Cambridge Analytica: Manipulationsfantasien made in Silicon Valley

Nr. 16 –

Der Skandal um Facebook und Cambridge Analytica legt eine Zukunft nahe, in der dank Big Data Demokratien nach Belieben gelenkt werden können. Diese Horrorvision überschätzt das technisch Mögliche – und will von der Mündigkeit des Einzelnen gar nichts mehr wissen.

Schlechte Presse mag besser sein als gar keine Presse, vermutlich aber wäre es Mark Zuckerberg trotzdem lieber, würde das von ihm gegründete soziale Netzwerk Facebook nicht seit Wochen die Schlagzeilen beherrschen. Grund für das Aufsehen um den Konzern ist ein Datenleck, durch das Informationen über Millionen Facebook-NutzerInnen in die Hände der dubiosen Politikberatungsfirma Cambridge Analytica geraten waren. Das britische Unternehmen nutzte die erbeuteten Daten dazu, Wahlkampfwerbung auf Facebook zu schalten, individuell zugeschnitten auf die jeweilige Nutzerin. Besonders brisant ist die Angelegenheit deswegen, weil es RechtspopulistInnen waren, die die Dienste von Cambridge Analytica in Anspruch nahmen: Sowohl das Wahlkampfteam des heutigen US-Präsidenten Donald Trump als auch die OrganisatorInnen der Brexit-Kampagne waren Kunden der skrupellosen PolitikberaterInnen.

Zur Not tuns auch Prostituierte

Die Affäre umgibt daher eine Aura des Diabolischen – und sie bietet Stoff für Dystopien, zeichnet sich doch das Bild einer Zukunft ab, in der dank digitaler Technologien selbst die zweifelhaftesten Charaktere jede Wahl für sich entscheiden können. Es ist nicht der erste Datenskandal um Facebook, aber das erste Mal scheinen konkrete Belege vorzuliegen, was für ein verheerendes politisches Potenzial in Big Data liegt, also den gewaltigen Datenmengen, die von Internetplattformen angehäuft werden. TechnikskeptikerInnen, die lange schon vor der Gefahr «gläserner Bürger» warnen, können sich daher genauso bestätigt fühlen wie diejenigen, die gerne die grenzenlose Manipulierbarkeit der Menschen beschwören. Oder etwa nicht?

Vielleicht täte ja etwas mehr Nüchternheit in der Sache gut. Es ist nämlich nach wie vor unklar, ob Cambridge Analytica tatsächlich imstande ist, Menschen so effektiv zu manipulieren wie gerne kolportiert. Der Umstand, dass zu den Kunden der Firma nicht nur Trump, sondern zuvor auch Ted Cruz gehörte, der bei den Vorwahlen der RepublikanerInnen chancenlos war, lässt daran eher zweifeln – genauso wie die mit versteckter Kamera gefilmten Aufnahmen eines britischen Fernsehsenders, die nahelegen, dass Cambridge Analytica in Sachen Manipulation bei Bedarf auch auf eher konventionelle Mittel zurückzugreifen bereit war. So bot der frühere Firmenchef gemäss eigenen Aussagen einem asiatischen Kunden an, dass man dessen Konkurrenten mit Prostituierten zusammenbringen, dieses Tête-à-Tête aufzeichnen und anschliessend skandalisieren könnte; wären die Algorithmen des Unternehmens tatsächlich so effektiv wie behauptet, dürften dergleichen grobschlächtige Methoden vermutlich überflüssig sein.

Womöglich sollte daher weniger die angebliche politische Superwaffe Sorgen bereiten, die ein dubioses IT-Unternehmen entwickelt zu haben beansprucht, als vielmehr die Bereitschaft vieler Leute, an die Möglichkeit derart umfassender Menschenmanipulation zu glauben. Kern dieses Glaubens bildet nämlich eine antihumanistische und antidemokratische Weltsicht, die Individuen auf Datensätze reduziert: In dieser Vision vom Menschen braucht man, die nötigen Informationen und das technische Know-how vorausgesetzt, nur noch die richtigen Knöpfe zu drücken, um den Einzelnen in die gewünschte Richtung zu manövrieren.

