Im Affekt: Irgendwas mit einer blutten Frau

Nr. 21 –

Klar, so eine schön gestochene Tätowierung ist auch irgendwie Kultur, da haben wir keine Berührungsängste. Aber dass uns der Regionalverband der Zürcher Tattoostudios sein aufwendig gestaltetes Branchenmagazin (hundert Seiten!) ungefragt auf die Redaktion schickt, fanden wir dann doch etwas übermotiviert. Was man den Leuten dort gleichwohl zugutehalten muss: Die haben sich wirklich jede erdenkliche Mühe gegeben, unsere Aufmerksamkeit zu kitzeln – wenn auch mit recht kruden Mitteln. Ganz nach der immer noch verbreiteten Altherrenweisheit aus der Werbebranche: Wenn du gar keine Idee hast, mach halt irgendwas mit einer blutten Frau, das zieht immer.

Dieses Covergirl macht der Tattoobranche aber auch alle Ehre, wie es da splitternackt im Frauenbad am Zürcher Stadthausquai seine in die Haut gestochenen Werke präsentiert: Von der Kehle bis zu den Zehenspitzen ranken sich fast am ganzen Körper zauberhafte Gewächse und schaurige Gestalten, dazu Vögel, Schmetterlinge und sogar ein herziges Büsi. Für die Snobs unter uns hat das Bild sogar eine hoch kulturelle Anspielung parat, denn die Frau kopiert in ihrer Pose ziemlich genau die Venus von Botticelli: den rechten Arm über der Brust angewinkelt, die linke Hand züchtig vor der Scham. Bloss dass die Frau, die einst für Botticelli Modell stand, wohl noch ohne Silikon posierte. Und dass die tätowierte Venus jetzt nicht in einer riesigen Muschelschale steht, sondern auf einem auf den Boden drapierten Schiffstau. Verrucht wirkt das allerdings kein bisschen, was nicht zuletzt an der Kulisse unter postkartenblauem Zürihimmel liegt: Man wollte vermutlich das Regionale betonen, aber mit dem Grossmünster im Hintergrund sieht das aus wie ein Tourismusprospekt für keine Zielgruppe.

Nur schade, dass wir in dem Heft dann gar nichts gefunden haben über Trends und Tendenzen in der regionalen Tattoobranche. Bei der Broschüre handelt es sich, wie sich beim Durchblättern herausstellte, um das Programmheft der Festspiele Zürich. Auch Kultur, irgendwie.

Die Festspiele Zürich dauern vom 1. bis 24. Juni 2018 und stehen dieses Jahr unter dem Motto «Schönheit/Wahnsinn».