Bildungsaufstand: Allianzen weit über die Hörsäle hinaus

Nr. 12 –

In einem «Bildungsaufstand» organisieren sich StudentInnen schweizweit gegen den Bildungsabbau. Ihre «Aktion_Bildung» überwindet Sprachgrenzen und zielt über die Universitäten hinaus. Porträt einer jungen Bewegung – und ein Blick in die Regionen.

«Reiche Eltern für alle!»: StudentInnen in Bern malen Demotransparente für die Aktionswoche gegen den Sozialabbau.

Die Bewegung «Aktion_Bildung» ist gerade mal ein halbes Jahr alt: Im November 2017 trafen sich an der «Langen Nacht der Kritik Basel» StudentInnen aus der Deutschschweiz (siehe WOZ Nr. 48/2017 ) – schon im Dezember kamen weitere aus Fribourg, Lausanne, Neuenburg und Genf dazu. Dieser Tage nun laufen unter dem Schlagwort «Bildungsaufstand» Aktionswochen in verschiedenen Unistädten. Den Höhepunkt bildet eine gemeinsame Abschlusskundgebung in Bern. Es scheint, dass auf die koordinierten Erhöhungen von Studiengebühren eine ebenso koordinierte Antwort der StudentInnen folgt.

Zum Beispiel im Kanton Luzern. «Was kostet das?» sei hier zur alles entscheidenden Frage geworden, sagt Sandra Achermann von den Kritischen JuristInnen. Bislang hat sich der Kanton vor allem mit Kahlschlägen im Sozial- und Asylwesen hervorgetan. Doch auch im Bildungswesen spielt er eine negative Vorreiterrolle: Die private Anschubfinanzierung der vor zwei Jahren eröffneten Wirtschaftsfakultät an der Uni Luzern wurde medienwirksam als «Eigenverantwortung» angepriesen. Bereits 2013 war der Kanton mit «Studienaktien» vorgeprescht: StudentInnen wurden damit zu Spekulationsobjekten degradiert – sie erhalten Darlehen von Privaten, deren Zinsen sich am Karriereverlauf der angehenden AkademikerInnen orientieren. Es ist der wohl schlimmste Auswuchs, den die Ökonomisierung der Bildung hierzulande bislang erzeugt hat.

Die lateinische Schweiz macht mobil

Auch im Tessin wird seit 2014 im Stipendienwesen gekürzt. Die kleine Universität in Lugano ist mit 2000 Franken Studiengebühren (für InländerInnen) die landesweit teuerste. Auch daher studieren die meisten TessinerInnen ausserhalb des Kantons. Seit 2008 steckt der Kanton in einer wirtschaftlichen Krise, die durch die bürgerliche Regierung und das Parlament noch verstärkt wurde. Die Kürzungen trafen den ganzen Bildungsbereich. 2016 wollten die Bürgerlichen, dass BachelorstudentInnen ein Drittel ihres Stipendiums zurückzahlen müssen (eine Regelung, die der Kanton Aargau kürzlich per Volksentscheid für alle Stipendien einführte). Nicht zuletzt dank des Widerstands der StudentInnen konnte diese Kürzung abgewendet werden. Mit einer Petition fordert nun die unabhängige Gewerkschaft für Studierende und Auszubildende (Sisa), den Abbau der letzten Jahre rückgängig zu machen. Zeno Casella von der Sisa ist optimistisch gestimmt: «Wenn wir uns als Studierende organisieren, können wir etwas verändern.»

Breitere Allianzen strebt auch Romain Gauthier von der CUAE an, der StudentInnengewerkschaft in Genf, wo sechzig Prozent der StudentInnen von ausserhalb des Kantons kommen. Für Gauthier ist Unipolitik daher immer auch Wohnpolitik: «Weil wir eine der höchsten Durchschnittsmieten der Schweiz haben, ist der Zugang zur Uni untrennbar mit der Wohnpolitik verbunden.» Wo es fast unmöglich ist, ein zahlbares Zimmer auf dem freien Markt zu finden, kommen auf 16 000 StudentInnen nur 3500 studentische Betten. Gauthier pocht auf ein grundsätzliches Recht auf Wohnen: Unter der Parole «Prenons la Ville» nahm die CUAE letzte Woche an einer weiteren Grossdemo gegen die renditeorientierte Immobilienpolitik im Stadtkanton teil.

