Von oben herab: Eine Ruhe

Nr. 33 –

Unser Autor singt ein Loblied auf den Pausensozialismus

Es gibt ja einen Haufen Gründe, die «Wochenzeitung» für die beste Wochenzeitung der Welt zu halten: dass sie so hervorragende Kolumnisten beschäftigt etwa oder dass auch Stimmen aus Deutschland (und sogar Winterthur) zu hören sind.

Das beinahe Beste an der WOZ ist aber ihre Sommerpause, und das ist nicht verächtlich gemeint (so wie, Brecht zufolge, das Beste an Augsburg der Zug nach München ist). Gut möglich, dass es das im Medialgeschäft kein zweites Mal gibt: Der Laden macht zu, Betriebsferien, und sosehr das schlicht betriebswirtschaftlichen Überlegungen geschuldet sein mag, ist es doch auch ein (eben:) stiller Fingerzeig, ein Memento, ein füglicher Hinweis auf unsere durchjournalisierte Welt und darauf, wie tunlich es sei, sie einfach einmal stillestehn zu lassen. Gehirne, «durch deren Windungen zweimal im (sic) Tag der Mist der Welt gekehrt wird», beklagte Karl Kraus schon 1908, und 2018 wird der Mist, heisse er nun «Spiegel Online» oder blick.ch («Holländer, †60, stürzt 300 Meter in die Tiefe», «Blitz schlägt bei Nationalbank ein»), bekanntlich viertelstündlich aktualisiert; und was hätte man verpasst, hätte mans verpasst? Zumal sich ja jene Pressewaren, denen betriebswirtschaftliche Überlegungen die Sommerpause verbieten, in der Ferien- als sog. Saure-Gurken-Zeit mit abgründigen Sommertiteln wie «Die 1000 besten Badeseen» (ausgedacht) oder «Party-Hauptstadt Berlin» (nicht ausgedacht, «Stern») behelfen, Scheiss, der sich immer irgendwie produzieren lässt, während der Onlineredaktion die Spitzennews gottlob zufliegen: «Mann verheddert sich in seiner Angel und ertrinkt». Ja. Bzw. wird derlei hier im Haus ja zum Glück unterschlagen; aber auch von allem anderen mal nichts hören zu müssen – das ist schön. Das ist ganz wunderbar.

Denn die Sommerwochenendausgaben meiner Morgenzeitung sind so faustdick wie eh und je und stur mit heissem Krempel zugetextet: «Auf der Suche nach den einfachen Glücksmomenten kehrt unser Autor immer wieder an den Strand zurück. Ein Lob auf die Horizontale» – der einfachste Glücksmoment wäre aber womöglich der, von solchen Sensationen einen Sommer lang nichts erfahren zu müssen, wie Geschichten, die von «unserem Autor» oder «unserer Autorin» stammen, sowieso immer verdächtig sind (Selbsterfahrungsblödsinn); aber die Zeitung muss halt voll werden, auch wenn nichts von Belang zur Verfügung steht, und dann haut sich halt einer an den Strand und lobt, dass er am Strand liegt. Nichts weiter ist das als Kapitalismus, in dem der Mensch ja für die Wirtschaft da ist statt vernünftigerweise umgekehrt, und ganz genauso sind nicht die Zeitungen für die Nachricht, sondern ist die Nachricht für die Zeitung da, die, auch das hat Kraus angezeigt, ihrerseits die Nachricht ist. Es muss halt, hier wie da, immer und nimmermüd vorwärtsgehen und weiterkrachen, und auch dafür braucht es Sozialismus: dass es einmal nicht weitergeht. Dass Frieden einkehrt. Dass «eine Ruhe» (Polt) ist.

«Die Zeitungen bringen Unruhe und Hitze herein» (Nicolas Born), und dazu besteht aber doch überhaupt kein Grund, wenn es an Unruhe und Hitze so wenig mangelt wie an «neuen» Streichen Trumps, Seehofers oder Gujers, Streichen, die sich dann nicht einmal gross unterscheiden. Und dass mehr oder minder pünktlich zum «Wochenzeitungs»-Wiedererscheinen die  Temperaturen auf ein gesundes, menschengerechtes, ziviles Mass gefallen sind, ist vielleicht Zufall, aber selbstredend ein höherer, denn zumal bei Hitze gilt: «Die beste Hilf’ ist Ruhe» (Shakespeare, «König Heinrich IV.») und «Still blieben wir. Wind schlug die Birke» (Jürgen Becker); und wenns dann wieder kühler ist, dann hören wir auch wieder hin.

Jedenfalls am Donnerstag.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.