Durch den Monat mit der «grossen um_ordnung»: Braucht es Körper für die politische Aktion?

Nr. 19 –

Rahel El-Maawi, eine der OrganisatorInnen der Kunstaktion «die grosse um_ordnung», versucht in ihrer Bewegungsforschung, im Körper gespeichertes Wissen wachzurufen. Sie erzählt von ihrem Alltag als Schwarze Frau in der Schweiz, blöden Fragen im Zug und ermutigenden Kontakten mit der jungen Generation.

Rahel El-Maawi: «Diskriminierung ist meistens eine sehr einsame Erfahrung. Über das In-Bewegung-Sein können Menschen, die Ähnliches erlebt haben, Communitys bilden.»

WOZ: Rahel El-Maawi, Sie gehören zur Kerngruppe, die am 26. Mai auf dem Zürcher Helvetiaplatz die «grosse um_ordnung» organisiert. Was ist Ihre Rolle dabei?
Rahel El-Maawi: Ich setze mich mit Körpern, mit Bewegungsforschung auseinander. Diese Ebene spielt eine wichtige Rolle in unserer Aktion: Was kann ein Körper? Welches Wissen ist in unseren Körpern gespeichert, von dem wir vielleicht gar nichts wissen? Solche Fragen interessieren mich. In meinem Beruf als soziokulturelle Animatorin geht es unter anderem darum, die Artikulation von Menschen zu fördern. Aber die Erfahrungen, die wir mit dem Körper machen, befragen wir dabei meist nicht. Für sie möchte ich Raum schaffen. Körperbewegungen und soziale Bewegungen haben einen Zusammenhang.

Heute findet viel Aktivismus rein virtuell statt. Möchten Sie, dass Körper wieder stärker ein Teil politischer Aktionen werden?
Ja. Eines meiner Ziele ist es, die Einsamkeit von Erlebnissen, die sich in den Körper einschreiben, zu durchbrechen. Diskriminierung ist meistens eine sehr einsame Erfahrung. Über das In-Bewegung-Sein können Menschen, die Ähnliches erlebt haben, Communitys bilden.

Sie sind eine der Gründerinnen von Black She, kurz Bla*sh, einem Netzwerk Schwarzer Frauen in der Schweiz.
Bla*sh ist 2013 an einem Küchentisch entstanden – wie so oft in der Frauengeschichte. Meine Freundinnen Serena Dankwa und Jovita dos Santos Pinto und ich luden einige Schwarze Frauen zu einem ersten Treffen ein. Als Schwarze Frauen in der Schweiz teilen wir ähnliche Erfahrungen. Und doch kannten wir kaum andere! Das wollten wir ändern. Heute sind wir rund 25 sehr aktive Frauen und etwa 75 weitere, die an Veranstaltungen kommen.

Was ist das Ziel von Bla*sh?
Wir wollen unsere Erfahrungen austauschen, uns gegenseitig stärken und auch in der Öffentlichkeit die Geschichte von Schwarzen Schweizerinnen erzählen. Eine Geschichte, die nicht niedergeschrieben ist – wir müssen sie selber schreiben. Auch unsere Kinder sind oft dabei, wir machen kein Programm für sie, sie treffen sich einfach und sehen mögliche Vorbilder bei uns Frauen. Ich glaube, das ist extrem ermächtigend. Wichtig ist: Bla*sh bietet keine Dienstleistungen an.

Was heisst das?
Oft werden wir gefragt, ob wir vorbeikommen und erzählen könnten, wie es uns geht. Wir möchten aber nicht die ganze Aufklärungsarbeit machen, wir wünschen eine gewisse Vorsensibilisierung. Ich habe schon erlebt, dass ich auf einem Podium sass und meine Perspektive einfach nicht aufgenommen wurde, weder von der Moderation noch von den Teilnehmenden. Das ist sehr frustrierend und reproduziert die Diskriminierung noch einmal. Und ich bin nicht einmal so exponiert wie andere, weil ich nicht so dunkelhäutig bin. Aber auch ich werde markiert und interpretiert – die Leute lesen Körper genau! Und geben Kommentare über meine Wangenknochen oder mein Füdli ab.

Fremde Leute?
Ja. Jede Woche mindestens einmal. Ich sitze im Zug, und jemand sagt: «Also, Sie sehen schon noch spannend aus!»

Die wollen einfach Interesse zeigen.
Ja, aber ich empfinde es als schwierige Markierung, weil uns nonstop abgesprochen wird, dass wir hier dazugehören. Es scheint einfach undenkbar, dass es Schwarze Schweizerinnen gibt. Darum empfinde ich es als diskriminierend – egal was die Intention der Leute ist.

Hat sich der Rassismus seit Ihrer Kindheit verändert?
Mein Vater hat viel Rassismus erlebt, und das hat unsere Familie geprägt. Er ist immer wieder aufgelöst heimgekommen. Ich denke, der Rassismus war damals offener. Heute erlebe ich es in der Intersektionalität, das heisst, verschiedene Diskriminierungen überlagern sich: Es ist nicht nur Rassismus, sondern auch ein krasser Sexismus, in dem viele stereotype Bilder mitspielen. Ich werde exotisiert, als Sexualobjekt angeschaut. Auch das erlebe ich fast jede Woche.

Sie haben lange in einem Zürcher Gemeinschaftszentrum gearbeitet. Haben Sie versucht, dort Ihre Erfahrungen einfliessen zu lassen?
Ja. Da merkte ich, dass es manchmal auch ein Türöffner ist, als Schwarz gelesen zu werden. Einmal kamen drei Schwarze Kinder, schauten an mir rauf und riefen: «Das ist eine von uns!» Auch bei Teenagern merke ich, wie wichtig es ist, dass sie sehen: Es gibt Schwarze Menschen, die ihren Weg gemacht haben, die erfolgreich berufstätig sind – es ist also auch für uns möglich.

Wie war das für Sie in der Jugend?
Ich habe auch selbst Vorbilder gebraucht, und meine Eltern haben das zum Glück gefördert. Ich begann früh, Schwarze Literatur aus den USA zu lesen, darunter auch solche von lesbischen Frauen. Das war schön – da kamen alle meine Identitäten vor.

Rahel El-Maawi (40) arbeitet als soziokulturelle Animatorin, Dozentin und Bewegungsforscherin. Sie hat in Kalifornien eine Ausbildung in Expressive Art Education gemacht. Eines ihrer grossen Vorbilder ist die Schwarze lesbische Schriftstellerin Audre Lorde. Wie viele Schwarze AktivistInnen schreibt El-Maawi «Schwarz» gross, weil es um einen gemeinsamen Erfahrungshorizont und nicht um eine Farbe geht. www.diegrosseumordnung.ch