LSD-Forschung: Als die Wissenschaftler ins Schwärmen kamen

Nr. 18 –

LSD befeuerte die Gegenkultur – und stellte gleichzeitig die Psychiatrie vor grosse Probleme: Wie konnte die subjektive Erfahrung bloss aus der Forschung eliminiert werden? Eine doppelte Geschichte über Wirkung und Nachwirkung.

Illustration: Franziska Meyer

Müsste man sich festlegen, wer den Startschuss für die Hippiebewegung gab, würde die Wahl wohl auf ihn fallen: den kalifornischen Schriftsteller Ken Kesey. Die ersten LSD-Trips erlebte der sportliche Literaturstudent 1959 als Proband in Experimenten der CIA. Seine Erfahrungen als Pflegehelfer in einer psychiatrischen Klinik verarbeitete er zu seinem ersten Roman «Einer flog über das Kuckucksnest», der 1962 zum Welterfolg und spätestens mit Milos Formans Verfilmung 1975 zum Herzen der Antipsychiatriebewegung wurde. 1964 bemalten Kesey und seine Gruppe der Merry Pranksters einen alten Schulbus in Leuchtfarben, um damit quer durch die USA zur Weltausstellung in New York zu fahren. Wiederholt wurde ihr auffälliges Gefährt von der Polizei angehalten. Zu grösseren Problemen führte dies nicht: «Hippies» waren der Öffentlichkeit von 1964 noch kein Begriff, und LSD war noch legal.

Nach ihrer Rückkehr nach San Francisco organisierten die Merry Pranksters sogenannte Acid-Tests: die ersten multimedialen Partys der Welt, an denen alle eingeladen waren, sich auf die Erfahrung mit LSD einzulassen. Diese Szene erwies sich als Keimzelle der Hippiebewegung. Sie eroberte die USA im Sturm, und ihr Lebensgefühl floss auch in die europäischen 68er-Bewegungen ein.

Das Gespenst des Subjektiven

Einen doppelten Boden erhält diese Geschichte durch die historische Aufarbeitung der LSD-Erforschung, wie sie etwa Magaly Tornay mit ihrem Buch «Zugriffe auf das Ich» (2016) geleistet hat. Acid-Tests dienten nämlich nicht alleine als Brandbeschleuniger der Gegenkultur. Versuche mit LSD trieben wenige Jahre zuvor auch gerade jene Entwicklungen der Psychiatrie voran, die mit «Einer flog über das Kuckucksnest» so eindrücklich kritisiert wurden. Ein und dieselbe Substanz hatte also eine wegweisende Rolle für völlig gegenläufige gesellschaftliche Entwicklungen. Entscheidend dafür war wohl eine wesentliche Eigenheit des LSD: dass die Wirkung sich nicht objektiv fassen lässt. Was nicht heisst, dass es nicht versucht worden wäre. Im Rückblick ist die naive Beharrlichkeit nicht ohne Komik, mit der Wissenschaftler – alles weisse Männer – die Stoffwirkung zu objektivieren versuchten. Die Versuche haben allerdings bis heute handfeste Auswirkungen auf die Psychiatrie und das Menschenbild.

Nachdem die LSD-Wirkung 1943 von Albert Hofmann im Selbstversuch entdeckt worden war, gab der Pharmakonzern Sandoz grosszügig Proben an Forscher in aller Welt ab. Diese stellten sich angesichts der unbekannten Potenz dieser neuartigen Substanz zunächst einmal die Frage: Was macht das LSD überhaupt mit dem Menschen? Angegangen wurde diese Frage bis Ende der vierziger Jahre mit dem «geschulten Auge» des Wissenschaftlers, der die Substanzwirkung am eigenen Leib erfuhr und sie zugleich aus einer Beobachterrolle wissenschaftlich beschreiben sollte. Doch hier begannen die Schwierigkeiten: Protokolle brachen ab oder wurden unleserlich, der Ton in den Publikationen wurde schwärmerisch und unwissenschaftlich.

Da die wissenschaftliche Sprache versagte, wandten sich die Forscher an Künstler und Literaten. Indem man Künstler mit und ohne Substanzeinfluss malen liess, sollte auf dem Papier ein Abbild der LSD-Wirkung gewonnen werden. Doch auch die Sprache des Künstlers blieb unzureichend: «Ich höre mit dem Malen auf, da es mir in Folge der Erregung nicht mehr möglich scheint, in solch kurzer Zeit und unter derart primitiven Bedingungen meinem Drang nach Ausdruck technisch zu genügen», zitiert Tornay aus einem Versuchsprotokoll der Universitätsklinik Basel von 1952.

