Assaf Gavron: Verrat im Kreis der Liebenden

Nr. 18 –

Mit «Achtzehn Hiebe» hat der israelische Autor Assaf Gavron ein rasant erzähltes städtisches Roadmovie geschrieben. Ein Taxifahrer wird zum Privatdetektiv, und eine alte Liebe blüht wieder auf.

Wer glaubt, dass die grosse Weltgeschichte auf dem Mist der Politiker und der Expertinnen wächst, hat sich gründlich getäuscht. Das jedenfalls will uns die achtzigjährige Lotta Perl weismachen. Sie rächte sich 1946 in Haifa an einem untreuen Liebhaber und zwang damit die britische Regierung in die Knie, die ihre Truppen kurz darauf aus Palästina abzog und das britische Mandat beendete. Sexuelle Eifersucht schaffte, was weder die jüdischen noch die arabischen Untergrundbewegungen in jahrelanger Polit- und Terrorarbeit hinbekommen hatten.

Doch bis Eitan Einoch, Taxifahrer im heutigen Tel Aviv, diese überraschenden Zusammenhänge begreift und versteht, muss er turbulente Abenteuer bestehen, emotionale Täler durchlaufen und einiges an amateurhafter Detektivarbeit leisten.

Zwei Schnüffler am Grübeln

Einoch und Perl sind die ProtagonistInnen von «Achtzehn Hiebe», dem neuen Roman des israelischen Autors Assaf Gavron. Einoch, genannt das Krokodil und bereits in Gavrons Roman «Ein schönes Attentat» von 2008 in Erscheinung getreten, ist eine Berühmtheit, denn er hat drei Terroranschläge überlebt, daraufhin aber den Anschluss ans bürgerliche Leben verloren. Einst erfolgreich in der IT-Branche, fristet er nun sein Dasein als Taxifahrer, unterhält seine Gäste mit Geschichten über die Strassennamen in Tel Aviv und fiebert den Tagen mit seiner Tochter entgegen. Denn nicht nur beruflich ist er ins Schleudern geraten, die Ehe mit der engagierten Anwältin Dutschy ist ebenfalls zerbrochen. So hält er sich mit abendlichen Boxrunden in den Kellern des düsteren Einkaufszentrums Dizengoff und seiner Liebe zur Tochter Nogga über Wasser, bis eines Tages die betagte Lotta Perl in sein Taxi steigt und zum Friedhof Trumpeldor gefahren werden will. Es geht zum Begräbnis ihres Geliebten, eines Iren namens Eddie O’Leary, der zur britischen Mandatszeit in Palästina gedient hatte.

Die Freundschaft, die zwischen dem Taxifahrer und der alten Frau entsteht, wird alsbald um einen Auftrag erweitert. Einoch soll herausfinden, wer den Geliebten von Lotta Perl ermordet hat, denn an sein natürliches Ableben mag sie nicht glauben. Und so nimmt Einoch zusammen mit seinem Freund Bart die Fährte auf und versucht, in bester Privatdetektivmanier den Fall zu lösen.

Die Frage, ob die grosse Geschichte oder das kleine persönliche Glück für die Menschen wichtiger sei, bringt die zwei Schnüffler immer wieder ins Grübeln. Denn was Lotta Perl aus ihren Jugendjahren während der britischen Mandatszeit berichtet, sorgt für manche Überraschung. Erzählt wird von einem Sommer voller Gewalt und Liebe. Es geht um zwei junge Soldaten in der britischen Armee, Eddie O’Leary und James Wilshere, die 1946 in Haifa in der Nelson-Bar der abenteuerlustigen Ruti Spielberg und der klugen Lotta Perl begegneten und sich unsterblich verliebten. Man verbrachte wunderbare Tage. Es wurde getrunken, gegessen und gevögelt. Verboten war diese Liebe, denn weder die britischen Behörden noch die jüdischen Untergrundbewegungen hätten eine solche Verbindung geduldet.

