Graffiti: Der Spuk aus der Spraydose

Nr. 23 –

Das Buch «Schmieren/Kleben» erzählt vom witzigen Kampf um Präsenz im öffentlichen Raum. Und von unfreiwilliger Schützenhilfe der Polizei beim Aufarbeiten von politisch bewegten Graffiti.

  • Alle Fotos: Stadtarchiv Zürich / Edition Patrick Frey, 2018

«Wir beissen zurück» steht geschmiert, darunter kriecht eine Schnecke, deren Zähne höchstens das Salatblatt schrecken. Fast schon putzig und oft witzig kommt der Kampf um Präsenz im öffentlichen Raum daher. Das Buch «Schmieren/Kleben» mit 700 Schwarzweissfotografien aus den Jahren 1976 bis 1989 gibt auf unterhaltsame Weise Einblick in den Kosmos des politischen Aktivismus aus jener Zeit. «Gott sei Punk» haben die HerausgeberInnen im gesprayten und geklebten Vandalismus das Ästhetische entdeckt, lange Zeit nachdem das Graffiti bereits von Galerien geadelt wurde. Aber wer beisst hier eigentlich wen oder sich selbst in den eigenen Schwanz?

Zeichen der Gärung

Anteil an der sanften Rehabilitierung der «Schmiererei» hat sicherlich auch Harald Naegeli, der Sprayer von Zürich, der jüngst Stadtrat Filippo Leutenegger in dessen Büro zu einem medienwirksamen Handschlag traf. Der «Männchenmaler» überreichte dem FDP-Mann dabei sein Werk «Utopieauge» und konnte so Reinigungskosten in der Höhe von 9000 Franken tilgen, die er der Stadt Zürich schuldete. Wenn dieser Einigung etwas Utopisches innewohnte, dann weniger in der nichtmonetären, dafür anlagetechnisch sicheren Währung, mit der gehandelt wurde. Und ganz sicher nicht im vermeintlichen Verdienst des Stadtrats, den grossen Künstler unter den Vandalen aussortiert zu haben.

Der symbolträchtigen Einigung ging im Oktober 2017 ein Prozess voraus, der darüber entscheiden sollte, ob Naegelis Strichmännchen Kunst oder Sachbeschädigung sind. Der Prozess blieb ohne Schuld- oder Freispruch, und höchstens in diesem Nichtentscheid könnte man nun eine utopische Note entdecken: Mit ihrem Handschlag haben Leutenegger und Naegeli die Zone der Uneindeutigkeit – im Recht und in der Kunst – besiegelt. Naegelis Akt des Sprayens in der Öffentlichkeit unterscheidet sich nämlich nicht grundlegend von jenem anderer (unbekannter) Künstlerinnen oder Aktivisten. Zumindest sah dies sein Fürsprecher Joseph Beuys so, als die WOZ diesen 1983 fragte, ob er zwischen Naegeli und anderen Sprayenden einen Unterschied sehe: «Nein! All diese Zeichen an der Wand sind (…) Zeichen auch von etwas, das in Gärung ist.»

Denn egal, wie unästhetisch solches Gekrakel sein mag: Immer geht es dabei um eine Aneignung des öffentlichen Raums; das zeigt auch das Buch «Schmieren/Kleben». Eingeklemmt zwischen Werbeplakaten, stellen die BesetzerInnen der Hauswände die Frage: «Wo bleibt denn da Platz zum Sprayen?» Solange man nicht erwischt wird, kann die eigene Parole gratis platziert werden. Mal ist das Medium selbst die Botschaft, mal geht es unverhohlen um Agitation: gegen Kriege, gegen den damaligen Regierungsrat Alfred Gilgen, gegen ein neues Stadion, für mehr Joints und weniger von Vielerlei.

Klar, die Schmiererei der Stadtkinder kostet die Hauseigentümer, die Kirchen, die Schulen beziehungsweise ihre Versicherungen grosse Summen, wollen sie ihre Wände sauber halten. «Das geht natürlich gar nicht», findet denn auch Stadtrat Richard Wolff in seinem Vorwort, das er noch als Polizeivorsteher geschrieben hat – gerade wenn, wie er schreibt, «ganze Berufsgruppen» dabei «gemobbt» würden.

