Rechtsterrorismus: Ein Signal der Justiz an die Verharmloser

Nr. 11 –

Nach Angriffen auf Geflüchtete und Linke in Ostdeutschland hat ein Gericht mehrjährige Haftstrafen verhängt. Ist das Urteil im Prozess um die «Gruppe Freital» ein Wendepunkt im Kampf gegen rechtsextreme Gewalt?

Auf den Tag genau ein Jahr nach Prozessbeginn hat das Oberlandesgericht Dresden sein Urteil gegen die sogenannte Gruppe Freital gefällt: zehn und neuneinhalb Jahre Haft für die «Rädelsführer», die beide schon früher im rechtsextremen Milieu aufgefallen sind, mehrjährige Haftstrafen für die übrigen sechs Angeklagten. Das Gericht bleibt so nur knapp unter dem Strafmass, das die Bundesanwaltschaft gefordert hatte.

Die Liste der Delikte ist lang: Sie umfasst mehrere Sprengstoffanschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten, das Auto eines linken Politikers und ein Büro der Linkspartei in der sächsischen Kleinstadt Freital sowie auf ein linkes Wohnprojekt in Dresden, versuchten Mord, Körperverletzung und Sachbeschädigung. Mit ihren Taten hätten die Angeklagten «ein Klima der Angst und Repression» erzeugen wollen, hält das Gericht fest. Dass bei den Attacken niemand ums Leben kam, ist reines Glück. Auch in einem anderen Punkt gab das Gericht der Anklage recht: Die acht hätten eine «terroristische Vereinigung» gegründet. Es ist das erste Mal, dass die Justiz in Deutschland Angriffe auf Geflüchtete Terrorismus nennt.

Warnung an potenzielle Nachahmer

Die Geschichte der «Gruppe Freital» beginnt im Juli 2015. In der Stadt, die später zu einem Symbol für Fremdenhass wird, gehen die Angeklagten ihrer Arbeit als Busfahrer oder Pizzakurier nach. Sie gründen eine «Bürgerwehr», verbreiten in Chats Hassbotschaften und pflegen Kontakte zu Neonazistrukturen: der NPD, Exponenten aus der Hooliganszene und rechtsextremen Gruppierungen wie der Freien Kameradschaft Dresden. Kerstin Köditz, Abgeordnete der Linkspartei im sächsischen Landtag, spricht gegenüber der WOZ von Hinweisen auf ein «ausgedehntes Neonazinetzwerk». Sie kritisiert, dass mit der Fokussierung auf die Gruppierung in Freital die gesamte Dimension des Problems ausgeblendet werde. Tatsächlich wird inzwischen gegen zehn potenzielle Unterstützer und Gehilfinnen ermittelt.

In der Einstufung der Taten als Terrorismus sieht Köditz ein «deutliches Signal», weil nun nicht mehr behauptet werden könne, es seien «Dummejungenstreiche» gewesen. «Das Urteil ist ein Signal an alle, die solche Taten über lange Zeit hinweg verharmlost haben, und eine Warnung an potenzielle Nachahmer», so die Linkspolitikerin. Verharmlosungen hatte es während des Prozesses viele gegeben. Man solle «nichts überbewerten», forderte beispielsweise der Bürgermeister von Freital.

«Das Urteil sagt klar, was Teile der Öffentlichkeit nicht wissen wollten: dass es sich bei den Taten um versuchte Morde durch organisierte Kräfte gehandelt hat, die aus überzeugtem Rassismus agierten», sagt auch der Anwalt Alexander Hoffmann, der einen der angegriffenen Geflüchteten vor Gericht vertreten hat. «Wenn das einzige Ergebnis wäre, dass mein Mandant nun Ruhe vor den Tätern hat, ist das bereits ein grosser Erfolg.» Zwar hält er den sogenannten Terrorismusparagrafen grundsätzlich für bedenklich: Schon die Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe sei strafbar, ein bestimmtes Verhalten werde also präventiv verurteilt. In diesem Fall sei die Anwendung hingegen richtig – weil nun nicht mehr so getan werden könne, als handle es sich nicht um organisierte Gewalt, so der Jurist aus Kiel.

Keine Zäsur

Der «Fall Freital» ist zwar ein besonders erschreckendes Beispiel für Gewalt gegen Geflüchtete und Andersdenkende, doch bei weitem kein Einzelfall. Allein 2017 gab es in Deutschland rund 2000 Angriffe auf Geflüchtete und über 300 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte. Nach wie vor wird nur ein kleiner Teil davon aufgeklärt. «Ich hätte mir gewünscht, wir hätten in der Beweisaufnahme eine Linie ziehen können: von den rassistischen Krawallen in Heidenau im Sommer 2015 oder dem Überfall auf den alternativ geprägten Stadtteil Leipzig-Connewitz bis zu den hier angeklagten Taten. Diese Gesamtheit hat zu einer deutschlandweiten Dynamik der rassistischen Flüchtlingsgegner beigetragen», sagt Hoffmann. Auch er kritisiert die sächsischen Behörden und fragt sich, ob ähnliche Angriffe in Zukunft ernster genommen würden.

Es brauche die Bereitschaft, Zusammenhänge zu erkennen und Übergriffe nicht nur als Einzeltaten abzutun, findet Linkspolitikerin Köditz. Doch genau daran hat die Sprecherin ihrer Fraktion zum Thema Antifaschismus ihre Zweifel – nicht zuletzt nach ihrer Erfahrung im sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss. «Solange kein Umdenken stattfindet, bleibt alles beim Alten.» Entsprechend fordert sie ein Gesamtkonzept gegen rechte Gewalt: eine interkulturelle Ausbildung für die Polizei etwa und eine effiziente Mitarbeit aller Ministerien, das Ende von Racial Profiling bei den Behörden.

Dass der Prozess im öffentlichen Diskurs in Freital selbst nicht zur Zäsur geworden ist, zeigt die Reaktion des Bürgermeisters, der in einer Stellungnahme die «Gewalt von allen Seiten» verurteilt. Besonders betroffen zeigt sich der CDU-Politiker davon, dass «eine kleine Gruppe das Ansehen unserer Stadt beschädigt hat». Vom Fremdenhass und den Nazinetzwerken in seiner Stadt ist nicht die Rede.