zur verklemmtesten Generation seit den Fünfzigern, wie es ein paar Songs später in «Lebensroboter» heisst: Alle schauen Pornos, aber niemand geht mehr nackt baden. Und überall Geräte zum Drücken und Streicheln, aber hast du schon mal versucht, mit einem Self-Scanning-Automaten über deine Gefühle zu reden? Der will doch nur deine Karte.

Wenn ihr hochsynthetischer Pop unsere Lebenswelt zwischen Knopfdruck und Touchscreen spiegelt, gelingen Dachs immer wieder grosse Momente von beiläufiger Tiefe, wie in «Selecta Automat». Der Snackautomat wird hier zur Metapher für die Zumutungen auf dem digitalisierten Datingmarkt, mit dem Sänger als Colabüchse, die zwischen den Bügeln sitzen bleibt: «Niemert zuckt, niemert truckt mini Nummere».

Musikalisch kommt das sehr proper daher. Ein aseptisches Blubbern, Zischen und Wabern über feinen Beats, was Lukas Senn da elektronisch herrichtet, und manchmal klimpert ein aufgedrehtes Plastikpiano haarscharf am nervtötenden Jingle vorbei. Dachs setzen damit fort, was die Kollegen von Jeans for Jesus vorgespurt haben: Wer sagt denn, dass Mundart nur für Befindlichkeitslyrik taugt, nicht für hochgradig artifiziellen Pop? Die blitzblanke Oberfläche ist die neue Tiefe.

Das funktioniert aber auch nur, wenn man das nötige melodische Flair mitbringt. Keine Frage bei Dachs, dazu muss man sich nur mal den Bee-Gees-Gedenkrefrain anhören, mit dem Basil Kehl in «Dü Da Do» das Postauto begrüsst. Ein Jauchzer, ganz ohne Stallgeruch. Und so verflucht eingängig, dass man mit dieser Hymne auf den Service public selbst das profitgierige Postautomanagement zur Räson bringen könnte.

Heimelig wirds bei Dachs ausgerechnet dann, wenn sie uns in eine dystopische Zukunft katapultieren, in der die Autos fliegen gelernt haben: «New York, Moskau, Paris und Berlin sind längschtens bombardiert / Doch bi üs isch nüt Nennenswerts passiert.» Draussen Dystopie, aber hier drin im Kleinstaat ist alles beim Alten, im Jahr 2315. Und bevor man sich fragt, was denn die Schweiz dannzumal umtreiben könnte, liefert der Refrain die Antwort: Vorbereitungen zum Jubiläum, man feiert tausend Jahre Schlacht am Morgarten.

Endlos in der Luft

Nur manchmal, da bleibt das Triviale auch bei Dachs einfach: trivial. Wenn sie in einschlägiger Verliererromantik den verregneten Match eines Drittligavereins besingen, klingt das wie eine unfertige Stahlberger-Vignette. Vier mittelmässige Songs weniger, und dieses Album wäre ein Wurf. Richtig gross sind Dachs dort, wo sie die Dinge in der Schwebe halten und wo Basil Kehl in der Sprache eine Zärtlichkeit findet, wie man sie so noch nie gehört hat im Schweizer Pop. So ein Song ist «Giraizlä», grazil wie dieses Wort selber. Auf wunderbarste Weise führt dieser Track nirgendwohin, weil er eben genau davon handelt: vom ewigen Hin und Her auf der Schaukel, «sit em füfi am Morge». Ausnüchtern nach der Party, du denkst ans Abspringen und bleibst doch sitzen, weil du einen sitzen hast.

Ohne Zeitgefühl endlos in der Luft hängen: Man darf dieses «Giraizlä» getrost als spätes Echo auf «Campari Soda» von Taxi hören. Bloss dass die Sehnsucht hier sehr bodennah auf dem Kinderspielplatz schaukelt.

Dachs in: Bern, Rössli, 1. März 2018; St. Gallen, Palace, 2. März 2018 (Plattentaufe); Olten, Coq d’Or, 3. März 2018; Basel, Parterre, 7. März 2018; Zürich, Gonzo, 8. März 2018; Luzern, Schüür, 9. März 2018.

Dachs: Immer schö lächlä. Siedl Records/Irascible. 2018