Genau besehen geht Cambridge Analytica nämlich mit der Behauptung hausieren, eine technische Lösung für das «Problem» der Demokratie entwickelt zu haben – zumindest so, wie sich dieses Problem aus Sicht potenzieller AutokratInnen darstellen dürfte: Für diese ist nämlich die Bevölkerung per se eine gefährliche Unbekannte, da sie sich der Gunst der BürgerInnen nie restlos sicher sein und daher auch nie wissen können, ob sie bei Wahlen Zustimmung erwarten dürfen. Diese Unsicherheit soll nun dank effizienter Datenauswertung, cleverer Algorithmen und gezielter Propagandabotschaften der Vergangenheit angehören.

Eine App für alles

Diese Art, an gesellschaftliche und politische Fragen heranzugehen, verweist auf eine Logik, die der Publizist Evgeny Morozov als «Solutionismus» (von engl. solution = Lösung) bezeichnet: Nämlich ein von modernen Innovationen berauschtes Denken, das glaubt, für jedes Problem werde es früher oder später eine technische Lösung geben. Morozov erläutert diese Ideologie anhand eines extremen, aber anschaulichen Beispiels: So skizzierte vor ein paar Jahren eine Techvisionärin begeistert die Möglichkeiten, die smarte Kontaktlinsen (eine Weiterentwicklung der Google-Brille, deren Gläser zugleich als Display fungieren) bald schon bieten könnten. So bestünde etwa die Möglichkeit, die Linsen so zu programmieren, dass sie unerwünschte optische Eindrücke wegzensieren: SpaziergängerInnen, die durch eine Grossstadt flanieren, müssten dann nicht länger den Anblick elender BettlerInnen ertragen. Daher ist nur noch etwas Geduld nötig, bis sich dank des Fortschritts das Problem der Obdachlosigkeit erledigt haben wird – zumindest für Leute, die sich das entsprechende Equipment leisten können.

Eine solche Herangehensweise an soziale Fragen ist natürlich irrwitzig – schon die Art, wie das zu lösende Problem formuliert wird, ist falsch. Dasselbe gilt für die Methode, mit der Firmen vom Schlag Cambridge Analytica demokratische Prozesse zu steuern versuchen: Es handelt sich hierbei um das Denken von SozialingenieurInnen, die den Menschen nur noch als Gegenstand unter vielen betrachten, den es geschickt zu manipulieren gilt, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Unter einer solchen Voraussetzung kann es so etwas wie Demokratie prinzipiell nicht geben, setzt diese doch Subjekte voraus, die selbstbestimmt entscheiden können.

Mündigkeit hilft auch bei Fake News

Es ist daher kein Zufall, dass es stets Antidemokraten waren, die am lautesten die grenzenlose Verführbarkeit des Menschen beschworen haben – angefangen beim griechischen Denker Platon, für den die Demokratie lediglich ein Vehikel für Demagogen war, sich die Macht durch geschickte Beeinflussung des Pöbels zu sichern. Platon plädierte deswegen für die Herrschaft der Philosophen, die gewissermassen die Technokraten des Altertums darstellten – nach der Maxime: Wenn die vielen schon so verführbar sind, dann sollen es wenigstens die Richtigen sein, die das Steuer in den Händen halten. Auch später, mit Anbruch der Moderne, waren es die Feinde der Demokratie, die die «Psychologie der Masse», die Techniken zur Menschenmanipulation im grossen Stil liefern sollte, am meisten faszinierte.

Diesem Denken ist eine andere Vision vom Menschen entgegenzuhalten – eine, die diesen als zumindest in der Regel mündiges Subjekt begreift. In der Metapher von der Mündigkeit klingt die Idee an, dass der Mensch nicht einfach stumm den auf ihn einprasselnden Eindrücken ausgeliefert ist, sondern diese einzuordnen und sich zu ihnen zu verhalten weiss; und dies auch dann, wenn es sich dabei um Fake News handelt, die ihm mittels ausgefeilter Algorithmen zugespielt werden.

