Ungarns Opposition: Wenn die zweischwänzigen Hunde wedeln

Nr. 13 –

Mit direkter Aktion und viel Satire opponiert in Ungarn die Partei Zweischwänziger Hund gegen die rechtskonservative Regierung. Nun kandidiert sie erstmals für die Parlamentswahl.

«Kutjika!», ruft Gergely Kovacs mit durchdringender Bassstimme und entschuldigt sich kurz, denn er muss seinen Hund einfangen. Wir treffen uns vor dem Parteilokal der Magyar Ketfarku Kutya Part (MKKP) – was so viel heisst wie «Ungarische Partei Zweischwänziger Hund» – in der Nähe des Budapester Ostbahnhofs. Decke, Wände, Bar und Tische sind tapeziert mit Plakaten, Klebern und Skizzen aus dem Kampagnenmaterial der vergangenen Jahre. In diesem Kellerlokal treffen sich die PassivistInnen, wie sie sich selbst bezeichnen, regelmässig zu Sitzungen. «Ursprünglich war die Idee, hier eines unserer ersten Wahlversprechen umzusetzen: gratis Bier für alle. Aus Geldmangel mussten wir leider wieder davon absehen», meint Kovacs.

Schlagfertigkeit, Spontaneität und Ironie gehören zur Wesensart des 37-Jährigen – ebenso wie zu den Kampfmitteln seiner Partei. 2006 wurde sie in der Universitätsstadt Szeged aus der Taufe gehoben. Es war Wahlkampf, und Kovacs und einige Mitstudierende mokierten sich mit politischer Street-Art über die exorbitanten Wahlversprechen der Parteien. Sie kandidierten als Zweischwänzige Hunde, gaben sich alle den verbreiteten Namen Istvan Nagy und versprachen gratis Bier, ewiges Leben und zwei Sonnenuntergänge pro Tag. Aufgrund des positiven Echos habe er dann versehentlich die MKKP gegründet, obwohl die starren Strukturen einer Partei seinem Naturell zuwiderliefen. Kovacs ist ein Freigeist, der Politik als idealistisches Handeln versteht. Seit eineinhalb Jahren lebt der gelernte Grafikdesigner von seinem Ersparten, weil die Partei so viel Zeit beansprucht.

Eine Raumstation für Fussballfans

Bei einem Kaffee in einer nahe gelegenen Kneipe schildert Kovacs die Geschichte der MKKP, sporadisch unterbrochen durch Zwischenrufe nach seinem entlaufenen Hund. Mit dem Slogan «Wir versprechen alles!» kandidierte sie 2010 damals noch als NGO erstmals ernsthaft für die BürgermeisterInnenwahlen in Szeged und Budapest. Als ein neues Wahlgesetz nur noch offiziell anerkannte Parteien zuliess, traten die Zweischwänzigen Hunde 2012 den Registrierungsprozess an. Mehrere gerichtliche Instanzen disqualifizierten die MKKP als unseriös und den Namen wegen seiner Zweideutigkeit als unmoralisch, bevor ihr das Oberste Gericht schliesslich den Segen gab. Aufgrund der behördlichen Verzögerungstaktik wurde die Partei jedoch erst 2014 anerkannt – kurz nach Ablauf der Registrierungsfrist für die damaligen Parlamentswahlen.

Die MKKP ist bis heute eine Bewegung geblieben. Sämtliche PassivistInnen arbeiten unentgeltlich, was zeige, dass sie sich aus Überzeugung engagierten, betont Kovacs stolz. Sie vereint Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen, eine offizielle Parteiideologie gibt es nicht. Kovacs definiert die MKKP als «Bewegung besorgter BürgerInnen», um sogleich mit der parteipolitischen Elite abzurechnen: «In Ungarn bedeutet Politik, Opposition und einflussreiche Persönlichkeiten zu diffamieren, dem Volk das Blaue vom Himmel zu versprechen, um dann mithilfe korrupter Machenschaften die eigene Klientel zu bedienen und in die eigenen Taschen zu wirtschaften.» Die Regierungspartei Fidesz treibe dies auf die Spitze, enerviert sich Kovacs.

In sein Heimatdorf Felcsut liess Regierungschef Viktor Orban für zwei Millionen Euro aus dem EU-Haushalt eine kaum genutzte Eisenbahnstrecke bauen. Die EU hat eine Untersuchung eingeleitet. Für offiziell rund dreizehn Millionen Euro errichtete der eingefleischte Fussballfan Orban ein neues Stadion mit doppelt so vielen Plätzen, wie Felcsut EinwohnerInnen hat. Orbans Politik sei zur Realsatire verkommen. Wie soll man darauf reagieren, wenn nicht mit Satire? So fordert die MKKP eine Raumstation für Felcsut. «Wir wollen dem Dorf helfen», erklärt Kovacs, «dank der Raumstation könnten sich dort auch Ausserirdische den berühmten ungarischen Fussball anschauen.»

