Migrationspolitik in Britannien: Das abschreckende Umfeld und seine Folgen

Nr. 18 –

Auch wenn die britische Innenministerin Amber Rudd mittlerweile zurückgetreten ist: Die aktuelle Empörung um den Windrush-Skandal vermag am rassistischen Kolonialerbe Britanniens nicht zu rütteln.

Ein gescheiterter Gesprächsversuch ist zuweilen aufschlussreicher als eine stundenlange Konversation. Windrush Square liegt im Zentrum von Brixton, dem jamaikanisch geprägten Viertel im Süden Londons; der öffentliche Platz wurde zu Ehren karibischer EinwanderInnen benannt. «Windrush» war der Name eines Schiffs, mit dem 1948 fast 500 MigrantInnen über den Atlantik nach Britannien reisten. Doch die fünf älteren karibischstämmigen Briten, die in der Mitte des Platzes auf einer Bank sitzen, halten ein Gespräch über Politik für sinnlos. «Unsere Meinung zählt nichts», sagt einer, und ein anderer: «Wieso verpisst du dich nicht einfach?»

Verfangen im bürokratischen Netz

Die Reaktion bringt die aktuelle Migrationsdebatte in Britannien auf den Punkt. Offiziell bringt der britische Staat den ZuwanderInnen aus dem Commonwealth (der «Windrush-Generation») Respekt entgegen, aber in Wirklichkeit behandelt er sie so, dass sie sich höchstens als BürgerInnen zweiter Klasse fühlen dürfen. Der Skandal, der in den vergangenen Wochen ausgebrochen ist, hat das auf deprimierende Weise bestätigt.

Dutzende Menschen, die in der Nachkriegszeit aus dem ehemaligen Empire nach Britannien kamen und laut den damaligen Bestimmungen das britische Bürgerrecht besitzen, erhielten in den vergangenen Jahren Briefe vom Innenministerium, in denen sie zu illegalen EinwanderInnen erklärt und zur Rückkehr in ihre «Heimat» aufgefordert wurden. Manche wurden gar in Ausschaffungslager gesteckt, anderen wurden Sozialleistungen entzogen oder die kostenlose Gesundheitsversorgung verweigert, obwohl sie seit Jahrzehnten im Land leben, hier arbeiten und Steuern zahlen.

Letzten Sonntagabend war die Kritik an Innenministerin Amber Rudd schliesslich zu gross geworden. Sie entschied sich zum Rücktritt. Dabei läge die Verantwortung eigentlich anderswo, nämlich bei ihrer Chefin: Premierministerin Theresa May war zwischen 2010 und 2016 selbst Innenministerin. In dieser Zeit erhob sie die Beschränkung der Immigration zu ihrem höchsten Ziel und setzte eine Verschärfung der Einwanderungsgesetze durch, laut der ein «abschreckendes Umfeld» für illegale MigrantInnen geschaffen werden sollte. Gemäss den 2014 in Kraft getretenen Bestimmungen sind Ärztinnen, Vermieter, Arbeitgeberinnen und Banken verpflichtet, den Immigrationsstatus von Klienten oder Bewerberinnen zu überprüfen. Wer nicht über die nötigen Papiere verfügt, gilt als verdächtig. Zwar zielte das Gesetz auf illegale Einwanderung ab. Im bürokratischen Netz verfangen sich seither aber auch unzählige britische BürgerInnen, die in den fünfziger und sechziger Jahren aus dem Commonwealth gekommen waren und es unterlassen hatten, nach einer Gesetzesänderung 1973 ihr Bleiberecht formell zu bestätigen.

Politik befeuert Rassismus

In einer Zeit, da die britische Elite mit feuchten Augen auf die Zeit des britischen Imperiums zurückblickt und den Brexit als Gelegenheit nutzen will, um mit den Staaten des Commonwealth wieder vertiefte Bindungen einzugehen, zeugt der Windrush-Skandal vom zählebigen rassistischen Erbe des Kolonialismus. MigrantInnen aus den Nachfolgestaaten des Weltreichs waren willkommen, solange das Land beim Wiederaufbau nach dem Krieg Arbeitskräfte benötigte. Als volle BürgerInnen wurden sie aber nie akzeptiert.

1968 hielt der Tory-Abgeordnete Enoch Powell eine berüchtigte Rede, in der er davor warnte, dass «der schwarze Mann» bald das Land beherrschen werde, falls Britannien der Einwanderung aus dem Commonwealth keinen Riegel vorschiebe. Genau fünfzig Jahre später müssen nun Tausende pensionierte BritInnen feststellen, dass sie als schwarze BürgerInnen noch immer auf Argwohn stossen. Auf höchster politischer Ebene genauso wie im Alltag.

Denn mittlerweile ist offensichtlich geworden, dass auch der Rassismus in der britischen Gesellschaft von oben befeuert wird. Das Brexit-Referendum und die Zeit danach waren begleitet von einem erschreckenden Ausbruch öffentlich artikulierter Fremdenfeindlichkeit, und die zahlreichen dokumentierten Übergriffe auf MigrantInnen und ethnische Minderheiten kamen keinesfalls aus dem Nichts, wie KommentatorInnen zuweilen behaupten. Sie waren auch nicht allein der Stimmungsmache von RechtspopulistInnen wie Nigel Farage geschuldet.

Vielmehr entwuchsen sie dem offiziellen Diskurs vorangegangener Jahre, der sich unter anderem auf Theresa Mays Politik des «abschreckenden Umfelds» stützte. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Thinktanks Institute of Race Relations, in der rassistische Vorfälle nach dem Brexit untersucht werden. Wenn etwa obdachlose MigrantInnen beschimpft würden, weil sie nicht ökonomisch produktiv seien, dann sei darin eine Parallele zu den Razzien der Einwanderungsbehörde erkennbar, die obdachlose MigrantInnen aus exakt demselben Grund abschieben will. «Wenn ein abschreckendes Umfeld politisch umgesetzt wird, wieso sollten wir überrascht sein, wenn es auch kulturelle Wurzeln schlägt?», heisst es in der Studie. Der Rücktritt von Innenministerin Amber Rudd wird das nicht rückgängig machen.