Literatur: Die prophezeite Hölle auf Erden

Nr. 15 –

«Ich will ein Geschwür in die Welt setzen, etwas, das die Welt ins Unglück stürzt. Und du wirst unter meiner Obhut zu so einem Geschwür heranwachsen!» Mit dieser düsteren Perspektive konfrontiert der Vater, Boss einer der mächtigsten japanischen Familien, eines Tages seinen elfjährigen Sohn Fumihiro. Damit scheint dessen Weg vorgezeichnet. Der Sohn muss die Tradition des Kuki-Clans fortführen.

Die Charakterisierung dieses Clans als mafiös verstricktes Firmenimperium mit enger Verflechtung bis in die höchsten politischen Kreise erinnert sehr an real existierende Industriekonglomerate. Fumihiro aber will nicht schicksalsergeben Böses über die Welt bringen. Schliesslich entledigt er sich seines Vaters und erfüllt durch diesen bloss vermeintlichen Ausweg erst recht die Prophezeiung. Aber ist er wirklich ein Monster?

Geschickt überlässt der vierzigjährige, in Tokio lebende Autor Fuminori Nakamura diese Beurteilung seinen LeserInnen. Gibt es nicht eine Grauzone zwischen Gut und Böse, in der die Grenzen zwischen Täter und Opfer immer mehr verschwimmen? Diese Fragen, klassische Ingredienzien des Roman noir, sind das Grundgerüst von Fuminori Nakamuras schwarzem, menschlich abgründigem Roman «Die Maske» – nach «Der Dieb» erst das zweite seiner insgesamt über ein Dutzend Bücher, das ins Deutsche übersetzt wurde.

Um sicherzugehen, dass der Sohn der ihm zugewiesenen Rolle nicht entkommt, werde er ihm in einigen Jahren die Hölle auf Erden zeigen, hatte der Vater mit grossen Worten angekündigt. Zu diesem Zweck wurde das Waisenmädchen Kaori in die Familie aufgenommen. Der diabolische Plan des Vaters, dass sich die beiden pubertierenden Kinder bald heftig ineinander verlieben würden, geht auf, ebenso wie die vorausgeahnte Reaktion des Sohnes Realität wird: Tatsächlich ist Fumihiro, als er die Hölle auf Erden sehen muss, die ihm sein Vater prophezeit hat, von der Idee besessen, Kaori zu beschützen, sie zu retten und dafür nichts unversucht zu lassen.

Fuminori Nakamura: Die Maske. Übersetzt von Thomas Eggenberg. Diogenes Verlag. Zürich 2018. 352 Seiten. 32 Franken