420 Jahre an der Macht

Ähnlich wie die isländische Beste Partei spielt auch die MKKP mit der Absurdität politischer Ereignisse. Mit Kommunikationsguerilla übt sie subversive Kritik am politischen System, greift die populistischen Stilmittel der Fidesz auf, überhöht sie ins Groteske und versucht so, Verwirrung zu stiften und kritisches Denken zu fördern. Die Bezeichnung «Spasspartei» hört Kovacs indes nur ungern. Klar, früh aufzustehen und hart zu arbeiten, gehörten nicht zu seinen Stärken, räumt er ein, ansonsten aber sei es ihm ernst mit der Partei.

Ihren bisher grössten Erfolg verbuchte die MKKP 2016, als sie erfolgreich gegen das umstrittene Fidesz-Referendum über die EU-Verteilquote für Geflüchtete mobilisierte. Durch Kleinstspenden finanzierte sie mit umgerechnet 100 000 Franken eine landesweite Plakatkampagne mit bissigen Slogans wie «Kommt nach Ungarn, wir haben Jobs in London!» oder «Wussten Sie? Durchschnittlich sehen Ungarn in ihrem Leben mehr Aliens als Flüchtlinge.»

Orbans hetzerische Angstkampagnen erachtet Kovacs als höchst problematisch, weil sie das Böse in den Menschen heraufbeschwörten. Obwohl es in Ungarn kaum Flüchtlinge gebe, habe der Hass auf sie stark zugenommen. Europäische Medien verurteilten Ungarns Bevölkerung deshalb oft pauschal als fremdenfeindlich und nationalistisch. Kovacs sorgt sich um den Ruf seines Landes und meint erklärend, wenn eine autoritäre Staatsmacht die demokratischen Institutionen aushöhle, achtzig Prozent der Medien kontrolliere und die Agenda dominiere, sei es kaum vermeidbar, dass sie längerfristig das Bewusstsein der Bevölkerung bestimme.

Orban betreibt eine sehr erfolgreiche Sündenbockpolitik, um von den realen Problemen abzulenken. Zwar sind dank wirtschaftlicher Investitionen die Löhne in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen, doch ist dies nicht ihm, sondern vielmehr einem seiner liebsten Sündenböcke zu verdanken. Seit 2010 sind rund dreissig Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt ins Land geflossen. Ungarn erhält die höchste Pro-Kopf-Unterstützung sämtlicher EU-Länder. Das sei Orban bewusst, meint Kovacs, weshalb er zwar oft und gerne gegen die Brüsseler Technokratie wettere, nie aber gegen die EU selbst. Die MKKP quittierte dies einst mit der ironischen Frage: «Wussten Sie? Brüssel ist eine Stadt.» Damit äffte sie die Kampagnen der Fidesz nach, die stets mit der Frage «Wussten Sie?» beginnen.

Letzten Herbst veröffentlichte die MKKP ihr erstes Parteiprogramm, eine bunte Mischung aus Parteiphilosophie, humoristisch-absurder Kritik und realistisch-konkreten Forderungen. Darin definiert sie sich als KünstlerInnengruppe, die eine sogenannte Gemeinwohlpolitik verfolgt. Hauptziel sei die Förderung von staatsbürgerlichen Initiativen. Statt in Selbstmitleid zu versinken und die Verantwortung an Politik und Behörden abzuschieben, will sie die Lösung dringlicher Probleme selbst an die Hand nehmen: «Wenn die Farbe einer Bank abblättert, streichen wir sie; wenn ein Spielplatz zerfällt, renovieren wir ihn.» Problemlösungen, die die Möglichkeiten der Partei übersteigen, inszeniert sie öffentlichkeitswirksam, um staatliches Handeln zu erwirken. So gestaltete sie Skulpturen aus dem Abfall entlang der Bahngleise, worauf die Behörden den Müll entsorgten. Weiter strebt die MKKP eine Wahlrechtsreform an: Sie will Hunden das Wahlrecht erteilen, um für die nächsten 420 Jahre die Macht zu erringen. Später sollen auch die anderen Tiere, Pflanzen und schliesslich auch Viren wählen dürfen.

