Facebook: Ins Gesicht geschrieben

Nr. 14 –

Ein Blick zurück auf Slogans und andere Selbstdeklarationen, die Facebook und sein Gründer Mark Zuckerberg in die Welt posaunt haben, zeigt: Wir waren gewarnt.

Manchmal liegt eine bittere Wahrheit unter mehreren Schichten Sediment und Ablenkungsmanövern verborgen. Man muss sie unter Aufbietung vieler Kräfte ausgraben, um sie schliesslich der Öffentlichkeit zu präsentieren wie einen kostbaren Schatz der Aufklärung. Es kann aber auch vorkommen, dass eine Erkenntnis jahrelang an der Oberfläche schlummert – auffällig unauffällig.

Wie sich hässliche Wahrheiten mitunter direkt vor unser aller Augen verstecken können, zeigt der Fall Facebook. Was man dem milliardenschweren Netzgiganten nämlich definitiv nicht vorwerfen kann: dass er uns verheimlicht hätte, wie sorglos, ja fahrlässig bei Facebook mit heiklen Daten hantiert wurde. Doch anscheinend wollte diese unverblümten Warnungen lange kaum jemand wahrhaben.

Idee als Horrorvision

Unterdessen ist einiges in Bewegung geraten. Ob Manipulationen mithilfe abgesaugter Facebook-Daten verantwortlich waren für die Wahl von Donald Trump oder den Brexit, wie verschiedentlich kolportiert wurde, wollen wir hier nicht weiter debattieren. Doch dass Informationen im grossen Stil – und bis 2014 auch völlig legal – abgezweigt wurden, bestreitet heute keineR mehr: App-Anbieter erhielten via reguläres Facebook-Login der App-BenutzerInnen Zugriff auf die privaten Daten von Millionen weiterer NutzerInnen. So gelangten die Informationen zu Firmen wie Cambridge Analytica, die individuell designte Politwerbung aufgrund von Persönlichkeitsprofilen anbieten. Es gibt auch mindestens eine App, die einzig zum Zweck einer solchen «Datenernte» zum Download angeboten wurde.

In der letzten Woche schaltete Facebook zuerst in grossen englischsprachigen, dann auch in deutschen Zeitungen ganzseitige Inserate mit Entschuldigungen und der Unterschrift von Mark Zuckerberg, dem bald 35-jährigen Gründer und Vorstandsvorsitzenden von Facebook. Darin wurden Fehler eingestanden («Vertrauensbruch»!), und es wurde Schadenbegrenzung geübt: «Ich verspreche, dass wir unsere Arbeit in Zukunft besser machen.»

Vor zwei Jahren trat Zuckerberg allerdings an einer EntwicklerInnenkonferenz in San Francisco noch mit diesem Slogan an: «Give everyone the power to share anything with anyone» (Gib jeder und jedem die Macht, alles mit allen zu teilen). Eine deutlichere Aufforderung zur freiwilligen Preisgabe jeglicher Privatsphäre und Datenkontrolle ist kaum vorstellbar.

Sinnigerweise hatte Dave Eggers bereits 2013 in seinem Roman «Der Circle» die konkrete Umsetzung solcher Ideen als Horrorvision überzeichnet: Die Hauptfigur von «Der Circle» arbeitet in einer Firma, die wie ein Hybrid aus Facebook, Apple und Google konstruiert ist. Um ultimativ transparent zu sein, trägt sie 24 Stunden am Tag eine Kamera um den Hals, deren Feed in Echtzeit ins Netz übertragen wird. Die warnende Fiktion und die Realität des unternehmerischen Wunschdenkens à la Facebook sind innerhalb von bloss drei Jahren ununterscheidbar miteinander verschmolzen.

Nichts ist umsonst

Mit 71 Milliarden US-Dollar Vermögen ist Zuckerberg gemäss «Forbes» aktuell der fünftreichste Mensch der Welt. Die innerhalb von bloss vierzehn Jahren von null auf ungefähr zwei Milliarden Mitglieder angeschwollene Facebook-Gemeinde hat ihn dazu gemacht. Und wer jetzt einwendet, dass ein Facebook-Konto ja kostenlos sei, hat nicht begriffen, dass wir bei Gratisangeboten im Netz nicht bloss mit lästiger Werbung «bezahlen», sondern ganz konkret mit unseren kostbaren Daten. Im Kapitalismus ist nichts umsonst. Sogar die NZZ liess sich aus gegebenem Anlass zu einer sarkastischen kleinen Satire hinreissen – per Gastbeitrag des Wirtschaftsethikers der Universität St. Gallen: «Facebook steht bei einer genaueren Betrachtung unschuldig am Pranger, wird zum Opfer kapitalismusfeindlicher Berichterstattung in den Medien, die immer noch meint, ökonomisches Handeln müsse in einem rechtlichen und moralischen Rahmen stattfinden.»

