Durch den Monat mit Roman Signer (Teil 3): Wie haben Sie den Sturm der Entrüstung erlebt?

Nr. 25 –

Der Künstler Roman Signer wurde früher angefeindet, heute wird er gefeiert. Von der Kunst leben kann er erst, seit er sechzig ist.

Roman Signer: «Ich habe nur gelacht. Wenn man Distanz hat, tut es nicht so weh.»

WOZ: Roman Signer, in St. Gallen, wo Sie wohnen, tobte kürzlich ein Kulturstreit. Die vorberatende Kommission wollte den städtischen Kulturpreis an Regisseur Milo Rau vergeben, der Stadtrat zeichnete Felix Lehner aus, den Gründer und Leiter der Kunstgiesserei und des Sitterwerks. Was ist Ihre Meinung dazu?
Roman Signer: Ich hätte den Preis beiden gegönnt. Sie machen beide eine gute Arbeit, sie sind innovativ und reissen Dinge an.

Auch Ihre Kunst hat früher in St. Gallen für heftige Auseinandersetzungen gesorgt. Ihr Wasserturm – ein rotes Fass auf hohen Stelzen, aus dem ein Wasserstrahl zu Boden spritzt – war Ende der achtziger Jahre umstritten.
Das war extrem kleinstädtisch damals, es ist nicht zu glauben. Ich habe gar nicht gedacht, dass es einen Skandal gibt, ich hatte Freude an meiner Arbeit. Ich war vom Gewerbeverband an einen Wettbewerb eingeladen. Sie hatten Geld gesammelt für ein Fest und wollten damit eine Bierschwemme machen. Da sagte einer vom Gewerbeverband: «Das bringt doch nichts, machen wir lieber eine Skulptur.» In einem Park hatte es einen kaputten Brunnen, den es zu ersetzen galt. Vier Künstler waren zum Wettbewerb eingeladen, ich habe gewonnen. Als die Gewerbetreibenden bei der Präsentation das Modell sahen, dachten sie wohl: Das ist so klein, das kann man sicher hinter einem Busch verstecken. Als wir das Fass aufgestellt haben, kamen schon die ersten Leute, haben die Hände verworfen und Fotos gemacht.

Es folgte ein Sturm der Entrüstung. Wie haben Sie ihn erlebt?
Am anderen Tag durfte ich nach Japan reisen, an ein Performancefestival in Yokohama. Am Abend habe ich meine Frau Aleksandra von dort angerufen: «Wie geht es auch der Skulptur?» Sie hat geantwortet: «Es ist furchtbar, Roman!» Ob denn etwas kaputt gegangen sei, wollte ich wissen. «Nein, die Leute tun so verrückt.» Ich habe nur gelacht. Das war die geografische Distanz. Wenn man Distanz hat, tut es nicht so weh.

Wie war es, als Sie wieder nach Hause zurückkehrten?
Ich habe gemerkt, dass es ganz anders ist am Ort, wo die Leute toben. Ich konnte abends nicht mehr in die Wirtschaft, die Leute haben sich umgedreht und zueinander gesagt: «Das ist doch der!» Es erschienen immer mehr Leserbriefe, es gab anonyme Anrufe, und es wurden Unterschriften gesammelt für den Abbruch. Die Leute steigerten sich in etwas hinein, mir wurde es schaurig unheimlich. Am Schluss hätten sie wohl noch einen Fackelzug gemacht zu meinem Atelier. Das ist mir wirklich eingefahren. Ich habe mir gedacht, die Zivilisation ist nur eine dünne Schicht, darunter ist der Sumpf. Man kann das Volk aufhetzen, wenn man will.

Früher wurden Sie angefeindet, heute sind alle stolz auf Sie. Haben Sie schon damals gedacht, dass Ihre Kunst irgendwann verstanden wird?
Ich dachte schon, dass die Zeit die Wunden heilt. So war es dann auch. Und heute ist es ja paradox. Wenn eine chinesische oder japanische Besuchergruppe kommt, dann gehen die Stadtführer zum Wasserturm und sagen: «Da sehen Sie, wie tolerant wir sind, solche Sachen fördern wir!» (Lacht.)

Warum sind Sie immer in St. Gallen geblieben?
Zum einen wegen der Landschaft. Es ist alles da, was ich für meine Kunst brauche, wir haben Berge, Flüsse, Wald, den Bodensee. In einer Viertelstunde ist man draussen. Zum anderen blieb ich aus finanziellen Gründen. Aleksandra, die ich in Polen kennengelernt hatte, konnte erst hierherziehen, als wir uns eine gemeinsame Wohnung leisten und die Krankenkasse bezahlen konnten. Als sie endlich einreisen konnte, klingelte es eine Woche später an der Tür. Draussen stand ein Bundespolizist im Regenmantel. Er wollte in die Stube kommen, packte eine Schreibmaschine aus und stellte eine Menge Fragen: «Wo haben Sie einander kennengelernt? Sind die Eltern in der Partei oder nicht?» Ich habe die Antworten später alle in meiner Fiche gefunden.

Gab es auch Leute, die Sie unterstützt haben?
Natürlich brauchst du zwei, drei Freunde, die zu dir halten. Sonst schaffst du es nicht. Freunde, die gut finden, was du machst, und dich ermutigen weiterzumachen. Hie und da haben sie mir auch etwas abgekauft. Aber es war für uns finanziell lange schwierig. Ich habe als Hubstaplerfahrer gearbeitet, als Vermessungsgehilfe, als Flugzeugentlader in Kloten. Einen Tag pro Woche konnte ich an der Schule für Gestaltung in Luzern unterrichten. Aleksandra ist ebenfalls Künstlerin, sie ging nebenher putzen und hütete Kinder. Wir haben jeweils einen Fünfjahresplan gemacht wie in Polen. Danach haben wir entschieden, ob wir weitermachen sollen. Von der Kunst leben kann ich erst seit 1997, seit einer Arbeit an der Skulpturenausstellung in Münster.

Sie konnten erst mit sechzig von der Kunst leben?
Es geht noch heute hinauf und hinunter, es kann auch einmal eine Ebbe kommen. Die Leute denken, als bekannter Künstler sei man Millionär. Doch bei einem Verkauf bleibt einem nicht besonders viel, wenn die Produktionskosten und der Anteil der Galerie abgezogen sind. Ich bin aber auch kein Geschäftsmann, ich bin nicht der Typ dafür.

Die schönsten Plätze in der Umgebung von St. Gallen will der Künstler Roman Signer (80) lieber nicht verraten. Die solle man besser selbst entdecken.