Konzernverantwortungsinitiative: Verteidiger der Grosskonzerne

Nr. 24 –

Am Donnerstag diskutiert der Nationalrat den Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative. Die Sache schien geritzt – doch das ausgiebige Lobbying von Economiesuisse könnte Folgen haben.

«Man darf wirklich nicht alles so schwarz-weiss sehen»: Thomas Pletscher von Economiesuisse.

Christa Markwalder scheint ein paar Tage vor der grossen Debatte im Nationalrat etwas nachdenklich. «Ich habe aus der Vergangenheit gelernt», sagt die Berner FDP-Nationalrätin. Die Frage sei halt, ob das für alle gelte.

Markwalder gehört zum Kreis der Bürgerlichen, die im Frühling in der Rechtskommission des Nationalrats einen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative (Kovini) ausgearbeitet haben. «Er nimmt die wichtigen Anliegen der Initiative auf», sagt Markwalder, «hat aber weniger negative Folgen.»

Der Weg zum Kompromiss war steinig: Lange hatte sich die rechte Mehrheit im Parlament kompromisslos gegen die Initiative gestellt, die von über hundert NGOs und von Gewerkschaften getragen wird. Auch der Bundesrat hatte sich gegen einen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative ausgesprochen. Doch dann kamen erste Umfragen, die der Initiative einen überwältigenden Zuspruch aus der Bevölkerung attestierten: 72 Prozent der DeutschschweizerInnen gaben im «Tages-Anzeiger» an, das Anliegen der Kovini zu unterstützen, in der Westschweiz waren es gar 91 Prozent.

Die Konzernverantwortungsinitiative will multinationale Unternehmen mit Sitz in der Schweiz in die Pflicht nehmen: Wer für seine Milliardenprofite im Globalen Süden internationale Standards verletzt, soll dafür haftbar gemacht werden. Die Initiative will den Unternehmen eine Sorgfaltspflichtsprüfung auferlegen: Sie müssten bei einer Annahme regelmässig überprüfen, ob sie durch ihre Tätigkeiten direkt oder indirekt Menschenrechts- oder Umweltstandards verletzten. Wäre das der Fall, müsste das Unternehmen wirksame Gegenmassnahmen ergreifen und darüber berichten. Die Kovini sieht zudem eine Umkehr der Beweislast vor: Verletzen Unternehmen international anerkannte Menschenrechte oder Umweltstandards, sollen sie für die Schäden haften. Ausser sie können aufzeigen, dass sie ihre Sorgfaltspflicht nicht vernachlässigt haben.

Immer neue Skandale

Die Schweiz bekäme mit der Annahme der Kovini das progressivste Gesetz zur Umsetzung der 2011 vom Uno-Sonderbeauftragten John Ruggie ausgearbeiteten Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Andere Länder wie etwa Frankreich haben zwar ebenfalls Gesetze erlassen, die den Unternehmen eine Sorgfaltspflichtsprüfung auferlegen – in der Frage der Haftung geht jedoch bislang kein Land so weit, wie es die Konzernverantwortungsinitiative vorsieht.

Dass das Thema ausgerechnet in der Schweiz solch hohe Wellen schlägt, ist indes kein Zufall: Das Land ist eine der wichtigsten Rohstoffdrehscheiben der Welt. Die Branche floriert: In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Einnahmen verzwanzigfacht. Durch die Fusion der Zuger Unternehmen Glencore und Xstrata ist eines der weltweit grössten Rohstoffunternehmen entstanden, das vom Abbau bis zum Handel die gesamte Wertschöpfungskette abdeckt.

Immer wieder kommen Skandale ans Licht: So etwa 2015, als die Menschenrechtsorganisation Erklärung von Bern (heute Public Eye) öffentlich machte, dass das Tessiner Unternehmen Valcambi direkt von Kinderarbeit und Ausbeutung in den Goldminen von Burkina Faso profitiert. Die Goldraffinerie importiert ihr gesamtes Rohmaterial aus Togo, das selber gar keine Goldminen besitzt, aber Gold aus dem von Armut und Korruption gebeutelten Nachbarland ins Ausland schmuggelt.

