Pro Tell: Rechtsrutsch bei den Waffenfans

Nr. 18 –

Die Schweizer Waffenlobbyorganisation Pro Tell hat das Referendum gegen die neuen Waffenrichtlinien der EU ergriffen.

Als sich die Organisation Pro Tell Mitte April in Bern zur Delegiertenversammlung traf, liess sie die versammelte Presse drei Stunden lang draussen warten. Als Generalsekretär Robin Udry den JournalistInnen schliesslich doch noch Einlass in den Saal gewährte, sprach gerade ein Vertreter der tschechischen Waffenlobby LEX. Und man durfte sich durchaus etwas über den Zeitpunkt des Einlasses wundern: Der LEX-Vertreter beschwor die Anwesenden in einer flammenden Rede auf den gemeinsamen Kampf ein. Es sei Zeit aufzustehen, sagte er. Die Waffenträger Europas müssten gemeinsam für ein neues Zeitalter kämpfen: ein Zeitalter, das rechtschaffenen Bürgern nicht länger das Waffentragen verbiete. Just dieses Thema sorgte bei Pro Tell in jüngster Zeit für Querelen. Im Vorstand von Pro Tell sitzt mit Jean-Luc Addor seit vergangenem Sommer ein Hardliner. Der Walliser SVP-Politiker wurde kürzlich aufgrund eines rassistischen Tweets erstinstanzlich wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Nach seiner Wahl in den Pro-Tell-Vorstand forderte er in einem parlamentarischen Vorstoss das Recht auf Waffentragen für alle Schweizer BürgerInnen.

Glaubt man kritischen Pro-Tell-Mitgliedern, war die ausserordentliche Generalversammlung vom 17. Juni 2017, als Addor zum Vizepräsidenten der Organisation gewählt wurde, relativ spektakulär. Neben Addor wurde damals der smarte und erzkonservative CVP-Mann Robin Udry als Generalsekretär an die Pro-Tell-Spitze gehievt (er wohnt wie Jean-Luc Addor in der Walliser Gemeinde Savièse). Die Übernahme der Waffenlobby durch die Westschweizer sei von langer Hand geplant gewesen, sagen Insider. Addor und Udry hätten im Vorfeld der Delegiertenversammlung ihr ganzes Umfeld mobilisiert. Selbst rechtsradikale Kräfte hatten offenbar ihre Finger im Spiel. Nach der Versammlung schrieb die rechtsextreme Westschweizer Gruppierung Résistance Helvétique auf ihrer Website: «Wir waren auch dabei.» Damit habe man nichts zu tun gehabt, behauptet Udry. «Als wir den Post entdeckten, haben wir die Urheber ausfindig gemacht und ihnen klargemacht, dass wir ihre Ideologie bei Pro Tell nicht dulden.»

Doch der Putsch hatte klar einen Richtungswechsel zum Ziel: Davon zeugt, dass der ebenfalls vor einem Jahr zum Präsidenten gewählte Exbrigadier Hans-Peter Wüthrich nach acht Monaten bereits wieder den Bettel hingeworfen hat. Aus Zeitgründen, sagte er erst. Später räumte er ein, dass er die Politik von Udry und Addor nicht mittrage. Udry, Mitglied eines katholischen Ritterordens, geht mit seinen Forderungen zwar weniger weit als Addor. Er befürwortet aber immerhin die private Bewaffnung von PolizistInnen und MitarbeiterInnen von Sicherheitsfirmen. Die Politik von Udry und Addor orientiert sich weniger an der Schweizer Schützentradition als an der US-amerikanischen Idee der «freien Waffen für freie Bürger». Ein Bürger ohne Waffe sei kein richtiger Bürger, sagt Udry gerne.

Nach der Delegiertenversammlung vom 18. April verkündete Pro Tell: Man habe alle Vorstösse abgelehnt, die einen Ausbau der Waffenrechte verlangt hätten. Stattdessen werde man sich voll auf den Kampf gegen die neuen EU-Waffenrichtlinien konzentrieren: Abwehrkampf statt Kollisionskurs. Doch nicht nur der Ausschluss der Presse lässt vermuten, dass diese Entscheidung mehr Taktik als Linie war. Addor jedenfalls sagte nach der Veranstaltung, er habe seine Überzeugungen nicht aufgegeben. «Aber wir müssen jetzt Einigkeit demonstrieren und unsere Kräfte bündeln.» Das habe er auch jenen klargemacht, die mit ihm den Vorstoss für ein liberaleres Waffenrecht geplant hätten. «Ich habe ihnen gesagt, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist für Forderungen, die derzeit keine reale Chance haben. Damit bieten wir nur unnötige Angriffsflächen.» Solche Klärungen, sagt Addor, mache der Verband lieber ohne Presse.

Kampfansage an die EU

Die Schweiz ist als Schengenmitglied verpflichtet, die Verschärfung aus Brüssel zu übernehmen. Das neue Gesetz, das als Massnahme zur Terrorbekämpfung beschlossen wurde, zielt auf automatische und halbautomatische Waffen, deren Besitz die EU viel stärker reglementieren will. Für die Schweiz hat der Bundesrat zahlreiche Ausnahmen ausgehandelt: So dürfen jene, die Armeedienst geleistet haben, ihre Ordonnanzwaffe behalten, wenn sie belegen können, regelmässig damit zu schiessen. Doch bereits diese Einschränkung geht der Waffenlobby zu weit. Sie stört sich zudem daran, dass künftig keine Magazine mit mehr als zehn Schuss mehr erlaubt sein sollen. Das Referendum wird von zahlreichen Interessenverbänden unterstützt, sie nehmen mit ihrem Widerstand selbst eine Kündigung des Schengenabkommens mit der EU in Kauf.