Im Affekt: Ungezähmte Collage im Untergeschoss

Nr. 18 –

Da sitzen wir zusammengepfercht im Untergeschoss der Volkshausbuchhandlung. Es ist heiss, und die Digitalbühne Zürich setzt an zum Sprung in die Vergangenheit, die uns die Gegenwart um die Ohren schleudern wird. Genau hier lasen Bert Brecht, Helene Weigel, Therese Giehse und Max Frisch am 23. April 1948 Gedichte, umgeben von ebenso vielen Büchern wie heute: keine Ritze mehr frei, sodass die Gegensprechanlage eingeschaltet wird, die heute, siebzig Jahre später, Philippe Graber heisst. Er schreit im oberen Stock alles mit – Reenactment à la Digitalbühne.

«Wir leben in finsteren Zeiten», spricht Brecht, Wanda Wylowa liest «Emigranten» und davon, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Mit klugen Kontextualisierungen des Brecht-Experten Werner Wüthrich und der Slawistin Sylvia Sasse, Einlagen von Gina V. D’Orio an einer skurrilen Flöte und der Rhythmussektion Ted Gaiers ist die ungezähmte Collage perfekt. Die Gegensprechanlage liest Tagebucheinträge der fast vergessenen Buchhändlerin Marthe Kauer. Der qualmende Max Frisch (Meret Hottinger) sitzt breitbeinig herum und mault zur Einführung, dass solche Abende leider nicht von selbst beginnen. Als die Weigel, gespielt von Hagar Admoni-Schipper, den Text «Die Schauspieler» rezitiert, wird die Luft dick. Hat Brecht wirklich solch schwülstige Banalitäten verewigt? «Das Weib» als maskenhaft von Natur aus bezeichnet und ein misogynes Klischee an das nächste gereiht?

Nein. Es wäre nicht die Digitalbühne, würde sie uns nicht kurz in einen Hinterhalt locken. Der besagte Text stammt vom Schweizer Nationalhelden Max Frisch, und der hat den Clou seiner Polemik wohl selbst nicht verstanden: Wo sich hinter all den weibischen Masken die wahre Männlichkeit verbergen soll, da findet sich eben leider gar nichts. Brecht wagte es, über eine noch so flüchtige Gegenwart zu urteilen. Und wir? Das epische Theater Brechts will Reflexion, widerstrebt der Immersion, an diesem Abend konnten wir uns beidem nicht entziehen.

Vielleicht wäre Max Frisch besser Architekt geblieben: Am 10. Mai geht seine Letzibadi in die Sommersaison.