Der Druck also war gross – und die Wirtschaftsparteien und Verbände sahen sich mit der ungemütlichen Aufgabe konfrontiert, die Machenschaften der Grosskonzerne gegenüber der Bevölkerung zu verteidigen. Dass das schieflaufen kann, haben die Rechten bereits einmal erfahren: Als sie – angeführt vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse – sowohl die Abzockerinitiative von Thomas Minder, die sich gegen exorbitante Managerlöhne richtete, als auch den parlamentarischen Gegenvorschlag bekämpften und an der Urne scheiterten.

Das meint FDP-Nationalrätin Christa Markwalder mit «aus Fehlern lernen». Auf ihre Seite haben sich inzwischen verschiedene Wirtschaftsvertreter geschlagen: etwa der Verband für nachhaltiges Wirtschaften (Öbu), aber auch die Migros sowie der Westschweizer Wirtschaftsverband Groupement des Entreprises Multinationales. Sie alle unterstützen den indirekten Gegenvorschlag, den die Rechtskommission des Nationalrats in die Aktienrechtsreform integriert hat. Er geht zwar weniger weit als die Initiative (der Kreis der haftbaren Firmen würde stark eingeschränkt, die Unternehmen wären für Zulieferer nicht haftbar sowie nur in schweren Fällen von Menschenrechtsverletzungen). Dennoch haben die InitiantInnen angekündigt, die Initiative bei einer Annahme des Gegenvorschlags zurückzuziehen.

Freiwillig zu einem besseren Image

Doch wer nun glaubt, das Geschäft komme schlank durch den Nationalrat, könnte sich irren. Denn einer hat in den vergangenen Wochen ausgiebig dafür lobbyiert, den Gegenvorschlag nicht mit der Aktienreform zu verabschieden, sondern ihn wieder aus dieser herauszulösen – um ihn separat in die Vernehmlassung zu schicken. Sein Name ist Thomas Pletscher. Pletscher empfängt die WOZ in einem Pausenraum von Economiesuisse mit kitschigen Leuchtern und einem geschmacklosen Ungetüm von einem Blumenstock. Gemeinsam mit Swissholdings, dem Verband für Industrie- und Dienstleistungskonzerne, hat Economiesuisse die Kovini von Anfang an bekämpft.

Pletscher leitet bei Economiesuisse die Abteilung «Wettbewerb und Regulatorisches». Dass er in Sachen Kovini die Leitlinien vorgebe, stimme nicht, sagt er. Er sei aber so etwas wie ein Kompetenz- und Ideengeber. «Mir liegt das Thema Menschenrechte durchaus am Herzen, ich beschäftige mich seit dreissig Jahren damit und setze mich auf internationaler Ebene für bessere Standards bei den Unternehmen ein.» Es ist ein Engagement für wohlklingende «Corporate Social Responsibility»-Programme, für hübsch deklarierte Freiwilligkeit also, die den Unternehmen zu einem besseren Image verhelfen soll. Die Konzernverantwortungsinitiative läuft Pletschers Bemühungen freilich entgegen. Sie sei destruktiv, sagt Pletscher, weil sie nur die schwarzen Schafe bestrafe, während sein «konstruktiver» Weg positive Entwicklungen belohne.

Klar ausgedrückt heisst das: Pletscher und seine MitstreiterInnen stören sich in erster Linie daran, dass der Fokus auf Haftungsklagen liegen soll. «Diesen Mechanismus halte ich für falsch», sagt Pletscher, «sowohl bei der Initiative als auch beim Gegenvorschlag.» Das Lobbying für das Splitting habe in erster Linie verfahrensmässige Gründe, behauptet Pletscher, «die Aktienreform ist extrem kompliziert, deshalb sollte man die beiden Geschäfte nicht vermischen. Mit einem Splitting wäre zudem garantiert, dass der Gegenvorschlag bis zum Frühling – wenn wir einen Entscheid brauchen – behandelt werden kann.»

Die anderen sind auch nicht besser

Die Herauslösung des Gegenvorschlags aus der Aktienrechtsreform ergibt für die Wirtschaftsverbände aber noch aus einem anderen Grund Sinn: Sie bekämen so noch einmal die Gelegenheit, in einer Vernehmlassung auf den Gegenvorschlag Einfluss zu nehmen – und ihn weiter zu verwässern. Pletscher sagt: «Economiesuisse wäre bereit, einer Lösung zuzustimmen, wenn es weniger negative Rückwirkungen auf die Unternehmen gäbe. Man müsste die Haftung weiter beschränken und genauer definieren, wie das Verhältnis der Schweizer Gerichte zu den Gerichten in den jeweiligen Ländern ist.»