Doch der Verrat spielte sich letztlich im Kreis der Liebenden ab. Eines Nachts überraschte Lotta Perl ihre beste Freundin Ruti und ihren eigenen Geliebten Eddie beim Sex. Lottas Liebe starb nicht, doch übte sie Rache. Sie überliess die zwei jungen Soldaten den Mitgliedern der jüdischen Untergrundbewegung Etzel und deren Peitschen. Achtzehn Hiebe auf die nackten Hintern von Eddie und James linderten nicht nur die Wut der verletzten Lotta, sondern beendeten zugleich das britische Mandat. Erschiessungen und andere Exekutionen mochte man dem Feind zugestehen. Aber auspeitschen? Auf den nackten Hintern? Das war für Britannien der Demütigung zu viel, und es zog seine Truppen kurz darauf ab. Womit auch die Liebe der zwei jungen Paare endete, denn die Soldaten kehrten nach Europa zurück.

Für Lotta Perl war es lediglich eine persönliche Abrechnung, die zufällig mit politischen Mitteln umgesetzt wurde. Sie trachtete nicht nach historischen Umwälzungen, die Weltgeschichte interessierte sie nicht. Und die Liebe, die sich weder um Verrat noch um Distanzen kümmerte, überlebte. Denn der Körper war zwar des begehrten Objekts beraubt, aber die Seele, und nur die Seele, vermochte durch die Erinnerung, den Geliebten gegenwärtig werden zu lassen. Lotta Perl fand auch in der Abwesenheit ihres Eddie eine Art Glück.

Ganz im Gegensatz zum Grossstädter Einoch, der auf der Suche nach der flüchtigen Wärme auf verheiratete oder bindungsunwillige Frauen trifft und der hin und wieder mit einer schnellen Nummer mit seiner Exfrau Dutschy vorliebnehmen muss, was ihm eigentlich gefällt. Aber so wenig er sich eine neue Liebe zutraut, so wenig wagt er die Rückkehr.

Grosse Liebe, flüchtiges Begehren

«Achtzehn Hiebe» erzählt eine rasante Geschichte, die munter die Genres mischt und sich nicht um Stil und Kohärenz kümmert. Der 49-jährige Assaf Gavron ist einer der wichtigsten kritischen Intellektuellen und erfolgreichsten Schriftsteller Israels. Stellenweise typische Privatdetektivgeschichte, dann wieder historischer Roman oder jüdische Familien- und Diasporaerzählung, ist sein Buch vor allem ein städtisches Roadmovie, die Geschichte eines einsamen Menschen, der abgeklärt seine Runden dreht und seine ganze Liebe auf die kleine Tochter konzentriert. Auch die Suche nach dem Mörder von Eddie O’Leary dient lediglich dazu, dem Alltag etwas Pep zu geben oder sich eine neue Geldquelle zu erschliessen. Und jenseits der Zuneigung für die achtzigjährige Lotta Perl zeigt sich ein schmerzhafter Mangel an verlässlicher Freundschaft.

Eine Geschichte von grosser Liebe und flüchtigem Begehren. Vom Mut zum Schmerz und von der Angst vor der Enttäuschung. Von den grossen Gefühlen in den politisch aufgeladenen Zeiten der Staatsgründung Israels. Von den momentanen Vergnügungen in der entpolitisierten Zeit der urbanen, individuellen Lebensweise. Und hat man damals auf allen Seiten Bomben gezündet, weil es um bedeutsame Fragen ging, kann man heute nur noch schauen, dass man dem Terror irgendwie entkommt. Gleichgültig, von wem er auch immer ausgeführt wird – der grosse Wurf, die Utopie ist gescheitert. Und so muss Lotta Perl ihren Eddie kurz nach dem Wiedersehen auf dem Friedhof Trumpeldor begraben. Das Aufflammen der alten Liebe, nachdem Eddie nach 66 Jahren wieder nach Israel zurückgekehrt ist, dauert gerade einmal eine Woche.

Ein kurzes, aber begnadetes Glück erleben die beiden alten Leute. Was für ein fulminantes Finale. Dem Nahen Osten ist dieses Glück leider nicht vergönnt.

Veranstaltungen mit dem Autor in Solothurn am Sa, 12. Mai 2018, um 14 Uhr und am So, 13. Mai 2018, um 11.30 Uhr und um 14 Uhr.

Assaf Gavron: Achtzehn Hiebe. Roman. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Luchterhand Verlag. München 2018. 416 Seiten. 32 Franken