Bessere Witze

Mit diesem Programm kandidiert die MKKP Anfang April erstmals für die nationalen Parlamentswahlen. Laut Umfragen steht der Sieg des Fidesz praktisch fest. Während sich Orban auf die Demontage seiner stärksten Konkurrenz, der rechtsextremen Jobbik, konzentriert, zerfleischt sich die sozialdemokratische Opposition durch interne Streitigkeiten selbst (vgl. «Alle gegen Viktor Orban?» im Anschluss an diesen Text). Die MKKP kann davon nur profitieren. Sie will das Beste herausholen, indem sie die staatlichen Wahlkampfgelder in Projekte investiert wie das mit Crowdfunding realisierte Regendach über einer neuen Busstation, dessen Einweihung sie auf Social Media humoristisch inszenierte, samt einer guten Prise Kritik an der grassierenden Korruption.

Mit über 260 000 FollowerInnen hat die MKKP die zweitgrösste Facebook-Community aller ungarischen Parteien. Laut Kovacs widerspiegelt dies ihre Basis, die mehrheitlich jung ist und in grösseren Agglomerationen wohnt. Aktuell liegt ihr WählerInnenanteil bei ein bis zwei Prozent. Um ins Parlament einzuziehen, müsste sie die Fünfprozenthürde überwinden. Ebenso müsste ihr Spitzenkandidat Kovacs bereit sein, das Mandat anzunehmen. «Ja, klar, ich werde gehen oder meine Freundin, oder sonst geht der Hund», meint er, zündet sich die x-te Zigarette an und präzisiert: «Was die MKKP tun will, kann sie sowohl im Parlament als auch ausserhalb tun. Aber im Fall einer Wahl würden die Witze sicher noch besser.»

Schwierige Allianzen : Alle gegen Viktor Orban?

Fidesz oder Jobbik? Illiberaler Rechtspopulismus mit fremdenfeindlicher Rhetorik samt antisemitischen Akzenten – oder lieber die regelrechten FaschistInnen von früher, die sich mittlerweile gemässigt geben? Dies ist die Wahl, vor der die UngarInnen stehen, wenn sie am 8. April ein neues Parlament wählen. Die Chancen sind äusserst ungleich verteilt, ein erneuter Sieg des Fidesz gilt als wahrscheinlich. Kein Wunder: Regierungschef Viktor Orban und seine FreundInnen liessen in den letzten Jahren das Wahlrecht zu ihren Gunsten umschreiben, kontrollieren mittlerweile fast das ganze Spektrum der Medien und entscheiden vor allem darüber, wer die EU-Gelder bekommt und wer eben nicht.

Die jüngsten Hetzkampagnen von Orbans Regierung gegen Geflüchtete oder gegen den Investor George Soros sind nicht bloss taktische Vorwahlmanöver, sie sind Teil der rechtsnationalen Ideologie, die im heutigen Ungarn inzwischen die Politik dominiert. Das Problem ist: Wollen die progressiven Kräfte die Fidesz in die Opposition verbannen, werden sie mit der Jobbik eine Allianz eingehen müssen.

Die Unterschiede lagen früher darin, dass die Jobbik von Gabor Vona keinen Hehl aus ihrem Antisemitismus und ihrer Romafeindlichkeit machte, eine paramilitärische Organisation unterhielt und sich für einen EU-Austritt aussprach, während Orban ungefähr bis 2014 den Anschein einer rechtskonservativen europäischen Partei zu bewahren wusste. Mit einer Grundsatzrede zur illiberalen Demokratie vollzog Orban eine Pirouette, mit der er endgültig im rechtspopulistischen Gebiet gelandet ist. Die Jobbik-Führung fühlte sich dadurch immer mehr bedrängt. Seitdem versucht Vona seinerseits, der Jobbik eine neue, vorzeigbarere Fassade zu verpassen, indem er die antisemitischen und fremdenfeindlichen Akzente zu verbannen sucht.

Währenddessen mehren sich die linksliberalen Stimmen, die zu einer taktischen Wahlallianz mit der Jobbik rufen. Die berühmte Philosophin und Holocaustüberlebende Agnes Heller sprach sich vor kurzem für einen solchen Versuch aus, der ihrer Meinung nach der einzige realistische Weg wäre, dem Orban-Regime ein Ende zu setzen. In der Tat ist es den linken und liberalen Kräften schlicht nicht zuzutrauen, als gemeinsames Bündnis mit einem modernen und europafreundlichen Alternativprogramm alleine eine Mehrheit für eine Regierung zu erreichen. Und die reale Gefahr von vier weiteren Jahren unter Orban ist tatsächlich sehr gross – mittlerweile nicht nur für Ungarn, sondern für ganz Europa, denn es finden sich, wie das österreichische Beispiel zeigt, immer wieder eifrige Nachahmer.

Silviu Mihai