Auf allen Kanälen: Der Hype um den Zahnseidentanz

Nr. 35 –

Anstelle von Waffen kann man im Erfolgsspiel «Fortnite» Tänze kaufen. Diese werden in der Realität überall nachgetanzt, sogar von Fussballprofis.

Am Anfang steht ein Roman: Das 1999 vom japanischen Autor Koushun Takami veröffentlichte Buch «Battle Royale» spielt in einem totalitären Staat. Jedes Jahr wird eine Schulklasse auf eine einsame Insel verschleppt. Hier müssen sich die SchülerInnen gegenseitig bekämpfen, bis nur noch einE ÜberlebendeR übrig bleibt. Der Titel des Buchs stammt aus dem Wrestling: Bei einer «Battle Royale» springen zehn oder zwanzig Wrestler in den Ring, und jeder kann jeden angreifen. So funktioniert auch das zurzeit meist gespielte Computerspiel «Fortnite: Battle Royale», das auf der Verfilmung von Takamis Roman basiert. Hundert Figuren landen ohne Gepäck auf einer Insel. Hier muss jedeR Waffen, Munition, Schutzkleidung und Rohstoffe zusammensuchen und die anderen bekämpfen.

Der Tanz vor dem Kampf

«Battle Royale» ist eine Mischung aus Strategie- und Schiessspiel, das im letzten Herbst auf den Markt kam. Mittlerweile wird es von rund 125 Millionen Menschen gespielt. Zwar ist es gratis, doch allein an den sogenannten In-Game-Käufen hat der Hersteller Epic Games bisher über eine Milliarde Dollar verdient. Anders als bei vielen anderen Computerspielen, wo man durch Käufe seine Gewinnchancen optimiert – meist mit dem Kauf von besseren Waffen –, erwirbt man bei «Battle Royale» für den Spielverlauf lauter nicht relevante Dinge: coolere Kleider, einen schicken Rucksack oder, ganz wichtig, «Emotes». Dies sind Tänze, die die Figuren tanzen, bevor sie in den Kampf ziehen oder nachdem sie eineN GegnerIn besiegt haben. Der «Battlepass» für zehn Franken beinhaltet (auch) solche Emotes. Wer mithalten möchte, muss fortlaufend Geld ausgeben, da immer wieder neue Tänze programmiert werden.

Längst haben die Tänze den virtuellen Raum verlassen und sind in den realen Alltag eingedrungen: Tausende von Kindern in den USA und Europa tanzen die Fortnite-Moves – darunter auch viele, die das Spiel selbst gar nicht spielen. Dass die Tänze auch auf dem Pausenplatz getanzt werden, freut nicht alle PädagogInnen. Eine britische Schule machte kürzlich Schlagzeilen, weil sie die Tänze auf dem Schulareal verbot. Laut der Schulleiterin sind die gewalttätigen Spiele mitverantwortlich für das aggressive Verhalten der Kinder in der Realität. Ausserdem würden die Kinder mit diesen Tänzen ihre SchulkameradInnen einschüchtern. Sogar im Spitzensport sind die Fortnite-Tänze verbreitet. Die wohl am meisten beachtete Tanzeinlage war jene von Antoine Griezmann. Nach seinem Penalty im WM-Final gegen Kroatien hielt der französische Nationalspieler Daumen und Zeigefinger in L-Form vor seine Stirn und hüpfte von einem Bein auf das andere. Was für Fortnite-Unbedarfte aussah wie ein abgefahrener Triumphtanz, beinhaltete für KennerInnen eine ganz klare Botschaft: Griezmann tanzte nämlich den «Take-the-L-Dance», auch «Losertanz» genannt. Dieser wird im Game getanzt, um die besiegten GegnerInnen zu verhöhnen. Dass Griezmann den «Losertanz» ausgerechnet vor den kroatischen Fans vorführte, sorgte für Diskussionen.

Keine Eigenkreation

Die Tanzbewegungen selbst lernen kann man auf Youtube. Hier wimmelt es von engagierten LehrerInnen, die einen in die Kunst der Fortnite-Bewegungen einführen. Beliebt sind auch die «Fortnite Dance Challenges»: Filmchen, in denen reale Menschen neben den Computerspielfiguren dieselben Tänze tanzen, was wiederum von Millionen von Menschen angeschaut und bewertet wird.

Die meisten Tänze sind jedoch keine Eigenkreationen von Epic Games, viele Bewegungen sind übernommen: von TänzerInnen, aus Filmen oder von Rappern. Der beliebte «Floss»-Tanz («Zahnseidentanz») etwa wurde durch den Instagram-Star Backpack Kid bekannt, der bei seinem Auftritt mit Katy Perry der Sängerin damit die Show stahl. Den «Tidy Emote» hat man beim Rapper Snoop Dogg abgekupfert, und der Milly-Rock-Tanz kopiert einen Tanz des Rappers 2 Milly. Dieser will nun die Urheberrechte auf «seine» Bewegungen reklamieren, um auch einen Anteil am finanziellen Erfolg von Epic Games zu haben. Denn im Grunde geht es natürlich nicht um die lustigen Tänzchen, sondern um Geld. Um sehr viel Geld. Und dies, obwohl das Spiel gratis ist.