Ironische Pointe: Ausgerechnet die «gemobbte Berufsgruppe» Polizei hat den UrheberInnen mit dem Register «Schmieren/Kleben» alle archivarische Arbeit abgenommen. Eröffnet wurde das Register im Jahr 1976, als die RAF in Deutschland und die Roten Brigaden in Italien auch die Schweizer Behörden in Alarmbereitschaft versetzten. Damals wurde jeder Tropfen Farbe an einem Schulhaus als Indiz für den Willen zum bewaffneten Kampf genommen. Fein säuberlich dokumentierte und archivierte also das Kriminalkommissariat III, zuständig für den Staatsschutz, die ephemeren aktivistischen Parolen oder absichtslose Absurditäten: «Ich habe in dieser Garage schon 93 Stück Serpentone geklaut», «Ficken, hi hi hi hi». Ohne dass die UrheberInnen mit ihren Tags jemals zukünftige Soloausstellungen oder Publikationen anvisiert hätten, entstand so ein künstlerisches Werkregister – polizeilich beglaubigt.

Von Punk gelernt

Nach dem Fichenskandal von 1989 wanderte das Register mit den 2000 Fotografien ins Stadtarchiv Zürich. Der renommierte Kunstverlag Edition Patrick Frey präsentiert nun in «Schmieren/Kleben» die ästhetische Crème de la Crème dieser Sammlung. Warum genau diese Auswahl, wenn sie sich als archivarische Ressource schmückt und den Interessierten den Gang ins Stadtarchiv ersparen will? Warum nicht gleich vollständig, so wie die fein säuberlich abgedruckte Karteisammlung mit den übrigen Daten im zweiten Teil des Buchs? Über Auswahlkriterien verlieren der Journalist und Mitherausgeber Philipp Anz und der Kulturwissenschaftler Jörg Scheller in ihren lesenswerten Reflexionen kein Wort. Man verpflichtet sich in diesem Sinn keiner Methode und hat überdies längst von Punkstrategien gelernt: Aufmerksamkeit erhält, wer es versteht, sich Inhalte intelligent anzueignen.

Aber das Spiel mit porösen Freund- und Feindbildern einmal beiseite: Die Gesetzeslage bezüglich Sprayereien ist klar, und sie bringt es mit sich, dass das Verhältnis der UrheberInnen zur Dokumentation zwangsläufig konfliktbeladen ist. Scheller, der die Widersprüche einer solchen Publikation aufdröselt, hält dem entgegen, dass auch Graffiti auf eine Verstetigung im Archiv angewiesen seien: Ohne ein solches dokumentarisches Gedächtnis werde der politisch-gesellschaftliche Anspruch der anarchischen Ereignishaftigkeit hinfällig.

Ab ins Kopiergerät!

Ohne Zweifel finden sich in diesem Band Perlen der Polizeifotografie. Auf Betonwänden schneiden die Schriftzüge die menschenleere kleinbürgerliche Stille auf, die Farbbombe auf glänzenden Fliesen konserviert ihren dynamischen Wurf. Das ergänzende Gegenstück zu diesen Polizeibildern wäre die Sammlung der verstorbenen WOZ-Fotografin Gertrud Vogler. Auch sie hat damals «die Bewegung» dokumentiert, doch ihr Blick ist einer von innen – auf die Menschen hinter den Schriftzügen. Beide fotografischen Sammlungen sind wertvolle Archivbeiträge zu einer Kartografie der Jugendbewegungen. Dank Publikationen wie «Schmieren/Kleben» sind sie nicht zwangsläufig an geschmäcklerischen Kunstgenuss in den Lobbys von Privatbanken verloren.

Trotz des unscharfen Anspruchs der HerausgeberInnen: Dieses Buch macht Spass, und es wartet nur darauf, ins Kopiergerät zu wandern im Dienste des nächsten Konzertflyers.

Philipp Anz (Hrsg.), Jules Spinatsch (Hrsg.) und Viola Zimmermann (Hrsg.): Schmieren/Kleben. Aus dem Archiv KK III der Stadtpolizei Zürich 1976–1989. Edition Patrick Frey. Zürich 2018. 592 Seiten. 95 Franken