Es wurden andere Wege gesucht, um Objektivität herzustellen. Mittels Anpassungen der Versuchsanordnung sollte die subjektive Komponente der Rauscherfahrung identifiziert und eliminiert werden. In der Zürcher Klinik Burghölzli etwa wurde 1949 in einer Versuchsreihe Assistenzärzten das LSD ohne ihr Wissen in den Morgentee gegeben, um Effekte der subjektiven Erwartungshaltung auszuschliessen. Die Versuche waren ein Vorläufer des sogenannten Doppelblindverfahrens, das später zum Standard in der Prüfung von Psychopharmaka werden sollte. In anderen Versuchsreihen wurden mit den Probanden Rorschach-Persönlichkeitstests durchgeführt, um den «Persönlichkeitsanteil» in den Experimenten zu erfassen. In den Resultaten blieb dann aber unklar, ob es denn nun die Substanz oder der Rorschachtest war, «der die wahre Persönlichkeit ans Licht brachte».

Wer die LSD-Wirkung objektiv fassen wollte, fand sich also unweigerlich in der Erforschung der eigenen Subjektivität wieder. Aus so manchem seriösen Wissenschaftler wurde ein LSD-Jünger. Der Forscher Myron Stolaroff etwa verkündete im Rückblick, er habe an einem Tag unter LSD «mehr über die Realität und wer wir als menschliche Wesen sind» erfahren, als er es vorher auch nur geahnt habe. Es ging Stolaroff nicht mehr darum, die Stoffwirkung wissenschaftlich zu objektivieren. Vielmehr ging sein Forschungsinteresse nun von dem aus, was die Substanz mit ihm gemacht hatte.

Damit geriet die LSD-Forschung in ähnliche Schwierigkeiten, wie sie gewöhnlich in Disziplinen wie der Psychiatrie oder der Ethnologie anzutreffen sind: Um dem Forschungsgegenstand gerecht zu werden, muss sich der Wissenschaftler mit seiner eigenen Subjektivität auseinandersetzen. Damit einher geht aber unweigerlich die «Versuchung, die Werte der eigenen Kultur der Normalität durchzudenken und neue Lebensformen in Erwägung zu ziehen», wie der Schweizer Ethnopsychoanalytiker Mario Erdheim schreibt. Dies bedeutet letztlich, die Sicherheiten der institutionell gestützten Rolle als Wissenschaftler aufs Spiel zu setzen.

Wie Erdheim gezeigt hat, nimmt die Wissenschaft in einer solchen Konstellation oftmals die Aufgabe auf sich, die herrschende gesellschaftliche Ordnung zu stützen. Sie hat dann eine Doppelrolle inne: Einerseits soll sie neue Erkenntnisse produzieren, andererseits aber auch die bestehende Werteordnung bewahren. Dieser Balanceakt gelingt nur dann, wenn die Wissenschaft aktiv blinde Flecken erzeugt für all jene Anteile der Forschung, die ihre Ordnung bedrohen. Dementsprechend musste es im «seriösen» Zweig der LSD-Forschung jetzt vordringlich darum gehen, das subjektive Erleben als Forschungsinstrument zu eliminieren. Dies gelang vor allem durch zwei Neuformulierungen der Forschungsfrage.

Die Rettung der Ordnung

Zum einen war dies die Fokussierung auf die Nützlichkeit: Wozu lässt sich das LSD einsetzen? Die Substanz war damit nicht mehr Gegenstand, sondern Instrument der Forschung. Therapeutische Anwendungsmöglichkeiten für psychiatrische Erkrankungen wurden geprüft, eine Zeit lang galt der LSD-Rausch auch als Simulation für psychotische Zustände. Bekanntermassen interessierte sich aber auch die CIA für Einsatzgebiete dieser potenten Substanz, ob als chemische Waffe in Kriegsgebieten, zum «Umprogrammieren» von Menschen oder als «Wahrheitsserum». Ken Kesey war bestürzt, als er später erfuhr, dass seine befreienden Erfahrungen mit LSD als Proband ausgerechnet im Dienst von solch zweifelhaften Interessen standen.

Noch folgenreicher war die zweite Neuausrichtung der Fragestellung. Zugespitzt formuliert: Was macht das LSD ohne den Menschen? Beispielhaft für diesen Strang sind die Tierexperimente mit LSD, die mit den Spinnentests von Peter Witt 1951 ihren Anfang nahmen. Witt liess Spinnen unter Einfluss von verschiedenen Substanzen ihre Netze spinnen und wertete diese statistisch aus. Während etwa die Koffeinnetze äusserst chaotisch anmuteten, arbeiteten die Spinnen unter LSD am regelmässigsten. Im Gegensatz zum Rauscherlebnis, das «wesentlich durch die Person und ihre augenblickliche Einstellung mitgeformt» wird, lieferte der Spinnentest «eine hochdifferenzierte, objektive Beschreibung des Zustandes ihres Zentralnervensystems», wie Witt schrieb. Die LSD-Wirkung konnte hier also direkt an den Netzen abgelesen werden – ohne Umweg über ein Subjekt.