Kommt kein der Economiesuisse genehmer Vorschlag, ist Pletscher, der das Zepter bereits bei der Abzockerinitiative führte, bereit, noch einmal mit zynischen Argumenten in den Abstimmungskampf zu ziehen. Bei dieser Initiative könne man besser argumentieren als bei den Abzockern, sagt er. «Es lassen sich durchaus negative Auswirkungen aufzeigen: Kann ein Unternehmen wegen zu weitgehenden Haftungen die Tätigkeit in einem Land nicht mehr verantworten, müsste es sich zurückziehen, dann kämen andere aus Ländern mit schwächeren Regeln – und bei diesen wären die menschen- und umweltrechtlichen Standards sicher nicht besser. Man darf wirklich nicht alles so schwarz-weiss sehen.»

Im Parlament hat Economiesuisse erfolgreich lobbyiert: Eingereicht hat den Vorstoss zum Splitting FDP-Nationalrat und Gewerbeverbandspräsident Hans-Ulrich Bigler. Die Mehrheit der Bürgerlichen scheint bereit zu sein, auf den Vorstoss einzutreten. So sagt etwa CVP-Präsident Gerhard Pfister: «Ich finde ein Splitting sinnvoll und mache auch keinen Hehl daraus, dass ich den Gegenvorschlag in dieser Form nicht unterstütze.»

Nachtrag vom 21. Juni 2018 : Konzernverantwortung: Noch nicht im Trockenen

Die Linken waren nach der Sommersession zufrieden: Der Nationalrat verhinderte die Einstellung der Finanzhilfen für Kindertagesstätten; die Ständeratsherren kriegten im zweiten Anlauf die Kurve und stimmten dem Gleichstellungsgesetz zu. Und eine hauchdünne Mehrheit des Nationalrats sprach sich für Geschlechterrichtwerte bei börsenkotierten Unternehmen aus. Will heissen: Sitzen in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten künftig weniger als dreissig Prozent Frauen, müssen sich die Firmen erklären (freilich, ohne sanktioniert zu werden).

Als grössten Erfolg aber verbuchten die Linken das Ja des Nationalrats zum Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative. Die InitiantInnen seien einen Schritt weiter im Kampf gegen die Ausbeutung des Globalen Südens durch die Schweizer Multis, waren sich die Medien einig. Doch wer genau hinschaut, erkennt: Mit dem Ja zum Gegenvorschlag ist noch nichts erreicht. Die Mehrheit der Bürgerlichen stimmte dem Gegenvorschlag (der zwar weniger weit geht als die Initiative, jedoch das Grundanliegen der Haftbarkeit aufnimmt) nicht aus Begeisterung zu. Die rechte Parlamentsmehrheit hofft vielmehr, den Gegenvorschlag nun weiter abschwächen zu können.

Um die Chancen dafür zu erhöhen, hat der Nationalrat den Gegenvorschlag aus der Aktienrechtsrevision herausgelöst – eine Variante, für die Economiesuisse stark lobbyiert hatte. Das Ja des Nationalrats sei kein echtes Ja, sagte CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter in der «Arena»: «Es geht nun darum, den Vorschlag weiter zu diskutieren und vor allem die Wirtschaft noch einmal genau anzuhören.» FDP-Ständerat Ruedi Noser sagt am Telefon: «Ich will nach wie vor, dass wir über die Initiative abstimmen. Für mich kommt ein Gegenvorschlag, der die Umkehr der Beweislast aufnimmt – und damit den Initianten so weit entgegenkommt, dass diese die Initiative zurückziehen –, nicht infrage.»

Die Rechtskommission des Ständerats könnte nun den Bundesrat mit einer Vernehmlassung beauftragen – das zumindest wollen die von der WOZ angefragten FDP-Kommissionsvertreter. Wie es mit dem Gegenvorschlag weitergeht, hängt wohl ganz von der CVP ab: Sie ist in der Kommission das Zünglein an der Waage.

Sarah Schmalz