Kommentar zum Sinkflug der CVP: Pfisters Irrungen

Nr. 19 –

CVP-Präsident Gerhard Pfister hat seiner Partei eine konservative Wende verordnet. Der Abgang der langjährigen Zürcher Nationalrätin Barbara Schmid-Federer ist nur ein Indiz dafür, dass das der falsche Weg ist.

Barbara Schmid-Federer, CVP-Nationalrätin des Kantons Zürich, hat letzte Woche mit ihrem Rücktritt für Aufruhr gesorgt. Die Politikerin trat nicht still und leise ab, sondern sie tat es mit einer Standpauke: In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» übte sie scharfe Kritik an Parteipräsident Gerhard Pfisters Kurs. Sie könne sich mit dem konservativ-bürgerlichen Weg kaum mehr identifizieren, sagte Schmid-Federer. Als Vertreterin des linken CVP-Flügels sei ihr das politische Leben zunehmend erschwert worden.

Der jetzige Abgang von Schmid-Federer wirft vor allem eine Frage auf: Warum steht Gerhard Pfister, der die Partei seit April 2016 führt, nicht längst stärker unter Druck? Die CVP verliert seit zwanzig Jahren systematisch Wahlen. Pfister ist vor zwei Jahren angetreten, um die Trendwende zu schaffen. Doch der Zuger hatte bislang keinerlei Erfolg: Die letzte grosse Klatsche kassierte seine Partei eben gerade in der Stadt Zürich. Bei den Wahlen vom 4. März schaffte die CVP nicht einmal mehr das Fünfprozentquorum, und sie musste ihre bisherigen sechs Sitze im Stadtparlament abgeben. In Pfisters Amtszeit fällt auch die historische Niederlage in der Stadt St. Gallen – wo die CVP im November 2017 nach über hundert Jahren aus dem Stadtrat abgewählt wurde. Seit 2015 hat die CVP in den Kantonen insgesamt 25 Parlamentssitze verloren.

Pfister will den Sinkflug mit einer konservativen Wende stoppen. Sein Rezept besteht in der Beschwörung des christlichen Abendlands und einer «Wertedebatte», mit der er die WählerInnen aus den katholisch-konservativen Stammlanden zurückholen will. Dass dieses Konzept nicht aufgehen dürfte, hat sich im Frühling bei den Wahlen im Kanton Obwalden gezeigt. Ausgerechnet in den Stammlanden, wo die WählerInnen gemäss Pfisters Plan scharenweise auf die Parolen hätten anspringen sollen, verlor die CVP drei Sitze im Kantonsrat. Dazu eroberte die SVP erstmals einen Sitz im Regierungsrat, und zwar auf Kosten der CVP. Das Debakel in der Innerschweiz ist ein Indiz dafür, dass die konservativen WählerInnen des ländlichen Milieus wohl längst an die SVP verloren sind.

Dabei fischte Gerhard Pfister während seiner gesamten Politkarriere in den Gewässern der SVP. Der Parteipräsident mag sich seit seiner Wahl konzilianter geben als zuvor. Doch sollte man nicht so schnell vergessen, dass er am äussersten rechten Rand der CVP steht. Pfister ist ein asylpolitischer Hardliner, der die SVP einst mit dem Vorschlag einer Obergrenze für Asylsuchende rechts überholte. Er ist ein wirtschaftsliberaler Ideologe und gesellschaftspolitisch streng konservativ: Er spricht sich etwa gegen die Öffnung der Ehe für Homosexuelle aus.

Die CVP, die aus einem Zusammenschluss der Katholisch-Konservativen und der Christlich-Sozialen hervorging, ficht seit Jahrzehnten einen internen Richtungsstreit aus. Während der christlich-soziale Parteiflügel in den fünfziger Jahren auf dem Höhepunkt seines parteiinternen Einflusses stand, verlor er in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Gewicht. Die Wahl von Gerhard Pfister zum Parteipräsidenten war vor zwei Jahren der Höhepunkt dieser Entwicklung. Zwar betont der konservative Zuger gerne, dass seine Partei ein breites Spektrum abbilden müsse. Mit der kürzlich erfolgten Gründung der CSV (Christlichsoziale Vereinigung) will der Parteipräsident die Vertreter des linken Parteispektrums besser in die Partei einbinden.

Schmid-Federers Abgang aber ist ein erstes Zeichen dafür, dass der Parteifrieden zu bröckeln beginnt. Das konservative Leitbild, das Pfister seiner Partei verpasst hat, verfängt offensichtlich nicht. Während die rechten WählerInnen lieber bei der SVP bleiben, verliert die CVP mit ihrem Programm bei der urbanen Wählerschaft an Strahlkraft: So wird Pfister die Partei nicht von der Verliererstrasse wegführen. Verliert die Partei auf dem Weg zu den nationalen Wahlen 2019 weiter, dann ist die rechte Wende definitiv gescheitert.