Anfang 2017 hatte Zuckerberg in einem ausufernden Manifest noch selbst versucht, dem nackten monetären Aspekt des Datensammelns einen stabilen moralischen Rahmen zu verleihen: mit hehren Ideen der Völkerverständigung und kollektiver Aktion. Das Resultat klang dann wie ein Babybrei aus Besserungsversprechen, Zwangsoptimismus und Technomachtrausch: «Ich hoffe, (…) wir können die neue soziale Infrastruktur bauen, um die Welt zu schaffen, die wir für die zukünftigen Generationen wollen.» Nicht nur bei diesem Satz fragt man sich, wer mit diesem im Manifest omnipräsenten «wir» genau gemeint war.

«Die dummen Arschlöcher»

Wie unangenehm schon ganz banale Datenlecks oder «freiwillige» Transparenz sein können, sollte Zuckerberg eigentlich selber am besten wissen: Die in David Finchers Kinofilm «The Social Network» von 2010 geschilderte Urszene von Facebook zeigt uns Zuckerberg, wie er als angetrunkener Student einen Prototyp von Facebook programmiert – und dies auf seinem öffentlichen Blog gleich live kommentiert. Dieses Ur-Facebook animierte BesucherInnen dazu, die Attraktivität zweier Profilfotos brutal miteinander zu vergleichen, im Liveblog schlug Zuckerberg seinerseits vor, die Porträts seiner KommilitonInnen mit Tieren zu vergleichen. Weggelassen wurde im Film, der die Geburt von Facebook aus einem (umstrittenen) Ideenklau und dem Sexismus von Nerds herleitet, dass Zuckerberg sich noch 2006 in seinem Facebook-Profil «Staatsfeind» und «Herr und Gebieter» genannt hatte. Ebenfalls unerwähnt bleibt die heute berühmte geleakte Privatnachricht, in der Zuckerberg sich 2004 – im offiziellen Gründungsjahr von Facebook – darüber lustig machte, dass ihm die Leute (oder in seinen Worten: «die dummen Arschlöcher») einfach so ihre Daten anvertrauten.

Eine entscheidende und diesmal ganz offizielle Kehrtwende lässt sich 2010 ausmachen, als Zuckerberg in einem öffentlichen Talk die Privatsphäre als höchst wandelbare «soziale Norm» beschrieb, die sich mit der Zeit «weiterentwickle»: Heute sei es den Menschen doch völlig wohl dabei, möglichst viel möglichst öffentlich zu teilen. Was er dabei unterschlug: dass Facebook «soziale Normen» mittlerweile sehr aktiv mitgestaltete und nicht einfach auf sie reagierte. Auch hatte er noch im Jahr zuvor in einem Interview eindringlich festgehalten, dass allein die UserInnen und nicht Facebook die BesitzerInnen aller auf seiner Plattform geteilten Daten seien. Diese dürften nicht weitergegeben oder verkauft werden.

Und heute? Wird sich der lauter werdende Ruf nach mehr Datenschutz und Privatsphäre durchsetzen? Schwer zu sagen. Die Facebook-Aktien steigen nach dem Kurssturz von vorletzter Woche bereits wieder. Die Strafe des Marktes war mild. Hearings vor politischen Gremien der USA, der EU und Britanniens stehen noch an. Vielleicht sollte sich die Politik einen weiteren, sehr offenherzigen alten Facebook-Slogan zum Motto nehmen: «Move fast and break things» – mach schnell, und fürchte dich nicht vor Scherbenhaufen.

Praktischer Rat

Wer wissen will, was Facebook (im Minimum) gespeichert hat über sie oder ihn, kann das rasch herausfinden: Am PC das Facebook-Konto öffnen, und unter «Einstellungen» den Link «Lade eine Kopie deiner Facebook-Daten herunter» anklicken. Man bekommt dann einen Link gemailt, über den man die gesammelten Daten herunterladen kann.

Mozilla Firefox wiederum bietet mit «Facebook Container» neu eine Browsererweiterung an, die es erlaubt, die Facebook-Identität und alle restlichen Aktivitäten im Netz voneinander abzukoppeln, was das Datenhamstern einschränkt.

Das Facebook-Konto ganz zu löschen, ist schwierig. Man kann einen Account zwar stilllegen, doch die Daten bleiben auf den Servern von Facebook gespeichert. Deaktivierte Konten können auch jederzeit wieder online geschaltet werden.