Damit war ein Weg gefunden, für das Subjektive der Rauscherfahrung und letztlich auch für das Subjektive psychischen Leidens blind zu werden: indem die Wissenschaftler ihr Interesse auf die biochemische Stoffwirkung im Nervensystem verlegten. Dieser Weg sollte Schule machen, bot er doch der Psychiatrie auch die langersehnte Chance, institutionell als vollwertige medizinische Disziplin mit solidem naturwissenschaftlichem Fundament anerkannt zu werden.

Zunächst stand in diesem Forschungszweig die Suche nach krank machenden körpereigenen Stoffen im Zentrum. Allen Ernstes wurde dafür etwa Rückenmarkflüssigkeit von PatientInnen mit verschiedenen psychischen Leiden an Spinnen verabreicht, in der Hoffnung, dass sich die Wirkung der krank machenden Stoffe in den Netzen abbilden würde. In der Folge ergaben sich dann differenziertere Einsichten in das biochemische Funktionieren des Nervensystems, wie etwa die Entdeckung der Neurotransmitter. Auf diesen Einsichten baut die moderne biologische Psychiatrie, die psychische Zustände an Veränderungen in Neurotransmittersystemen und in der Aktivität von Hirnarealen festmacht. Und nicht zuletzt beeinflusste diese Ausrichtung des wissenschaftlichen Blicks auch das populäre Menschenbild hin zu dem, was manche AutorInnen als das Bild vom «neurochemischen Selbst» beschreiben.

Im Bus oder nicht im Bus

Die LSD-Versuche in der aufblühenden Gegenkultur standen unter ganz anderen Vorzeichen. Hier wurde die Stoffwirkung nicht als «Modellpsychose» oder biochemische Reaktion aufgefasst, sondern vor allem als Zustand erweiterter Wahrnehmung, die zu legitimen Erkenntnissen über die Welt und sich selbst führen konnte. Ken Kesey und die Merry Pranksters übersetzten die Erfahrung mit LSD nicht in Sprache und Objektivität, sondern ins Handeln: Immer ging es Kesey darum, dass man irgendetwas macht – jeder «sein Ding» und immer im Moment. Das Beisammensein der Pranksters glich einer mehrjährigen, pausenlosen Performance, die sich in Tom Wolfes 1968 erschienenem Buch «The Electric Kool-Aid Acid Test» eindrücklich nachempfinden lässt. Sprache und vermittelbare Bedeutung lösten sich in dieser Performance zunehmend in Nonsense-Worthülsen auf: «Die Nirgendwo-Mine … wir fördern Stanniolpapier für Kaugummi … wir entreissen es dem Bauch der Erde … wir, die Kumpel der Nirgendwo-Mine», und so weiter.

Bedeutung war nicht von Dauer, sondern entstand im Moment, wenn die Gruppe synchron eingestimmt war und sich unmittelbar verstand. Oder wie es die Pranksters ausdrückten: «Entweder bist du im Bus, oder du bist nicht im Bus.» Statt den Menschen ihre unter LSD gewonnenen Erkenntnisse zu verkünden, fuhren sie mit ihrem Bus durch die Strassen und spielten mit ihren Instrumenten vom Dach aus die Titelmelodien des Lebens einzelner PassantInnen. Kesey gab in dieser Zeit auch das Schreiben auf. Einem Reporter erklärte er: «Schriftsteller sehen sich nun mal im Gefängnis künstlicher Regeln; wir sehen uns in der Syntax gefangen.» Selbst «Einer flog über das Kuckucksnest» lese sich für ihn inzwischen «wie ein überlanger Werbespot».

Welch tragende Rolle die Substanz in diesem Agieren hatte, wurde dann deutlich, als Kesey ohne LSD weitermachen wollte. Unter dem Druck der Justiz, aber auch unter dem Eindruck, dass die psychedelische Bewegung zum Stillstand gekommen sei, kündigte Kesey 1966 die Wende an: «Auf Acid haben wir gefunden, was wir gesucht haben, und jetzt müssen wir anfangen, das auch ohne Acid zu schaffen.» Aber diese Wende blieb aus. Bei den letzten Auftritten der Pranksters waren die improvisierten Nonsense-Worthülsen nicht mehr viel mehr als eben Nonsense, die Anwesenden waren irritiert und peinlich berührt. Kesey zog sich bald schon auf eine abgelegene Farm zurück. Die Höhepunkte der nun losgetretenen Hippiebewegung, den «Summer of Love» und das Woodstock-Festival, verbrachte er zu Hause im Kreis seiner Familie.