Ein Traum der Welt: Drei Sonnen

Nr. 33 –

Annette Hug trifft in Winterthur die Zukunft aus China

Einer der Orte, die in diesem Sommer Abkühlung boten, war das Technorama in Winterthur. Die Ausstellungsräume waren angenehm klimatisiert. Aber einen kühlen Kopf gabs auch hier nicht zu kaufen. Eine Angestellte in Ritterrüstung präsentierte elektrische Stromschläge als Abenteuer. Der «Pharadäische Käfig» hatte mir früher nach ägyptischer Gruft geklungen, und ich wäre nicht hinter die Gitter gekrochen, um den Blitz abzuwarten. «Faraday», sagte ich beschwichtigend zu den Kindern, die mir diesen Sommer als Vorwand dienten, hierherzukommen, «nicht Pharao.» Und wir verloren uns zwischen Impulsschleuder, Zeichen im Nebel, händeringenden Grossvätern und dem Rhombo-Puzzle nach Gübeli.

Das «Swiss Science Center» gibt alles, um zu verwirren. Da ist den eigenen Augen nicht zu trauen, alles muss genauer überprüft werden. Ein Aufklärungsfuror spricht aus jedem Exponat, das ist wohltuend. Im Technorama habe ich schon viel gelernt. Das chaotische Pendel war ein ziemlicher Schock: Bewegen sich gleichzeitig mehr als zwei Körper, die sich gegenseitig beeinflussen, sind ihre Wege unberechenbar. Es pendeln also drei Kugeln und zeichnen die kuriosesten Kurven. Aber im wirklichen Leben sind überall mehr als zwei Körper, die sich gegenseitig beeinflussen. Ist also alles, was ich in meiner Schulzeit gerechnet habe, Pipifax? Nein, hat mich ein Physiker beruhigt. Wir können Wahrscheinlichkeiten ziemlich genau berechnen. Die Klimamodelle, zum Beispiel, erweisen sich als beängstigend akkurat. Aber wanns morgen vor meiner Tür zu regnen aufhört und wo sich dieses eine Pendel hinbewegt, kann niemand genau sagen.

Das muss auch Liu Cixin umgetrieben haben. Sein Roman «The Three-Body Problem» lag im Januar 2017 in allen englischen Buchläden von Hongkong auf. Im Oktober sah ich es in Schanghai wieder – auch die chinesische Ausgabe ist ein Renner. Es geht um Lebewesen eines fernen Planeten, die damit fertigwerden, dass ihr Klima von drei Sonnen geprägt ist. Ihr Planet bewegt sich in unvorhersehbaren Kurven und Schwüngen um diese Sonnen, da wirds Eiszeit, Brandperiode, Aufbau und Zerstörung in irrem Wechsel. Aber die fernen Wesen kriegen das hin, sie können rechnen wie niemand auf der Erde. Trotzdem suchen sie ein neues Zuhause – einen Planeten mit regelmässigen Jahreszeiten, wo sich Zivilisationen über Jahrtausende entwickeln. Sie senden ein Signal, und es kommt an. Eine chinesische Astrophysikerin ist knapp der Verfolgung durch die Roten Garden entgangen und hält sich in einer abgelegenen Sternwarte ruhig. Nachtschichten macht sie allein, so kann sie den fremden Wesen heimlich und ganz persönlich antworten. Ihre Erfahrungen mit der Menschheit sind so schlecht, dass sie, ohne zu zögern, den Planeten freigibt. So hat die Zukunft unbemerkt begonnen, tief in den Wirren der Kulturrevolution.

Die Fortsetzung kann man jetzt auch auf Deutsch nachlesen. «Die drei Sonnen» heisst das Buch, übersetzt von Martina Hasse. Aber die drei Pendel im Technorama hab ich diesen Sommer nicht mehr gefunden – der Weg durch die Exponate war vertrackt, ständig blitzte etwas auf, rauschte vorbei und schon rief wieder eins der Kinder. Sie liessen sich von ihrem Unwissen nicht entmutigen, im Gegenteil. Vom Oloid, dem Taumelroller, waren sie begeistert.

Annette Hug ist Autorin in Zürich, letztes Jahr wurde sie in Hongkong vom Winter überrascht. Im Moment denkt sie in der Schweiz über Technik nach.