Dies mag idealistisch klingen, und natürlich kommt niemand als selbstbestimmtes und mündiges Wesen zur Welt. Ohne die Überzeugung jedoch, dass jede und jeder Mündigkeit erlangen kann, ist eine demokratische Gesellschaft nicht zu haben. Genau deswegen wäre eine Bildungspolitik so wichtig, die sich eher die Hervorbringung widerständiger denn marktkonformer Individuen zum Ziel setzte. Die Manipulationsfantasien made in Silicon Valley mögen schön schaurig klingen; viel mehr Aufmerksamkeit verdient aber die Frage, wie Bildung so zu organisieren ist, dass sie zum Widerspruch gegen Hetze und Lügen befähigt – gleich ob sie nun in digitaler oder analoger Gestalt daherkommen.

Wie Facebook zähmen? : Die Grenzen der Rechenkraft

Wirkte er jetzt aalglatt, roboterhaft oder wie ein beflissener Schuljunge? Die Einschätzungen über den Auftritt von Facebook-Chef Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress schwanken. Einhellig allerdings ist die Meinung, dass die meisten US-ParlamentarierInnen von den neuen Technologien überfordert waren. Einhellig auch das Urteil: Zuckerberg äusserte ein paar Versprechen, aber nichts Handfestes.

Immerhin nahm er auf die neuen EU-Regeln zum Datenschutz Bezug, die er bei der Anhörung in Washington ausdrücklich begrüsste: «Ich denke, es ist die richtige Regelung.» Am Montag schaltete nun der Facebook-Konzern ganzseitige Anzeigen in grossen Tageszeitungen, auch in Deutschland. Die neue EU-Gesetzgebung bedeute «mehr Sicherheit für dich», schrieb Facebook an seine KundInnen gewandt. «Wie gesetzlich vorgesehen, werden wir dich bitten, zu überprüfen, wie wir deine Daten nutzen dürfen.» Zudem könnten NutzerInnen «jederzeit» auf ihre Daten zugreifen, sie herunterladen oder löschen.

Die vor zwei Jahren beschlossene Datenschutz-Grundverordnung der EU tritt am 25. Mai in Kraft. Auch die Schweiz will ähnliche Richtlinien ausarbeiten. Tatsächlich können die meisten eigenen Facebook-Aktivitäten schon jetzt heruntergeladen werden, bei häufigen Facebook-BenützerInnen allerdings in riesigen komprimierten Dateien.

Bei einem Selbstversuch einer WOZ-Mitarbeiterin konnte die entsprechende, sehr kleine Textzeile mit einigem Aufwand aufgespürt werden, und der Download war nach dreizehn Minuten bereit. Neben allen Kontakten, Likes und so weiter, auch entfreundeten FreundInnen, fand sich auch eine lange Liste mit politischen Veranstaltungen, an denen sie teilgenommen hatte. Bedenklicher noch war eine Kontaktliste von Werbetreibenden, die alle persönlichen Daten der Userin abgesaugt hatten. Allerdings ist die Behauptung, «alle Daten» seien herunterzuladen, irreführend. «Ein Grossteil der Facebook-Persona – etwa Zielgruppenanalysen und alle Tracking-Aktivitäten, die ausserhalb des Netzwerks vor sich gehen – lagert im sogenannten Hive, der hauseigenen Langzeit-Datenbank», schreibt Michael Moorstedt von der «Süddeutschen». «Von dort aus, heisst es aus Unternehmenskreisen, sei es ‹technisch unmöglich›, die Daten allen Nutzern zu übermitteln, das übersteige die Rechenkraft von Facebook.»

Es gäbe also noch was zu tun für den Schuljungen und Verkäufer.

Stefan Howald