Die Verbindung der Kämpfe für bezahlbares Wohnen und das Recht auf Bildung steht in der Deutschschweiz noch aus. Doch notwendig wäre sie auch hier. Überhaupt stellen sich in allen Unistädten immer wieder die gleichen Fragen. In Bern zum Beispiel äussert sich der studentische Widerstand in einem einfallsreichen Aktionsprogramm. In Lausanne fordert Vigen Kühni von der StudentInnengewerkschaft Sud noch grundsätzlichere Veränderungen: Alle StudentInnen sollen ein Einkommen zur Deckung des Lebensunterhalts erhalten. «Nur so kannst du deine Ausbildung frei wählen und dich ihr ganz widmen», sagt Kühni. Von Modellen wie etwa in nordischen Staaten, wo ein Teil des Studieneinkommens wieder zurückgezahlt werden muss, hält er wenig: Bildung ist für Kühni ein Allgemeingut. Mit seinen KollegInnen versucht er, Allianzen über die Hörsaale hinaus zu schaffen: Für die Demo in Bern wollen sie auch an Berufs- und Mittelschulen mobilisieren.

In Basel haben sich früh auch MittelschülerInnen dem Widerstand angeschlossen: Anna Holm, Schülerin am Gymnasium Muttenz in Baselland, kommt gerade aus einer Matheprüfung, als sie die WOZ am Telefon hat. In der SchülerInnenorganisation beider Basel will die Neunzehnjährige mit ihren KollegInnen das politische Bewusstsein schaffen, dass der Bildungsabbau alle betrifft. Die bürgerliche Regierung in Liestal treibt Basel-Stadt mit immer neuen Sparforderungen an der gemeinsam finanzierten Universität vor sich her. Nun sollen die Studiengebühren um hundert Franken erhöht werden. Derweil wurden in Baselland unter anderem bereits die Löhne der LehrerInnen um ein Prozent gekürzt. Auch Holm wird mit ihren KollegInnen nicht nur in Liestal demonstrieren – zusammen mit UnistudentInnen aus Basel reist sie am Samstag auch nach Bern.

Und wo bleibt der Mittelbau?

Während die Allianz mit den Mittelschulen in Ansätzen gelingt, sucht man vergeblich nach einer Interessenorganisation des Mittelbaus der Universitäten, also der Forscherinnen und Assistenten. Diese zu organisieren, sei schwierig, erzählt ein Assistent, der anonym bleiben will. Trotz des hohen gesellschaftlichen Ansehens arbeiten JungakadamikerInnen oft unter prekären Bedingungen: Wenn Geld vom Nationalfonds ausbleibt, kann man sich nur in Teilzeit seiner Forschung widmen – geschweige davon leben. Verträge werden nur befristet vergeben, und es wird erwartet, dass man bereits vor der Doktorarbeit viel publiziert. Gleichzeitig soll man seinem Professor jederzeit zur Hilfe eilen.

Das alles erschwert die Vernetzung untereinander. Zumal die wissenschaftliche Arbeit einer immer stärkeren Quantifizierung ausgeliefert ist: Je mehr man innerhalb möglichst kurzer Zeit publiziert, desto höher sind die Chancen, eine weitere Stufe zu nehmen. Doch ist man nach einer abgeschlossenen Dissertation schon über 28 Jahre alt, gehört man bereits zu den Älteren. Erst eine Professur bietet Sicherheit – auf eine solche Stelle aber bewerben sich meist Hunderte AssistentInnen aus dem In- und Ausland. Das System aus Druck, Konkurrenz und Prekarisierung wird dabei von niemandem infrage gestellt: Die Studierenden kennen es nicht, die ProfessorInnen haben es hinter sich – und die ForscherInnen unterlassen kritische Töne aus Angst vor beruflichen Nachteilen.

In der «Aktion_Bildung» lassen sich Ansätze für ein breites Bündnis gegen eine solche Ökonomisierung der Bildung erkennen. Im Tessin und in der Romandie hat sie schon gestärkte Organisationsformen, in der Deutschschweiz müssen diese erst noch aufgebaut werden. Ja, und ein wenig radikaler könnte der Aufstand schon noch werden: Vielleicht wird ja bald nicht mehr an einem Samstag demonstriert – sondern mitten in der Woche die Uni besetzt.

Grossdemo in Bern am Samstag, 24. März. Weitere Infos: www.bildungsaufstand.ch.