Angriff auf Afrin: Der Kampf wird weitergehen

Nr. 12 –

Der Rückzug der KurdInnenmiliz YPG aus Afrin soll die Zivilbevölkerung schützen. Die YPG kündet aber einen Guerillakampf an.

Am Sonntag ist Afrin überraschend innerhalb weniger Stunden gefallen. «Wir haben die volle Kontrolle über die Stadt», verkündete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan stolz. Dabei wurde in einigen Vierteln der nordsyrischen Kleinstadt noch gekämpft. Am Balkon des Rathauses von Afrin wurden die Flaggen der Türkei und der syrischen Revolution aufgehängt. Die Botschaft: Sieg auf der ganzen Linie. Militärische Probleme sind genau wie die Opfer in der Zivilbevölkerung angeblich nur eine Erfindung der kurdischen Terrorpropaganda.

Wenige Stunden nach Bekanntwerden des türkischen Triumphs veröffentlichten die VerteidigerInnen von Afrin, die KurdInnenmiliz YPG, eine erste Erklärung. Statt eine direkte Konfrontation mit der türkischen Armee und ihren Hilfstruppen der islamistischen Rebellen zu wagen, werde man von nun an eine «Hit and run»-Taktik praktizieren. «Wir sind überall in Afrin», heisst es, «und wir werden jede Gelegenheit zum Angriff nutzen.» Mit dem Guerillakrieg will man den Eindringlingen einen «permanenten Albtraum» bescheren.

Enttäuschte Hoffnungen

Der Entscheid der YPG ist unter ihren AnhängerInnen nicht sehr populär. In den sozialen Netzwerken zeigten sich viele enttäuscht. «Der Mythos von den grossen kurdischen Kämpfern wurde zerstört», hiess es auf Twitter. Gerne hätte man gesehen, dass die YPG ihre anfängliche Ankündigung, bis zum bitteren Ende kämpfen zu wollen, wahr macht. Afrin sollte ein zweites Kobane werden: Dort war 2015 der sogenannte Islamische Staat (IS) in einer Schlacht abgewehrt worden. Dieser heroische Kampf sollte sich nun gegen die türkischen Soldaten und ihre islamistischen Verbündeten wiederholen. Insgeheim wurde gehofft, dass die YPG in einem David-gegen-Goliath-Kampf erfolgreich sein würde.

Aber in Kobane war damals die US-Luftwaffe zu Hilfe gekommen, ohne die es zur Niederlage gekommen wäre. In Afrin kommt keine Hilfe aus der Luft. Im Gegenteil, dieses Mal ist es umgekehrt: Türkische Kampfflugzeuge bombardierten kurdische Stellungen, beschossen sogar Wohngebiete und Krankenhäuser. Die YPG hat dafür geschaut, dass es keine weiteren zivilen Opfer gibt. Zwar sind in den Tagen vor dem türkischen Einmarsch über 150 000 BewohnerInnen geflohen. Aber bis zu 300 000 Menschen sind geblieben. Hätte die YPG weitergekämpft, wäre es zu einem Gemetzel und zu Zerstörungen wie in Ghuta gekommen: Das syrische Regime hat nahezu zeitgleich zum türkischen Angriff auf Afrin seine Offensive auf den letzten von Rebellen gehaltenen Teil in Damaskus durchgeführt.

Die kurdische YPG ist mit ihrem Schutz der Bevölkerung eine seltene Ausnahme. Im Lauf des nun schon seit acht Jahren andauernden syrischen Bürgerkriegs hat kaum je eine der beteiligten Konfliktparteien die Verantwortung für die eigene Bevölkerung übernommen – von der des Gegners ganz zu schweigen. Auch für die syrischen Rebellengruppen ist die Sicherheit der ZivilistInnen seit Beginn kaum eine Überlegung wert. Sie nahmen deren Tod billigend in Kauf. 2012 wurden in Aleppo Waffenlager in Schulen und Wohngebieten eingerichtet, obwohl Verstecke dieser Art bereits bombardiert worden waren. Im Nebengebäude des berühmten Dar-al-Schifa-Krankenhauses wurden immer wieder wichtige Militärversammlungen abgehalten. Die ÄrztInnen protestierten ständig dagegen, ohne Erfolg. Das Hospital wurde bei einem Luftangriff zerstört.

Flucht in den Süden

Die Flucht der 150 000 ZivilistInnen aus Afrin, kurz vor dem Einmarsch der türkischen Armee, war kein Zufall. Die Menschen wurden von den Minaretten der Moscheen aufgerufen, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Wirklich aus der Gefahrenzone sind die Geflüchteten heute allerdings noch nicht. Denn das Regime hinderte die meisten daran, weiter nach Aleppo zu fahren. Nun sind sie etwa vierzig Kilometer nördlich der ehemaligen Industriemetropole gestrandet, in der Gegend um Tal Rifat.

«Sie schlafen in ihren Fahrzeugen, liegen einfach neben der Strasse und unter Bäumen», sagt Roj Moussa, ein lokaler Journalist, der ebenfalls im letzten Moment aus Afrin geflüchtet ist. Tal Rifat liegt im Gebiet, das unter Kontrolle der YPG ist. Die Frontlinie zu den islamistischen Rebellen liegt jedoch nur wenige Kilometer entfernt. Bisher gab es in diesem Abschnitt noch keine Offensive. «Wir sind erst einmal in Sicherheit», schreibt Roj Moussa über den digitalen Kurznachrichtenkanal Whatsapp. «Dann sehen wir weiter.»

Für den Journalisten steht fest, dass der Kampf weitergeht. «Fälschlicherweise hat die Türkei behauptet, die YPG-Führung sei geflüchtet, aber ich weiss von ihr persönlich, dass sie in Afrin geblieben ist.» Nur der Zivilrat, verantwortlich für die Verwaltung der Stadt, sei mit den anderen ZivilistInnen nach Tal Rifat evakuiert worden. «Sonst hätte man die Mitglieder massakriert.»