Die Uno in der Krise: Gesucht: Einer wie Kofi Annan

Nr. 34 –

Mit Kofi Annan ist ein Diplomat gestorben, der eine Welt in der Krise vom Wert der Vereinten Nationen überzeugte. Jemand wie er würde heute wieder gebraucht.

Als Kofi Annan 1997 sein Amt als siebter Uno-Generalsekretär antrat, befand sich die Weltgemeinschaft in der Krise. Die USA erhoben nach dem Zusammenbruch des Ostblocks den alleinigen Führungsanspruch. An der Spitze der vermeintlich letzten Weltmacht stand bald US-Präsident George W. Bush, der spätestens nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 keinen Zweifel daran liess, dass US-Interessen über denen anderer Staaten, der Uno-Charta oder universellen Menschenrechten stünden. Den Schlachtruf «America first» gab es noch nicht, doch Bush bereitete den Weg dafür.

Die Uno war 1997 weitgehend abgemeldet. Jahrzehntelang hatte sie im Kalten Krieg das Gleichgewicht der Mächte austariert. Annans glückloser Vorgänger Boutros Boutros-Ghali hatte keine Vision für die neue Weltunordnung gefunden. Annan, der seit 1962 – abgesehen von kurzen Unterbrechungen – in internationalen Organisationen gearbeitet hatte, war ein umstrittener Kandidat, unterstützt von den USA. Trotzdem gelang ihm das Unerwartete: Er überzeugte die Welt vom Multilateralismus und von den Vereinten Nationen. Als er 2001 den Friedensnobelpreis entgegennahm, hatte der stille und eigenartig unauffällige Diplomat Millionen Menschen überzeugt und wurde als eine Stimme der Vernunft inmitten von Chaos, Umbruch und Krieg gefeiert.

Annan bündelte die humanitäre Hilfe in der Nothilfekoordination OCHA, er gründete den Uno-Menschenrechtsrat und liess im Jahr 2000 die Millenniumsziele zur Überwindung von Hunger und Armut beschliessen, die erstmals Erfolgsmassstäbe für die globale Entwicklung festlegten. Mit dem Römischen Statut wurde der Internationale Strafgerichtshof gegründet. Auf einmal schien eine gerechte Welt für alle möglich, unter dem Dach der Uno.

Annans grösster Fehler

Dieser Anschein war auch Annans Charisma und seinem unerschütterlichen Glauben an die Grundprinzipien einer liberalen Weltordnung zu verdanken. Wenn er immer wieder erklärte, im Zentrum der Uno müssten «die Menschen» stehen, dann meinte er das auch so. Er setzte durch, dass die Uno notfalls militärisch gegen Staaten vorgehen durfte, die ihre eigene Bevölkerung drangsalierten: eine Lehre aus seiner vielleicht grössten Niederlage, dem Völkermord in Ruanda, dessen mehr als 800 000 Tote er als Oberbefehlshaber der Uno-Blauhelme nicht verhindert hatte – was er als Fehler zugab.

Zwei Jahrzehnte später haben sich die Träume von einst zerschlagen. Die Weltgemeinschaft steht – wieder – am Abgrund. In Syrien, im Südsudan, im Jemen und vielen anderen Ländern toben seit Jahren blutige Kriege, die die Weltgemeinschaft nicht beenden kann. Über 68 Millionen Menschen sind auf der Flucht, rund 135 Millionen sind auf Nothilfe angewiesen. Die Klimakrise hat für alle sichtbar begonnen, und mehr als 800 Millionen Hungernde wissen nicht, wie sie ihre nächste Mahlzeit bezahlen sollen (dem stehen über 2000 DollarmilliardärInnen gegenüber).

All diese Probleme lassen sich nur global lösen, die Uno wird also so dringend gebraucht wie nie. Doch stattdessen drängen Populisten, Nationalistinnen und Protektionisten an die Macht, wenn sie nicht schon dort sind. US-Präsident Donald Trump hält die Uno für einen «Club von Schwätzern, die eine gute Zeit haben wollen» und behauptet: «Wann hat die Uno jemals ein Problem gelöst? Im Gegenteil, sie schafft Probleme.» Vor der Uno-Vollversammlung drohte er im vergangenen September nicht nur mit der totalen Vernichtung Nordkoreas, sondern forderte alle Staaten auf, für sich selbst zu kämpfen. Immer mehr Staats- und Regierungschefs zollen ihm dafür Beifall.

Sture Appelle

Die Lage ist mindestens so verfahren wie zur Amtszeit von Kofi Annan. Und der Weg, den Annan damals einschlug, ist auch heute noch vielversprechend. Annan nannte den Irakkrieg der USA offen völkerrechtswidrig, wenn er ihn auch nicht verhindern konnte. Er wiederholte stur die Werte der Uno-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, entworfen von denen, die die Folgen des Nationalismus im Zweiten Weltkrieg selbst erlebt hatten. Mehr als einmal appellierte er an das «kollektive Gewissen der Menschheit». Damit erntete er Zustimmung und änderte die politische Stimmung in der Welt. Sein Gegenspieler, der damalige US-Botschafter bei der Uno, John Bolton, nannte seine Autobiografie «Kapitulation ist keine Option. Die Verteidigung der USA bei der Uno». Es war wohl ein harter Kampf. Heute ist Bolton Trumps Sicherheitsberater.

Dem Portugiesen António Guterres trauten bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr viele zu, die Uno aus dem Tal der Tränen zu holen, in das der farblose Annan-Nachfolger Ban Ki Moon sie manövriert hatte. Doch wird das reichen? Gesucht wird eine Figur von Annans Format, ein Mann oder eine Frau, die auch die Herzen für die Weltgemeinschaft und ihre Zukunft erobern kann. Annan konnte das wie niemand sonst, bis zum Schluss. Wenige Tage vor seinem Tod in einem Berner Spital sendete er seinen letzten Tweet: «Wir haben die Mittel und das Vermögen, unsere Probleme zu lösen, wir brauchen nur den politischen Willen.» Diesen zu mobilisieren, ist jetzt die Aufgabe von Annans NachfolgerInnen.