Gentrifizierung: Eine Oase im Airbnb-Dorf

Nr. 33 –

Im südspanischen Málaga wehren sich EinwohnerInnen gegen Immobilienspekulation und dagegen, dass die Stadt dem Tourismus geopfert wird. Im Herzen der Proteste steht das soziale Zentrum «Casa Invisible».

Wegen der Behörden jetzt ohne Tapas: Patio im unsichtbaren Haus. Foto: José E. Cabrera Pérez, Málaga

Kalte Luft aus Hunderten Klimaanlagen strömt in die Fussgängerpassage. Baustellen reihen sich an Zara-Filialen, Noodle Bars und Eisdielen, das antike Amphitheater liegt hinter einer Glasscheibe. Vergeblich schreit ein Schürzenverkäufer gegen den Lärm der PassantInnen an. Mit den grossen Ketten können kleine Läden nicht lange mithalten. Málaga ist ein Moloch der Touristifizierung. GemüsehändlerInnen oder Bars mit bezahlbaren Tapas sind komplett aus der Innenstadt verschwunden. Mehr als 10 000 EinwohnerInnen haben das historische Stadtzentrum innerhalb der letzten Dekade verlassen: Málagas Innenstadt ist zum Airbnb-Dorf verkommen. Für die UnternehmerInnen ist die Entwicklung lukrativ, der Tourismus boomt. Zugleich sind viele Jobs in der Tourismusbranche prekär, ein grosser Teil der Löhne liegt noch auf dem Krisenniveau von 2008.

Geblieben ist im Herzen der Innenstadt eine widerständige Anomalie: die «Casa Invisible» – das unsichtbare Haus. Seit elf Jahren arbeitet eine Gruppe von mittlerweile über sechzig AktivistInnen in dieser öffentlichen Oase der Selbstverwaltung. Doch auch der «Invisible» droht inzwischen das Aus. Noch diesen Sommer soll das Zentrum geräumt werden – das hat die Mehrheit der Stadtregierung, bestehend aus dem konservativen Partido Popular und der rechts-neoliberalen Partei Ciudadanos vor wenigen Monaten beschlossen. Die Behörden warten lediglich auf den Ausführungsbefehl von Bürgermeister Francisco de la Torre. Der heisse August eignet sich dafür bestens: Viele verlassen die Stadt, und im Lärm des zehntägigen Stadtfests La Feria gehen Nachrichten leicht unter.

Akt des zivilen Ungehorsams

«Die Unterstützer der ‹Invisible› waren von Beginn an breit zusammengesetzt, mit vielen bekannten Personen aus der Stadt und dem gesamten Land – man konnte uns nicht ignorieren», sagt die Juristin Amanda Romero, eine der AktivistInnen, die sich für den Erhalt des Zentrums einsetzen. Die Direktoren der Museen Reina Sofia in Madrid oder der Macba in Barcelona befinden sich genauso darunter wie ausländische PhilosophInnen oder verschiedene linke Parteien und Gewerkschaften. «Die stereotypen Bilder von Besetzungen einer bestimmten subkulturellen Gruppe passten nicht. Die Regierung war deshalb sehr verunsichert», sagt Romero.

Von Beginn an haben die AktivistInnen die Behörden zu Verhandlungen gezwungen: In einem Akt zivilen Ungehorsams besetzten sie das städtische Grundstück – mit dem Ziel, Einfluss zu nehmen auf die überwältigende Macht der Immobilienspekulation. Seit einer Übereinkunft im Jahr 2011 liess die städtische Regierung den Status der «Invisible» im Schwebezustand. Die BesetzerInnen erfüllten alle Kriterien, die ihnen die Behörden auferlegt hatten. Nur eine Forderung wurde nicht befolgt: das Haus zu verlassen, um danach die Übergabe zu organisieren.

Kein Sitzungsüberdruss

Die «Invisible» mit ihrem pflanzenreichen Patio und dem kühlenden Springbrunnen ist für die GegnerInnen schwer einzuordnen. Sie ist vieles: Treffpunkt von Künstlerinnen und Theoretikern, verschiedener feministischer Gruppen und Initiativen wie Málaga no se vende oder der Vereinigung Plataforma de Afectados por la Hipoteca (PAH), einer landesweiten Organisation gegen Zwangsräumungen. Sie beherbergt die Universidad libre experimental – und bis vor kurzem eine kollektiv geführte Tapasbar, der die Stadt nun das Wasser abgedreht und ein Ausschankverbot erteilt hat. Sechs Tage die Woche, zehn Stunden am Tag kann jede und jeder ein und aus gehen, die Räumlichkeiten nutzen oder auch einfach herumlungern, ohne Konsumzwang.

«Von Anfang an hatten wir die Möglichkeit, am Haus unsere Ideen auszutesten», sagt Alicia Carrió, eine Architektin, die im Zuge der Wirtschaftskrise zwangspensioniert wurde. Nie hätte sie gedacht, nicht mehr arbeiten zu können, doch die wenigen vorhandenen Stellen gingen an Jüngere. Ihre Pension beläuft sich auf einen Minimalbetrag. «Die ‹Invisible› gibt mir Kraft, weiterzuleben.» Mittlerweile ist eine ganze Gruppe von RentnerInnen zur «Invisible» gestossen.

Die AktivistInnen sprechen von ihrer Praxis als einer Ökologie der Sorge. Kürzlich, in einer Sitzung zur Mobilisierung gegen die Räumung, habe man eine halbe Stunde lang über das Wohl der Fische im Springbrunnen diskutiert, erzählt Kike España Naveira, Aktivist und ebenfalls Architekt. Die Reporterin selbst sitzt derweil an einem Treffen für die kommende «Bodies in Resistance»-Woche: Statt über Verteidigungstaktiken zu sprechen, spinnen die UnterstützerInnen Performanceideen und diskutieren philosophische Körperkonzepte. Von Sitzungsüberdruss keine Spur. «Wir verschwenden keine Energie auf das Räumungsszenario», so Naveira, «nur auf die Verteidigung des Projekts. Viele intelligente Leute arbeiten 24 Stunden am Tag daran.»

Neue Protestwelle?

Die «Invisible» steht als Symbol konträr zu einem Businessplan, den Bürgermeister de la Torre um die Jahrtausendwende entwarf, um die sonnige Strandlage Málagas zu nutzen und sie durch kulturelle Institutionen zu einem touristischen Hotspot zu machen. So erfand man Málaga kurzerhand neu als die Stadt Picassos, den ausser seiner Geburt nichts mit dem Ort verband. Nun wacht er wie ein heiliger Schutzpatron über die seither errichteten rund 25 Museen, mit Ableger des Centre Pompidou und der russischen Eremitage, deren Eröffnung 2015 das Stadtdesign des Bürgermeisters vollendet hat.

Auch die symbolische Relevanz der geplanten Räumung wird verständlicher, blickt man etwas zurück: Besetzte soziokulturelle Zentren hätten in den letzten zwanzig Jahren eine Schlüsselrolle in der Gestaltung alternativer Politik eingenommen, so der Philosoph Raùl Sanchez Cedillo, Mitglied des landesweiten Netzwerks Fundación de los Comunes. Sie seien die Wiege für beinahe alle bahnbrechenden politischen Ereignisse in Spanien gewesen, angefangen mit der Antiglobalisierungsbewegung im Jahr 2001, dem Movimiento 15-M aus den Jahren 2011/12 bis hin zur munizipalistischen Bewegung.

Die neoliberale Partei Ciudadanos, die sich aus den Konflikten um die Unabhängigkeit Kataloniens etabliert hat, fährt zurzeit die landesweite Kampagne «Stop Okupas» gegen Besetzungen und Zentren wie die «Invisible». Sie rückt BesetzerInnen in die Nähe mafiöser Drogenkartelle – und reagiert auf den Erfolg von Gruppen wie dem Movimiento 15-M und der PAH-Plattform, die die strukturellen Enteignungen während der Immobilienkrise international sichtbar machten und vielen Personen aus lebenslanger Verschuldung halfen. Nicht zuletzt wegen einer massiven Suizidwelle habe die PAH starken Rückhalt in der Bevölkerung gewonnen, sagt Aktivistin Amanda Romero.

In der «Invisible» trifft man auf einen sozialen Zusammenhalt, der durch die Räumungsdrohung gefestigt wurde. Es seien viele Leute und Gruppen dazugestossen, an der letzten Demonstration mehrere Tausend Menschen zusammengekommen, erzählt Jesús Iglesias Saugar, ein Aktivist des Bündnisses Málaga no se vende und Unternehmensberater für ökologische und soziale Fragen. Insbesondere die Gefahren des Klimawandels hatten ihn dazu bewogen, sein Technomadenleben aufzugeben. Er liess sich in Málaga nieder, schloss sich lokalen politischen Kämpfen an.

Die Bürgerlichen, so Saugar, wüssten nur zu gut, dass aus diesen Allianzen gegen Touristifizierung und die kapitalistische Verwertung aller sozialen Beziehungen der Stadt eine lokale Opposition entstehen könnte. «Wir verlangen, an Entscheidungen teilzuhaben, die darüber bestimmen, wie die Stadt geplant, organisiert und erhalten wird.» Das passiere momentan nicht, demokratische Prozesse fehlten. «Deshalb haben wir uns mit der 15-M-Bewegung erhoben, und wir werden es wieder tun», sagt Saugar.

Spanien sei in einer komplexen Situation, sagt Philosoph Cedillo. Durch den schwelenden Katalonienkonflikt sei weitere Instabilität zu erwarten. Zudem würde das Ende der Zuschüsse der EZB im Herbst das Image der spanischen Solvenz wieder verschlechtern. Cedillo spekuliert auf weitere Proteste: «Bestenfalls werden sie zu einem radikal demokratischen und egalitären Prozess führen.»

Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Meldung, dass die AktivistInnen und VertreterInnen der Fundación de los Comunes in Verhandlungen den Bürgermeister dazu bewegen konnten, das Räumungsverfahren der «Invisible» einzustellen und die Übertragung des Hauses an die AktivistInnen einzuleiten.